Familie oder Praxis: Junge Ärztin fühlt sich allein gelassen

Die Medizin wird weiblich - so heißt es in Schlagzeilen, so hoffen Politiker und trommeln Standesfunktionäre. Zumindest in der Niederlassung aber finden junge Frauen nicht so leicht die erforderlichen Bedingungen, wie das Beispiel von Catherine Walliser zeigt.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Vollzeit-Praxis und Familie mit kleinen Kindern - das ist kaum unter einen Hut zu bringen, lautet die Erfahrung von Hausärztin Catherine Walliser.

Vollzeit-Praxis und Familie mit kleinen Kindern - das ist kaum unter einen Hut zu bringen, lautet die Erfahrung von Hausärztin Catherine Walliser.

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ECKERNFÖRDE. Auf sie setzt unsere Gesellschaft große Hoffnungen: junge Ärztinnen, die eine gute Ausbildung hinter sich haben, leistungsbereit sind, als Hausärzte in die Niederlassung streben und eine Familie mit zwei Kindern haben. Catherine Walliser ist so etwas wie der Prototyp dieser Wunschvorstellung.

Ohne das Einkommen des Ehemanns geht es nicht

Die 35-Jährige lebt in Eckernförde an der Ostsee, führt die Medizinertradition ihrer Familie in dritter Generation fort und hat von ihrem Vater Dr. Falk Büttner die Begeisterung an der hausärztlichen Tätigkeit vorgelebt bekommen und übernommen. Seit 2009 ist Walliser selbst niedergelassene Hausärztin, nachdem sie die Praxis ihres Vaters übernommen hat.

Fast scheint es, als würde die junge Mutter sich für einen Werbefilm eignen, um andere angehende Ärztinnen für den gleichen Weg zu begeistern. Doch davon ist Walliser weit entfernt. Denn die finanziellen Rahmenbedingungen, die sie in ihrer Hausarztpraxis erfährt, sind abschreckend.

Die oft zitierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Ihrem Beispiel bislang nicht gelungen. "Hätte ich keinen Vollzeit arbeitenden Ehemann, könnte ich mir entweder meine Praxis oder meine Familie nicht leisten", sagt Walliser.

Dabei hat sie optimale familiäre Voraussetzungen, um neben der Praxis zwei Kinder groß ziehen zu können. Ihre Eltern und ihre Schwiegereltern leben alle vier in Reichweite und sind bereit, sich an der Kinderbetreuung zu beteiligen. Ihr Mann arbeitet als Freiberufler von zu Hause und kann flexibel seine Zeit einteilen.

Doch Wallisers Wunsch, selbst Zeit mit den Kindern zu verbringen, lässt sich ohne finanzielles Abenteuer oder existenzielle Bedrohung der Praxis nicht realisieren. Walliser wagt es trotzdem, indem sie für eine Übergangszeit einen Praxisvertreter beschäftigt.

Damit wird Ihre Praxis allerdings zu einem Zuschussgeschäft. Denn für ihre 750-Scheine-Praxis bekommt die Allgemeinärztin im Monatsdurchschnitt nach eigenen Angaben 8900 Euro von der KV überwiesen.

Für ihre zwei Mitarbeiterinnen, für die Miete, den Praxiskredit und weitere Kosten muss sie monatlich weit über 6000 Euro aufbringen. Von dem Rest zahlt sie die eigene Krankenversicherung, ihre Altersvorsorge und muss davon leben.

Das Gehalt für einen Praxisvertreter wirft die Praxis nicht ab. Mit einem Kind schaffte es Walliser noch, die Praxis fortzuführen. Seit ihre zweite Tochter im Herbst 2010 aber fünf Wochen zu früh auf die Welt kam, ist sie als Mutter so stark gefordert, dass sie ihre Rolle in der Praxis nicht mehr so ausfüllen kann wie bislang.

Bislang, das bedeutete: Jeden Vormittag Sprechstunde von 8 bis 12 Uhr, an drei Nachmittagen Sprechstunden, Hausbesuche plus die Praxisverwaltung, die entweder nicht delegierbar oder für sie nicht bezahlbar war.

Kürzer treten? Dann würden die Patienten abwandern

Mit anderen Worten: Walliser muss sich entscheiden, ob sie in der Praxis deutlich kürzer tritt oder ihre Kinder kaum sieht. Das zweite ist für sie keine Überlegung wert. In der Praxis kürzer zu treten hätte massive Einnahmeverluste zur Folge.

Der ohnehin geringe Überschuss würde abschmelzen. Sie könnte die Versorgung nicht aufrechterhalten, Patienten würden sich in die Warteschlangen anderer Praxen einreihen müssen.

Einziger Ausweg ist deshalb die Anstellung eines Praxisvertreters, den sie nach langer Suche nun gefunden hat und der vorerst bis zum Frühsommer in ihrer Praxis tätig wird. Weil die Praxis dieses Gehalt gar nicht abwirft, bezuschusst die Familie praktisch die Praxisfortführung.

Eine Fünf-Minuten-Medizin will die Ärztin nicht

"Ich fühle mich mit dem Problem allein gelassen", sagt Walliser. Selbst eine höhere Scheinzahl ist in ihrer Praxis nur sehr begrenzt möglich. Zum einen, weil ihr Verständnis von hausärztlicher Betreuung nicht mit einer Fünf-Minuten-Medizin vereinbar ist, zum anderen ist die Praxis im Wachstum beschränkt.

Grund ist die frühere Trennung ihres Vaters von seinem Praxispartner. Folge war die Limitierung beider Partner auf 750 Scheine. Walliser darf diese Scheinzahl um höchstens drei Prozent im Jahr steigern. In der aktuellen Situation ist dies für sie ohnehin aussichtslos.

Wie Sie mittelfristig Familie und eigene Praxis unter einen Hut bringen soll, weiß Walliser derzeit nicht. Die Medizin wird weiblich - für die Praxen kann dies unter solchen Rahmenbedingungen nicht gelten.

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