Vom Einzelkämpfer zum Unternehmerarzt

Dem Ärztemangel lässt sich mit ganz praktischen Lösungen begegnen: Als um ihn herum Praxen ohne Nachfolger zu schließen drohten, stellte Hausarzt Dr. Stefan Harlfinger kurzerhand Kollegen in Teilzeit an. Und wurde selbst zum Manager des neuen Praxiskonstrukts.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
30 Jahre war Dr. Stefan Harlfinger Einzelkämpfer, heute beschäftigt er fünf Kollegen an zwei Praxis-Standorten.

30 Jahre war Dr. Stefan Harlfinger Einzelkämpfer, heute beschäftigt er fünf Kollegen an zwei Praxis-Standorten.

© privat

ROMROD. Dr. Stefan Harlfinger war mehr als 30 Jahre lang ein typischer Hausarzt: Er kümmerte sich um seine Patienten und war sein eigener Chef.

Heute bezeichnet er sich als Unternehmerarzt und ist Arbeitgeber von fünf Ärztinnen und Ärzten, die Teilzeit arbeiten und auf zwei Standorte verteilt sind.

Im Jahr 2009 war Harlfinger 58 Jahre alt. Seine Kollegen in der kleinen Gemeinde Feldatal waren alle älter als 65 und kurz davor, ihre Praxen zu schließen.

Nachfolger waren nicht in Sicht. Ihm war klar, dass er die Patientenflut, die auf ihn zukommen würde, nicht alleine stemmen kann: "Dann hänge ich am Fliegenfänger."

Der Allgemeinmediziner suchte nach einem Weg, um die Patienten nicht hängen zu lassen und die Versorgung sicherzustellen.

Dabei stieß er auf das Unternehmerarzt-Konzept, das der Kinderarzt und Ökonom Dr. Thomas Becker aus Alsfeld entwickelt hat. Becker hatte Ende 2010 ein Konzept zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung des Vogelsbergkreises erstellt.

Darin schlug er unter anderem eine neue Hausarztstruktur vor, um das Arbeiten als niedergelassener Arzt wieder attraktiver zu machen: Ein Unternehmerarzt kümmert sich um Einrichtung, Betrieb und Erhalt der Praxis und stellt Ärzte an, die Teilzeit arbeiten können, ohne ein unternehmerisches Risiko eingehen oder sich um administrative Aufgaben kümmern zu müssen.

Die Bürgermeisterin packte tatkräftig mit an

Als Organisationsform empfiehlt er die Gründung einer überregionalen Berufsausübungsgemeinschaft und, je nach Größe der Praxis, einen Dienstplan mit mehreren Schichten.

Dieses Konzept fand auch Birgit Richtberg, Bürgermeisterin von Romrod, einer 3.000-Seelen-Gemeinde zwölf Kilometer von Feldatal entfernt, schlüssig. Sie hatte seit 2008 versucht, die drohende Unterversorgung abzuwenden: Der ortsansässige Internist wollte lieber wieder an einer Klinik arbeiten, die junge Ärztin war aus privaten Gründen nach Wiesbaden gezogen.

Zurück blieb ein über 60 Jahre alter Hausarzt, Nachfolger waren nicht zu finden. Sie schrieb Briefe ans Sozialministerium in Wiesbaden, schaltete Anzeigen, gründete einen Arbeitskreis, suchte Hilfe bei der KV in Frankfurt am Main, machte Aushänge an der Uni. Ohne Erfolg.

Dann traf sie auf Harlfinger, der sich vorstellen konnte, seine Tätigkeit auf Romrod auszuweiten. Er beantragte bei der KV die Einrichtung einer Zweigpraxis und einen orthopädischen Kassensitz in Teilzeit für einen Oberarzt einer Klinik in Alsfeld. Die Bürgermeisterin organisierte die Räume und die Stadtverordneten stimmten einem Investitionszuschuss in Höhe von 15.000 Euro zu.

Anfang April 2011 wurde das Hausarztzentrum in Romrod eröffnet. Für den Allgemeinarzt Harlfinger und seine Mitarbeiter hat es sich gelohnt, die Praxis läuft. Pro Quartal werden 2.500 Patienten behandelt. Er plant, nächstes Jahr eine weitere Zweigpraxis im Nachbarort Großfelde aufzumachen.

Man muss lernen zu delegieren

Allerdings hat Harlfinger momentan mehr Arbeit als zuvor - und das auf einem Terrain, auf dem er nicht zu Hause ist, wie er selbst sagt. Betriebswirtschaftliches und unternehmerisches Denken sind für ihn neue Herausforderungen. "Ich habe das nie gelernt, das stresst", erzählt er.

Das Konstrukt des Unternehmerarztes brauche ein ausgefeiltes Praxismanagement. Seine Frau hat ein berufsbegleitendes Studium zur Praxismanagerin gemacht. Sie kümmert sich um Abrechnung und Personalführung - zur Praxis gehören noch fünf Medizinische Fachangestellte.

Außerdem ist Harlfinger jeden Tag - nur am Wochenende hat er frei - in der Praxis. "Man darf das Kerngeschäft nicht vernachlässigen." Die Rückmeldungen der Patienten seien nicht nur positiv -"sie waren schließlich jahrelang auf ihren Doktor fixiert".

Ansonsten sei es spannend und motivierend, solche Strukturen zu schaffen. Delegieren hat der Einzelkämpfer im vergangenen Jahr gelernt.

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