Kassen-Blockade bei Langzeit-Heilmitteln

Mehrere Kassen verzögern in Niedersachsen die Genehmigung der Langzeitverordnung von Heilmitteln. Immer mehr Ärzte berichten von solchen Fällen - und das trotz einer Neuregelung, die die Verordnung leichter machen sollte.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Bei manchen Indikationen benötigen Patienten langfristig Heilmittel. Doch bei der Genehmigung stellen sich in Niedersachsen manche Kassen quer.

Bei manchen Indikationen benötigen Patienten langfristig Heilmittel. Doch bei der Genehmigung stellen sich in Niedersachsen manche Kassen quer.

© Klaus Rose

HANNOVER. Schlaganfall, Hirnblutung oder Muskeldystrophie - viele Patienten brauchen langfristig Ergo-, Logo- oder Physiotherapie.

Seit Juli 2011 können sich Ärzte für ihre Patienten mit langfristigem Bedarf gleich für mindestens ein Jahr solche Therapien genehmigen lassen.

Bislang musste dafür ein Antrag "außerhalb des Regelfalls" gestellt werden.

Der GBA hatte nun in Paragraf 8, Absatz 5 der Heilmittelrichtlinie die neue Regelung getroffen, womit die Heilmittelverordnungen der Langzeitpatienten nicht mehr ins Budget der Ärzte fallen. Zudem werden bürokratische Prozeduren reduziert.

Der Arzt muss nun nur noch verordnen, begründen und eine langfristige Prognose abgeben, und der Patient muss bei seiner Kasse den Antrag stellen.

Sie entscheidet, ob die Leistungen im verordneten Umfang langfristig genehmigt werden können. Theoretisch. Denn in Niedersachsen funktioniert das nicht.

Genehmigung verweigert, weil es den Arzt entlasten könnte

Offenbar argwöhnen die Kassen, dass die Ärzte es sich zu leicht machen. Das legt ein Schreiben der Barmer GEK in Niedersachsen nahe.

Dr. Günter Meyer, Hausarzt in Schneverdingen, hatte einem Patienten mit Halbseitenlähmung nach Stammganglienblutung die neue Langzeitbehandlung verordnet; mit einer Therapie, die der Patient schon seit fünf Jahren erhält, und die stets genehmigt wurde.

Nachdem der Patient den Antrag nach der neuen Regelung eingereicht hatte, lehnte die Kasse schriftlich ab. Es sei "der Barmer GEK nicht möglich, Ihren Antrag zu bewilligen. (…) Für Sie als Versicherte(r) ergibt sich jedoch kein Nachteil hierdurch", versichert die Kasse.

Und weiter unten: "Die langfristige Genehmigung liegt vielmehr im Interesse des Arztes, da diese entlastend für ihn im Rahmen der bei Ärzten durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfung wirkt."

Im Klartext: Weil es den Arzt entlasten könnte, wird die Genehmigung verweigert, dem Patienten kann es ja egal sein.

Hausarzt Meyer ist verärgert. Nicht nur, weil sein Patient, der seit 2007 zweimal in der Woche Physiotherapie erhält, nicht anerkannt wird. Sondern auch, weil der Sinn der Regelung von der Barmer als Grund angegeben werde, ihr nicht zu folgen.

"Bisher haben die Kassen die Anträge außerhalb des Regelfalles in der Regel genehmigt, und im Zweifel haben sie den Arzt wegen zu hoher Heilmittelausgaben in Regress genommen. Eben deshalb hat der GBA bei Paragraf 8 nachgebessert."

Die Ablehnung ist kein Einzelfall. Meyer hat 20 Patienten, die den Antrag auf die Heilmittel-Langzeitverordnung gestellt haben. "Nur bei einem wurde sie genehmigt, alle anderen Anträge wurden abgelehnt."

Andere Ärzte bestätigen Meyers Erfahrungen

"Wir haben vermehrt Anfragen", sagt Barmer-Sprecher Michael Erdmann auf Anfrage der "Ärzte Zeitung". Allein in der Region Hannover komme täglich ein neuer Patient dazu. Das macht die Kasse offenbar misstrauisch.

"Es ist klar, dass von den Ärzten versucht wird, Versicherte mit leichteren Diagnosen in die neuen Langzeitverordnungen zu bringen", meint Erdmann.

Was die Ablehnungen bei einem Patienten angeht, der bereits seit 2007 regelmäßig Heilmittelbehandlungen erhält, berief Erdmann sich auf die noch fehlenden Ausführungsbestimmungen zu der Neuregelung. "Es ist noch nicht letztgültig geklärt, in welchen Fällen schwerer Erkrankung genehmigt wird."

Die Ablehnung ist kein Einzelfall, das zeigt etwa die Praxis von Dr. Lutz Banneitz aus Verden: "Wenn wir die Anträge gestellt haben, bekommen wir von mancher Kasse einen Fragenbogen zurück, andere lehnen rundweg ab und wieder andere stellen telefonisch Nachfragen."

Banneitz hat seit Jahresbeginn 50 Anträge für seine Patienten gestellt, aber nur zehn Entscheidungen erhalten - zum Teil positiv, zum Teil negativ, obwohl die Kassen eigentlich genehmigen müssten, meint Banneitz.

Auch Dr. Matthias Berndt, Hausarzt in Hannover, hat Probleme mit den Langzeitverordnungen. "Wir haben versuchsweise die Langzeitverordnungen beantragt und sind bei den Kassen massiv aufgelaufen", berichtet Berndt.

Die KV Niedersachsen bestätigt, dass es inzwischen viele derartiger Fälle im Land gibt. "Besonders in den letzten Wochen haben wir viele Hinweise erhalten", erklärt KV-Sprecher Detlef Haffke.

Anders handhabt die AOK die Genehmigungen. "Wir wollen sie ausweiten", sagt Carsten Sievers von der AOK Niedersachsen. Vor Kurzem habe man sich kassenintern zusammengesetzt, um die Kriterien der Genehmigung festzulegen.

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