Hintergrund

Fehler zuzugeben, davor haben Ärzte immer noch Angst

Behandlungsfehler sind für Ärzte ein Problem - wegen der Versicherer, aber auch wegen der Juristen.

Von Eva Richter Veröffentlicht:

Wie gehen Ärzte und Patienten mit Behandlungsfehlern um? Welche Rolle spielen ethische Aspekte dabei, welche Rolle haben die Juristen? Darüber diskutierten im Rahmen der Bonner Reihe "Dialogversuche: Medizin und Theologie im Gespräch" Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), der Kölner Weihbischof Heiner Koch und der Kölner Fachanwalt Hubert Klein. Die Diskussion offenbarte das Problem: Es gibt noch immer ein Denken in Systemen. So sprach der Mediziner über die Angst, Fehler zuzugeben, der Jurist über gesetzliche Regelungen und der Theologe über die Notwendigkeit der Vergebung.

Zunächst betonte Hoppe aber die Aktivitäten der Ärzteschaft bei der Aufklärung von Behandlungsfehlern: Seit 2006 veröffentliche die Bundesärztekammer eine bundesweite Statistik über Art, Häufigkeit und Verteilung der Behandlungsfehler auf die medizinischen Fachgebiete und die Behandlungseinrichtungen. Erkenntnisse aus dieser Statistik würden bereits für Fortbildungen genutzt.

Im Februar dieses Jahres habe die Aktion Patientensicherheit, bei der Ärzte und Pflegekräfte eigene Behandlungsfehler offenbarten, für weitere Offenheit im Umgang mit diesem Thema gesorgt. Innerhalb der Ärzteschaft habe es jedoch kaum positives Feedback auf die Aktion gegeben, so Hoppe. Wenn überhaupt, seien es eher kritische Stimmen gewesen.

Die Angst vor den rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen eines Schuldeingeständnisses ist enorm. Wer seine Schuld eingesteht, verliert möglicherweise seinen Versicherungsschutz, und wer finanzielle Ansprüche anerkennt oder Schadenzahlungen zusagt, hat schon verloren.

Ein Bewusstseinswandel sei jedoch dringend nötig, auch wegen des alarmierenden Anstiegs von Behandlungsfehler-Prozessen, sagt Hoppe. Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Versicherungsprämien der Arzthaftpflicht seien dramatisch: Je nach Fachrichtung erreichen die Prämien mittlerweile schwindelerregende Höhen. Vor allem Gynäkologen und Chirurgen zahlen hohe Beiträge, Jahressummen bis zu 20 000 Euro sind keine Seltenheit. Ein Frauenarzt aus Unterfranken, dem zwei Pannen unterlaufen waren, sollte sogar 66 000 Euro Jahresprämie zahlen, berichtete "Der Spiegel" im März dieses Jahres.

Und der Trend zum Prozessieren nimmt zu: Anwälte empfehlen bei Konflikten zwischen Ärzten, Patienten und Krankenkassen immer häufiger den Klageweg, ergab kürzlich eine Studie zum "Medizinrechts- Beratungsnetz". Auch Fachanwalt Hubert Klein rät Patienten, die eine Rechtsschutzversicherung haben, eher zum Gang vors Zivilgericht.

Dass Klagen aber auch zum Prinzip werden können, schilderte Hoppe am Fall amerikanischer Kollegen: In einem Krankenhaus wurden die Krankenblätter auf Behandlungsfehler abgeklopft, um Material für Schadenersatzforderungen zu sammeln.

Dieses Prinzip könnte auch hierzulande Verbreitung finden, befürchtet Weihbischof Heiner Koch. Versicherungsrechtliche Aspekte, der Gang durch die gerichtlichen Instanzen, die immer häufigere Zwischenschaltung von Juristen verhinderten ein offenes, vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient. "Unsere Gesellschaft muss sich darüber klar werden, dass der Arzt kein Heilsbringer ist, sondern Bestandteil eines komplexen Systems. Und da müssen wir Freiraum schaffen, über Fehler zu reden", so Koch, dem aus seiner Zeit als Studentenpfarrer die Versagensängste der Medizinstudenten noch sehr präsent sind. "Wir müssen uns grundsätzlich - nicht nur auf die Medizin bezogen - fragen: Welche Fehler dürfen sie machen, die Ärzte, die Politiker, die Manager."

"Wir Ärzte müssen offen und gesprächsbereit sein", mahnte Hoppe. Wenn der Arzt offen sei, also beispielsweise - ohne Schuldeingeständnis - den Behandlungsverlauf wahrheitsgemäß darstelle, könnten viele mögliche Klagen verhindert werden, ist der BÄK-Chef überzeugt.

Die Reaktionen aus dem Publikum gaben ihm Recht: Aus den teilweise dramatischen Schilderungen von betroffenen Patienten klang immer wieder der gleiche Vorwurf heraus: Der Arzt hat nicht mit uns gesprochen. Wir fühlten uns nicht ernst genommen. Sonst hätten wir vielleicht anders reagiert.

Die Zahl der Behandlungsfehlerprozesse nimmt alarmierende Züge an.

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