Bei Vorsorgekoloskopien ist Zeitdruck Gift

Für die Internistische Praxisgemeinschaft Neu-Isenburg sind Vorsorgekoloskopien ein wichtiger Honorarblock. Eine Dauerbetreuung wollen die Ärzte nicht leisten.

Von Antonia von Alten Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Es sind einzelne Schicksale, die dem Internisten Hans-Jürgen Lange nicht aus dem Kopf gehen: Vor anderthalb Jahren kam eine 48-jährige Frau mit Blut im Stuhl zu ihm. Bei einer Koloskopie fand Lange einen großen Polypen mit hochgradigen Gewebsdysplasien (HGD) - der Vorstufe eines Kolonkarzinomes. Er entfernte den Polypen noch in gleicher Sitzung endoskopisch, und die Frau hat seitdem keine Beschwerden mehr. Nachuntersuchungen ergaben keinen krankhaften Befund. "Wäre sie drei Monate später gekommen, wäre es zu spät gewesen," sagt der engagierte Werber für die Darmkrebsprophylaxe. Und sein Kollege Dr. Hans-Ulrich Preisendörfer wird nicht müde, seinen Patienten zu erklären:"Darmkrebs ist die einzige Krebsart, die noch vor ihrem Ausbruch diagnostiziert und entfernt werden kann."

Eine dreiviertel Stunde wird für den Eingriff eingeplant

Deutlich mehr als 3000 Koloskopien leisten die drei Gastroenterologen der Internistischen Praxisgemeinschaft Neu-Isenburg jedes Jahr neben ihrem übrigen Diagnostikprogramm - mehr als die benachbarte Uniklinik Frankfurt. 20 Prozent der Koloskopien sind Vorsorgeuntersuchungen. Eine dreiviertel Stunde planen die Sprechstundenhilfen für jede Koloskopie ein. Ein Vorgespräch, dann der Eingriff unter Schlafnarkose (Analgosedierung), nach dem Aufwachen eine Erläuterung des Befundberichts. Die Zeit ist reichlich bemessen. Oft dauert die Koloskopie nur 20 Minuten. Aber: "Viele Patienten sind ängstlich," so Dr. Hans-Ulrich Preisendörfer. "Dann ist Zeitdruck Gift."

Der Eingriff ist für den untersuchenden Arzt anstrengend. Er muss hochkonzentriert arbeiten und sehr genau hinschauen. Vor anderthalb Jahren hat sich die Praxisgemeinschaft zwei neue Endoskopieanlagen mit moderner I-Scan-Technologie angeschafft. Damit, so Lange, "ist die Ausbeute beim Nachweis selbst kleinster Adenome enorm."

Die Qualitätsansprüche an Vorsorgekoloskopien sind hoch: 200 Untersuchungen pro Jahr mit wenigstens 50 Polypektomien muss ein gastroenterologisch tätiger Facharzt gegenüber der KV nachweisen, um zur Durchführung von Koloskopien ermächtigt zu werden, halbjährliche Hygienekontrollen durch autorisierte Fachinstitute sind zum Erhalt der Zulassung obligat. Für die meist angewandte Analgosedierung zur Koloskopie müssen immer zwei Kollegen mit intensivmedizinischer Ausbildung verfügbar sein, eine komplexe notfallmedizinische Ausstattung der Praxis ist Pflicht. Auch an die Medizinischen Fachangestellten und Krankenschwestern, die bei den Koloskopien assistieren, stellen die Praxischefs hohe Anforderungen. Preisendörfer: "Die Bedienung der Geräte ist hochkomplex, die Hygienevorschriften umfangreich."

Der Aufwand lohnt sich für die Praxisgemeinschaft. Von den extrabugdetären Honoraren für die Vorsorgekoloskopien können die Ärzte gut leben. "Ohne diesen Honorarblock hätten wir große Schwierigkeiten," so Preisendörfer. Sind die Internisten also daran interessiert, noch mehr Patienten zu Vorsorgeuntersuchungen zu bewegen? Schon jetzt sind Lange, Preisendörfer und ihr Partner Dr. Markus Bolczek täglich zwischen zehn und zwölf Stunden bei ihren Patienten. "Ein unbegrenztes Wachstum gibt es bei uns nicht," so Preisendörfer. Mittwochs und freitags in den Randzeiten könnten noch einige wenige Untersuchungen eingeschoben werden, fügt Lange an.

Trotz Werbung kommen nur 15 Prozent der Berechtigten

In der Gemeinschaftspraxis warten Patienten maximal etwa 14 Tage auf einen Termin für eine Vorsorgekoloskopie. Von sich aus gehen die Gastroenterologen nicht auf die Patienten zu. Recall-Aktionen sind für sie tabu. "Das würde unter Umständen das Verhältnis zu unseren Zuweiser-Praxen stören", sagt Lange. "Da würde schnell der Eindruck entstehen: ,Die versuchen sich Patienten an Land zu ziehen'". Und das wollen Preisendörfer und Lange nicht. "Wir haben kein Interesse an einer individuellen Dauerbetreuung, stehen aber für die Versorgung chronischer Patienten gerne zur Verfügung. Wir schätzen die Lotsenfunktion der Hausärzte und schicken die Patienten zunächst zu ihnen zurück."

Eigene Werbeaktionen unternimmt die Gemeinschaftspraxis - abgesehen von Fachvorträgen für zuweisende Hausärzte - kaum. Denn, so Lange und Preisendörfer, das sei neben den fachärztlichen Initiativen auch Aufgabe der Krankenkassen. Sie sollten ihre Mitglieder auf die Notwendigkeit der Darmkrebsvorsorge hinweisen - beispielsweise mit einem Brief an alle Anspruchsberechtigten.

Internistische Praxisgemeinschaft Neu-Isenburg

Ärzte: Sechs Fachärzte für Innere Medizin, davon haben drei den Schwerpunkt Gastroenterologie Praxisteam: Acht Krankenschwestern, davon vier für die Endoskopieabteilung, sechs Arzthelferinnen, zwei Mitarbeiterinnen für Organisation und Sekretariat sowie zwei Auszubildende Untersuchungen: Etwa 5000 Endoskopien pro Jahr, davon mehr als 3000 Koloskopien (etwa 20 Prozent Vorsorgekoloskopien inkl. PKV-Untersuchungen) Die Praxisgemeinschaft ist u.a. Mitglied im "Qualitätsnetz-Gastroenterologie-Hessen" (mit fünf regionalen Qualitätszirkeln), im BNG (Bund niedergelassener Gastroenterologen), der DGVS (Deutsche Gesellschaft für Verdaungs- und Stoffwechselerkrankungen), sowie des Hep-Net (Qualitätsnetz Hepatitis). Gründung: Sommer 2002 Internet: www.ipg-neu-isenburg.de

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