DGN

Handreichung für ein gutes Gewissen

Vor allem Klinikärzte müssen oft den Spagat zwischen Therapiefreiheit und ökonomischen Zwängen machen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat ihren Mitgliedern Handlungsrichtlinien an die Hand gegeben. Auch für niedergelassene Ärzte enthält das Papier Anregungen.

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BERLIN. Ärzte fast aller Fachrichtungen in Klinik und Praxis kennen die Dilemma-Situation aus dem Behandlungsalltag: Wie können sie ökonomische Zwänge und die ärztliche Therapiefreiheit guten Gewissens unter einen Hut bringen?

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat nun nach eigenen Angaben als erste medizinische Fachgesellschaft in Deutschland Nägel mit Köpfen gemacht und ihren Mitgliedern Handlungsrichtlinien an die Hand gegeben für Fälle, in denen ökonomische Interessen die Therapiefreiheit beeinträchtigen könnten.

 Die Richtlinien wenden sich zwar in erster Linie an Neurologen in Kliniken, können aber auch niedergelassenen Ärzten Anregungen für den Praxisalltag geben.

Heilkunst versus Ökonomie

"Dass Ärzte bisweilen im Spannungsfeld zwischen Heilkunst und Ökonomie stehen, ist so alt wie die Medizin selbst", heißt es von Seiten der DGN.

Doch habe das Thema zuletzt neue Facetten entwickelt, in manchen Bereichen an Dynamik gewonnen und sei nicht immer frei von emotionaler Ladung: Die Industrie stelle zwar ihre Marketingstrategien um und gebe sich deutlich offener. Gleichzeitig bedränge aber der wachsende finanzielle Druck in den Kliniken die Therapiefreiheit der Ärzte. An Kraft gewönnen die Rufe nach mehr Transparenz aus der Öffentlichkeit und der Politik sowie auch aus den Reihen der Ärzteschaft.

Die DGN hat ihre Aktivitäten zum Schutz der Unabhängigkeit ärztlichen Handelns im Sinne der Patienten nach eigener Aussage vor Kurzem von einem Komitee begutachten und in ein Grundsatzpapier gießen lassen - die Handlungsrichtlinien.

Das Komitee, das Anfang 2013 seine Arbeit aufgenommen habe, setze sich unter Leitung des Ex-DGN-Präsidenten Professor Günther Deuschl aus Vertretern der Bereiche Klinik, Universität, Praxis und Ethik zusammen. Der Entwurf der Richtlinien sei unter anderem 2013 unter der neurologischen Ärzteschaft verbreitet und online von DGN-Mitgliedern kommentiert worden."Als wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft beschäftigen wir uns zwar vornehmlich mit der Evidenz von Therapien.

Die Handlungsrichtlinien sind aber nötig, weil wir sehen, dass unsere wissenschaftlich fundierten Empfehlungen durch ökonomische Zwänge und Einflussnahmen die Patienten nicht immer erreichen", kommentiert Professor Martin Grond aus Siegen, 1. Vorsitzender der DGN.

Zugleich betont Grond auch die Verantwortung jedes einzelnen Arztes, wennn es um Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie geht.Eine aktuelle Herausforderung für Klinikärzte stellen laut DGN die Diagnis Related Groups dar.

Das Vergütungssystem habe massiven Kostendruck in die Kliniken gebracht, der bewirke, dass Medizin nicht immer uneingeschränkt im Interesse der Patienten betrieben werden könne. Auch die um sich greifende Praxis von leistungsabhängigen Komponenten in Verträgen leitender Mediziner führe bisweilen zu einem erhöhten ökonomischen Einfluss auf die Behandlungsentscheidungen des Arztes.

Finanzielle Anreize sind verlockend

In den Handlungsrichtlinien greift die DGN unter anderem die Gestaltung von Mitarbeiterverträgen in Kliniken heraus. Als Risiko identifiziert sie, dass Arbeitsverträge tendenziell neben einem Grundgehalt leistungsabhängige Komponenten beinhalteten.

Generell sei nichts gegen derartige Verträge einzuwenden, "wenn solche Leistungsbezüge sich auf vom Arzt beeinflussbare und mit den Regeln der ärztlichen Kunst im Einklang befindliche Leistungen beziehen".

Das Papier verweist beispielsweise auf Optionen zur Erweiterung des Patientenspektrums mit adäquaten Ressourcen oder via Qualitätsmanagement. "Die DGN wendet sich aber strikt gegen Regelungen, die dem Arzt Anreize dafür schaffen, zur Erreichung eines angemessenen Einkommens gegen ‚gute neurologische Praxis‘ zu verstoßen.

Insbesondere sind Mengenziele in solchen Arbeitsverträgen abzulehnen", heißt es weiter. Die DGN plädiere für Grundgehälter, die der Leistung und Verantwortung der Ärzte angemessen seien.

Den Rücken will die Fachgesellschaft Ärzten vor allem im Klinikalltag stärken, zum Beispiel wenn es um die Wahl von Medizinprodukten geht. Als Risiko bei Diagnostik und Therapie identifiziert sie die Varianz an in Frage kommenden Produkten für eine Behandlung. "Dabei neigt die Verwaltung dazu, die billigsten oder vom Konzern festgelegten Produkte einzukaufen", warnt die DGN.

Als Maßnahme setze sie sich dafür ein, "dass das Auswahlrecht für Produkte, die für die medizinische Therapie erforderlich sind, beim Arzt verbleibt bzw. vom Arzt wesentlich mitbestimmt wird. Zu diesem Zweck sollte sich der verantwortliche Arzt auf die Leitlinien berufen können."

Aber auch die Erstellung von Leitlinien wird als risikobehaftet charakterisiert: Das Papier nennt zum Beispiel die "Einflussnahme durch Ärzte, die an von der pharmazeutischen Industrie finanzierten Studien beteiligt waren oder andere konkurrierende Interessen haben."

Um die Leitlinien im Entwicklungsprozess manipulationssicherer - und damit weniger anfällig für Partikularinteressen - zu machen, plädiert die DGN dafür, "aus Gründen der Fachkenntnisse" Studienspezialisten am Leitlinienprozess zu beteiligen. "Bei Abstimmungsprozessen sind die Regeln der Befangenheit einzuhalten", fordert die Fachgesellschaft. (maw)

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