Experten raten

Keine Angst vor der Praxisgründung

Neugründung oder Übernahme? Gemeinschafts- oder Einzelpraxis? Stadt oder Land? Auf Praxisgründer kommen viele Entscheidungen zu. Auf Praxisgründer kommen viele Entscheidungen zu. Verunsichern lassen sollten sich Ärzte dadurch aber nicht: Mit der richtigen Vorbereitung kann kaum etwas schief gehen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
In eigener Praxis tätig zu sein ist nach wie vor ein gutes Investment in die Zukunft. Denn Arztpraxen sind von der Konjunktur weitgehend unabhängig, und das GKV-System ist trotz aller Gesetzesvorhaben recht stabil.

In eigener Praxis tätig zu sein ist nach wie vor ein gutes Investment in die Zukunft. Denn Arztpraxen sind von der Konjunktur weitgehend unabhängig, und das GKV-System ist trotz aller Gesetzesvorhaben recht stabil.

© Alliance / fotolia.com

BERLIN. Über das Gründen einer Arztpraxis sind Mythen im Umlauf: Regressgefahr, schmaler Verdienst, vor allem als Hausarzt, hohes wirtschaftliches Risiko. Doch Praktiker haben einen anderen Blick auf das Gründungsgeschehen.

"Wenn man gut vorbereitet in eine Niederlassung hineingeht, wenn man das gut begleitet macht, kann eigentlich kaum etwas schiefgehen", lautete der Tenor der Fachleute bei der gemeinsamen Veranstaltung "Existenzgründung 2.0" der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank), der ETL Steuerberatungsgesellschaft und der "Ärzte Zeitung" in Berlin.

So verwies Nadja Alin Jung von der Beratungsgesellschaft "m2c" (medical concepts & consulting) darauf, dass in den Jahren ihrer Beratungstätigkeit 99 Prozent der Praxisgründungen erfolgreich gewesen seien. Lars Lindenau von ETL berichtete, er habe in 14 Jahren keine Praxisgründung gesehen, die gescheitert ist.

Der Grund: Arztpraxen sind von der Konjunktur weitgehend unabhängig. Und die demografische Entwicklung lässt die Morbidität und somit die Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen steigen.

Stabile wirtschaftliche Basis

Hinzu kommt: Ärzte sind beim Start in die Selbstständigkeit ausgewiesene Fachleute, die viel Berufserfahrung mitbringen. Die wirtschaftliche Basis der Vertragsärzte ist stabil. Unter ihnen werden jährlich rund 40 Milliarden Euro aus den Beiträgen der gesetzlich Versicherten verteilt, Privathonorare kommen obendrauf.

Seit Jahren stellt der Gesetzgeber die Hausärzte und die grundversorgenden Fachärzte besser als hoch spezialisierte Kollegen, und dieser Trend wird mit der aktuellen Gesetzgebung fortgesetzt. Last, but not least: Die aktuellen Bedingungen, um sich Geld zu leihen, seien nicht zu toppen, waren sich die Experten einig.

Praxen werden auch verschenkt

Praxisübernahme in mehreren Schritten

Mit einer Teilzulassung können sich junge Existenzgründer langsam auf ihre Aufgabe als Unternehmer vorbereiten. Manchmal passt dies auch gut in die Lebensplanung junger Ärztinnen oder Ärzte.

Ein erster Schritt in die eigene Praxis kann es auch sein, angestellt bei einem Kollegen zu arbeiten und später die Praxis zu übernehmen.

Die Anstellung beim abgebenden Arzt und der Übergang zur Praxisübernahme lassen sich vertraglich regeln. Das hat Vorteile für beide, der Jungunternehmer in spe gleitet in die Selbstständigkeit hinein, der Altunternehmer aus ihr heraus.

Den anwesenden, potenziellen Existenzgründern stellten sich aber vor allem zwei Fragen: Wie lässt sich der Wert einer zur Übernahme stehenden Praxis ermitteln? Und welche Kosten stehen am Anfang?

Die Antwort des Experten fiel nicht eindeutig aus. Es sei wie bei Immobilien, die Lage spiele eine herausragende Rolle, sagte Lars Lindenau. Auch die Fachrichtung beeinflusse den Wert. Eine allererste Orientierungsgröße biete der Jahresgewinn.

Fachärzte nähmen - immer in Abhängigkeit auch von allen externen Faktoren - oft das 1,1- bis Zweifache des Jahresgewinns als Abstandssumme. Dazu komme der Zeitwert der Geräte. Es gebe aber auch den umgekehrten Fall, dass gynäkologische Praxen oder Hausarztpraxen für einen halben Jahresgewinn weggegangen seien, so Lindenau.

Wer im Nebel stochere und professionelle Hilfe brauche, könne für rund 2000 Euro den Wert einer Praxis schätzen lassen. Die Schätzung diene als Grundlage für die Verhandlungen, betonte Dr. Jürgen Karsten, Vorstand der Steuerberater-Gruppe ETL. Der Praxiswert müsse nicht unbedingt auch der Preis sein.

Der hänge auch an Angebot und Nachfrage. Ein Beispiel: Vor den Stadtgrenzen Berlins würden Praxen sogar verschenkt, ergänzte Martin Evers, Leiter der Berliner Niederlassung der apoBank. Zudem könnten Interessenten fünfstellige Zuschüsse von den KVen erwarten.

Da fällt es auch der Bank leicht, den Zuschlag für eine Finanzierung zu erteilen. Anders sieht es in attraktiven Lagen der Ballungsgebiete aus. Da spielt der ermittelte Wert eine geringere Rolle. "Im Ballungsraum Berlin sprechen wir nicht mehr über den Praxiswert. Da können Sie gleich in ein komplettes Gutachten investieren", sagte Evers.

Ist der Wert ermittelt, folgt die Einschätzung der Bank. Die nimmt zum Praxisumfeld die individuelle Leistungsfähigkeit der Bewerber und ihre Pläne mit unter die Lupe. Und könne dann auch zu dem Ergebnis kommen, eine Übernahme sei bei der individuellen Lebenssituation des Bewerbers vielleicht doch zu teuer, sagte Evers.

Angst vor dem Versorgungsgesetz

Und welchen Einfluss hat die aktuelle Gesetzgebung auf die Chancen, einen Arztsitz zu ergattern? Auch das wollten die jungen Niederlassungswilligen wissen. Hintergrund ist die Absicht des Gesetzgebers, für die Versorgung weniger relevante Praxen aus dem Spiel zu nehmen und in vermeintlich überversorgten Gebieten die Zahl der Praxen zu verringern.

Die zivilrechtliche Situation ändert dies aber nicht. Wer mit einem Abgeber einen Übernahmevertrag zu einer Praxis geschlossen hat, die der Zulassungsausschuss einziehen will, müsse nicht mit gravierenden Problemen rechnen, sagte Lindenau. Der Übernahmevertrag werde nur wirksam, wenn die Nachfolge tatsächlich angetreten werden könne.

Um sicher zu gehen, die Praxis auch übernehmen zu können, sollte der Übernehmer sich vom abgebenden Arzt bestätigen lassen, dass der Zulassungsausschuss den Arztsitz nicht aufkaufen wolle - und der Verkäufer wiederum sollte sich schon vor der Abgabe vergewissern, dass der Sitz nicht eingezogen wird.

Ein neues Schlupfloch könnte Ärzten bald dennoch einen Weg in die guten Lagen der Ballungsgebiete bieten. Wer fünf Jahre in einem unterversorgten Gebiet als Vertragsarzt tätig wird, soll danach privilegiert sein. Das heißt, er kann sich niederlassen, wo er will. Darauf haben sich die Koalitionäre geeinigt.

Kooperation sinnvoll?

Geklärt werden muss aber auch die Frage, ob und welche Kooperation sinnvoll ist. Mit einer Ehe verglichen die Fachleute die Gemeinschaftspraxis. Hier seien die teilnehmenden Ärzte unter einer Arztnummer auf Gedeih und Verderb bei gemeinsamer Leistungserbringung und Haftung aufeinander angewiesen.

Jenseits des Gemeinschaftspraxisvertrags müssten sich die Ärzte in dieser Konstruktion auch in die Augen schauen und gemeinsam Entscheidungen treffen können. Wirtschaftlich seien Gemeinschaftspraxen eine gute Wahl. Dr. Jürgen Karsten beschrieb die Gemeinschaftspraxis als Ablöse der klassischen Einzelpraxis.

"Die Einzelpraxis ist nicht tot, die isolierte Praxis hat ausgedient", sagte Karsten. Die Einzelpraxis mit den richtigen Spezialisierungen und Kooperationen habe hohe wirtschaftliche Relevanz.

Bei der Praxisgemeinschaft stehe dagegen das Teilen von Geräten und Kosten im Vordergrund. Das erleichtere eine Trennung, wenn es denn dazu komme.Gerade für Frauen spielt aber auch das Thema Work-Life-Balance eine zunehmend wichtige Rolle.

Für Frauen, die Kinder haben, sei es unter Umständen ideal, sich gemeinsam um eine Praxis zu bewerben, so Evers. Sie könnten sich eine Zulassung teilen und die Praxiszeiten nach den jeweiligen Bedürfnissen aufteilen.

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