MedTech will die Medizin revolutionieren

Try-and-error-Medizin - die Bestandsaufnahme der MedTech-Industrie klingt wenig erfreulich. Unnötig viel Geld werde in Therapien gesteckt, bei der Ursachensuche von Krankheiten werde hingegen gespart. Doch die Hersteller sehen Licht: Neue Verfahren könnten die Diagnostik grundlegend verändern.

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Mit einem integrierten MRT- und PET-Ganzkörpersystem können Veränderungen in Organen und deren Stoffwechsel schnell abgebildet werden.

Mit einem integrierten MRT- und PET-Ganzkörpersystem können Veränderungen in Organen und deren Stoffwechsel schnell abgebildet werden.

© Siemens

MÜNCHEN. Moderne bildgebende Verfahren, die eine frühzeitige Diagnose schwerer Krankheiten ermöglichen, könnten zu einer effizienteren Versorgung beitragen.

In Kombination mit molekularbiologischen und molekulargenetischen Verfahren könnte eine Behandlung dann auch zielgerichteter erfolgen, da unwirksame Therapien oder Nebenwirkungen vermieden werden können, so der Tenor einer Diskussionsveranstaltung über die Medizintechnik der Zukunft.

Eingeladen hatte Siemens Healthcare in die Technische Universität (TU) München. Mit auf dem Podium saßen auch drei Nobelpreisträger.

"Try-and-Error-Medizin" auf Dauer nicht finanzierbar

Eine "Try-and-error-Medizin", wie sie heute zwangsläufig noch vielfach praktiziert werde, sei auf Dauer nicht mehr bezahlbar, schätzte Siemens-Vorstandsmitglied Professor Hermann Requardt. Es werde noch immer unnötig viel Geld für die kurative Medizin ausgegeben, während die Generierung von Wissen über die wirklichen Ursachen von Krankheiten und deren wirksame Behandlung zu kurz komme.

Ziel müsse es sein, die Ressourcen effizienter einzusetzen. "Um richtig entscheiden zu können, brauchen wir mehr Informationen", forderte Requardt.

Eine Möglichkeit bessere Informationen zu generieren biete das weltweit erste integrierte MRT- und PET-Ganzkörpersystem mit simultaner Aufnahmetechnik, das im Herbst vergangenen Jahres im Münchner Klinikum rechts der Isar der TU in Betrieb genommen worden sei.

Durch die Kombination von Magnetresonanz-Tomografie und Positronen-Emissions-Tomografie in einem System werde die Auswahl aus Tausenden von Bildern auf das Wesentliche eingeschränkt und der Arzt somit entlastet, erklärte Requardt.

Mit dem integrierten MRT- und PET-Ganzkörpersystem können Veränderungen in Organen, deren Funktion sowie deren Stoffwechsel gleichzeitig abgebildet werden, erläuterte Professor Markus Schwaiger, Klinikdirektor der Nuklearmedizin im Klinikum rechts der Isar.

Das eröffne völlig neue Möglichkeiten der Diagnostik. Andererseits gebe es aber auch physikalische Grenzen. Nach wie vor könne ein Tumor erst dann erkannt werden, wenn er bereits Millionen von Zellen gebildet habe, so Schwaiger.

Bei der Entscheidung, ob ein Patient auf eine Therapie anspricht, werden nach Schwaigers Ansicht Biomarker zunehmend wichtiger. Auch bei einer möglichst frühzeitigen Diagnose einer Erkrankung werden Biomarker in Kombination mit bildgebenden Verfahren eine zunehmend wichtige Rolle spielen, ergänzte der israelische Wissenschaftler Professor Aaron Ciechanover, der 2004 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte. "Die Entwicklung schreitet rasant voran", sagte Ciechanover.

"Dabei bewegen wir uns allerdings in einem ethischen Minenfeld", fügte Ciechanover hinzu. Es handele sich um sehr intime Daten, deren Bedeutung für die Prognose und für eine mögliche Prävention noch gar nicht erkennbar seien. "Wir sehen Buchstaben, verstehen unter Umständen aber noch nicht die Wörter", sagte Ciechanover.

Die Erwartungen, die mit spezifischen Biomarkern verbunden werden, seien sicher sehr hoch, meinte Professor Werner Arber, im Jahre 1978 Nobelpreisträger für Medizin. Krankheiten würden aber nur in den seltensten Fällen durch eine einzelne genetische Veränderung verursacht.

Die menschliche Gesundheit werde unter anderem auch durch Umweltbedingungen stark beeinflusst. Die komplette Sequenzierung des Genoms werde deshalb allein nicht weiterhelfen, gab Arber zu bedenken.

Sequenzierung des Genoms könnte Verständnis fördern

Dem stimmte auch Professor Hartmut Michel, 1988 Nobelpreisträger für Chemie, zu. Eine Sequenzierung des Genoms könne jedoch zusätzliche Informationen, etwa über die Bindungsfähigkeit bestimmter Arzneimittel an Rezeptoren oder über die Wechselwirkung von Medikamenten liefern.

"Bei multifaktoriellen Erkrankungen wie etwa Diabetes wird es vermutlich aber sehr schwierig werden", sagte Michel. In solchen Fällen müssten die Genomsequenzen ganzer Familien über mehrere Generationen hinweg analysiert werden, erläuterte Michel.

"Noch haben wir nicht die notwendigen Tools, um das rasch wachsende Wissen zu managen", wandte Schwaiger ein. Der Abstand zwischen der Wissenschaft und dem behandelnden Arzt werde immer größer und die Krankheiten immer komplizierter, erklärte er.

Eine der Herausforderungen der Zukunft werde deshalb sein, die zunehmend komplexeren Informationen in Handlungsanweisungen für behandelnde Ärzte umzusetzen.

Auch die Übertragung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung auf die Anwender stoße immer wieder auf Hindernisse, erinnerte Arber. "Wir sind längst nicht immer der gleichen Meinung, und es gibt immer wieder unterschiedliche Empfehlungen", sagte er.

PET-Reglementierungen für Forscher unnachvollziehbar

Das erkenne in Zeiten des Internets inzwischen auch die interessierte Öffentlichkeit. Hinzu komme, dass sich immer häufiger auch Politiker mit wissenschaftsfernen Argumenten zu Wort melden, um etwas zu verhindern oder etwas zu fördern, erklärte Arber.

Ein gutes Beispiel hierfür sei die PET, die in Deutschland aus nicht nachvollziehbaren Gründen stark reglementiert sei, fügte Schwaiger hinzu.

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