Leistungseinschränkung bei Flüchtlingen

"Wir fordern Ärzte auf, das zu unterlaufen"

Der Allgemeinarzt Professor Gerhard Trabert fordert seine Standeskollegen auf, sich bei der Flüchtlings-Versorgung über gesetzliche Einschränkungen aus ethischen Gründen hinwegzusetzen.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:

Professor Gerhard Trabert

'Wir fordern Ärzte auf, das zu unterlaufen'

© Privat

Professor Dr. Gerhard Trabert ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmediziner sowie Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie..

1997 gründet Trabert den Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“, dessen 1. Vorsitzender er bis heute ist.

2013 in Mainz: Eröffnung einer medizinischen Ambulanz für Menschen in Notlagen, die nicht krankenversichert sind.

MAINZ. Der Allgemeinarzt und Notfallmediziner Professor Gerhard Trabert versorgt in Mainz mit seinem Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" sonst vor allem Obdachlose.

Momentan kümmert sich der Verein aber vorwiegend um Flüchtlinge. Traberts Team hat neben Anamnesebögen in 15 Sprachen auch ein Merkblatt entwickelt, das Ärzte bei der Behandlung und Abrechnung von Leistungen für Flüchtlinge unterstützen soll.

Ebenso eine Patientengesundheitsmappe, die an die Betroffenen ausgehändigt wird.

Ärzte Zeitung : Herr Trabert, wie bewerten sie die Regelungen zur Abrechnung medizinischer Leistungen für Flüchtlinge?

Professor Gerhard Trabert: Für den Arzt ist wichtig, dass er zwischen verschiedenen Flüchtlingspersonengruppen differenziert. Er muss unterscheiden zwischen Asylbewerbern in den ersten 15 Aufenthaltsmonaten, Kontingentflüchtlingen und Papierlosen. Für Kontingentflüchtlinge ist, je nach Bundesland, gar keine Versicherung vorgesehen. Das ist ein Skandal und nicht zu akzeptieren!

Im Zweifel müsste bei akuten Notfällen bei dieser Patientengruppe, wie auch bei Papierlosen, der am 1. März dieses Jahres eingeführte sogenannte Nothelfer-Paragraf (§ 6a Asylbewerberleistungsgesetz - Anm. d. Red.) greifen.

Danach sind Ärzte und Kliniken verpflichtet, Flüchtlinge zu behandeln ohne die persönlichen Daten des Patienten weitergeben zu müssen und können dennoch anonymisiert mit der Sozialbehörde abrechnen - Stichwort Schweigepflicht! Die Praxis sieht allerdings noch anders und wenig patientenorientiert aus.

Ist denn für die Abrechnung von Leistungen für erst kürzlich zugewanderte Asylbewerber alles klar?

Trabert: Nein. Es gibt zwei entscheidende Kritikpunkte. Zum einen kritisieren wir die Leistungseinschränkung auf die Behandlung lediglich von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Das ist in der Praxis überhaupt nicht umsetzbar. Wir fordern Ärzte auf, das unter Berufung auf die ärztliche Ethik zu unterlaufen.

Chronische Erkrankungen müssen ebenfalls behandelt werden. Diese Leistungseinschränkung bei Asylbewerbern ist nicht menschenrechtskonform. Zum anderen ist die Krankenscheinbeschaffung umständlich, kompliziert und nimmt zu viel Zeit in Anspruch.

Es kommt immer wieder vor, dass Menschen sterben, weil sie keinen Behandlungsschein haben. Jeder Flüchtling muss das Recht auf Leistungen zur Gesundheitsversorgung nach dem Sozialgesetzbuch und eine Krankenversicherungskarte erhalten.

Hamburg und Bremen haben nachgewiesen, dass das kostengünstiger ist, weil der Verwaltungsaufwand deutlich sinkt und eine frühzeitige adäquate Versorgung ebenfalls Behandlungskosten spart.

Und die Erstversorgung?

Trabert: Die funktioniert so wie bisher auch nicht. Dazu sind niedrigschwellige Angebote vor Ort nötig. Armut und Gesundheit in Deutschland e.V. fordert deshalb, dass medizinische Sprechstunden in großen Flüchtlingsunterkünften eingerichtet werden. Dann kann es auch mit Impfungen besser funktionieren.

Gerade jetzt vor dem Winter ist das besonders wichtig. Bei Grippefällen etwa ist mit hohen Infektionsraten zu rechnen.

Neben den von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen muss auch die Impfung gegen Pneumokokken angeboten werden. Viele Asylbewerber haben durch die Strapazen der Flucht einen reduzierten Immunstatus, wodurch diese Impfmaßnahmen noch wichtiger erscheinen.

Lesen Sie dazu auch: Probleme und Lösungen: Kommt ein Flüchtling zum Arzt

Das Asylbewerberleistungsgesetz

㤠4: Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt

(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.

(2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.

(3) Die zuständige Behörde stellt die ärztliche und zahnärztliche Versorgung einschließlich der amtlich empfohlenen Schutzimpfungen und medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen sicher. Soweit die Leistungen durch niedergelassene Ärzte oder Zahnärzte erfolgen, richtet sich die Vergütung nach den am Ort der Niederlassung des Arztes oder Zahnarztes geltenden Verträgen nach § 72 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die zuständige Behörde bestimmt, welcher Vertrag Anwendung findet.“

„Paragraf 6: Sonstige Leistungen

(1) Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Die Leistungen sind als Sachleistungen, bei Vorliegen besonderer Umstände als Geldleistung zu gewähren.

(2) Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt.“

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