Der Stadtlandarzt - neues Modell für Ärzte?

Unterversorgung droht mittlerweile selbst in der Nähe von Metropolen. Im Süden Hamburgs haben jetzt Ärzte und Landkreis die Initiative ergriffen und suchen gemeinsam Nachwuchs - unter anderem mit Plakaten an U-Bahn-Stationen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Wohnen in Hamburg, aber die Freiheit als Landarzt im Kreis Harburg genießen - damit werben U-Bahnplakate.

Wohnen in Hamburg, aber die Freiheit als Landarzt im Kreis Harburg genießen - damit werben U-Bahnplakate.

© R. Kaminski

WINSEN. Bescheiden sind sie nicht. "Das Beste aus beiden Welten", verspricht die Initiative "stadtlandarzt" aus dem niedersächsischen Landkreis Harburg.

An vielen U-Bahnstationen im nahegelegenen Hamburg lesen die Fahrgäste die lockeren Sprüche zum Thema Hausarztversorgung auf dem Lande nebenan. "Praxis auf dem Land? Wohnen in der Stadt? Das Beste aus beiden Welten".

Oder: "Flexible Arbeitszeiten für Ärztin mit Kind." Mit pfiffigen Ideen und Basisarbeit ködert hier die Politik vor Ort den Hausärztenachwuchs.

Kreis-Vertreter, Ärzte und KV arbeiten Hand in Hand

Das Engagement kommt zur rechten Zeit. Denn die Versorgungslage im Landkreis ist bedenklich: Im Ort Winsen ist der Versorgungsgrad mit Hausärzten bereits auf 75 Prozent gesunken, im Landkreis Harburg auf 86 Prozent, berichtet Sozialdezernent Reiner Kaminski der "Ärzte Zeitung".

75 Prozent markiert schon die Grenze zur Unterversorgung, in Winsen steht die Versorgung mit Hausärzten also auf der Kippe. Da aber der Landkreis-Wert zählt, also 86 Prozent, muss die KV Niedersachsen (KVN) noch nicht aktiv werden.

Kein Grund zum Ausruhen. Der Kreis hat errechnet, dass er in zwölf Jahren nur noch 77 Hausärzte für die 245.000 Einwohner des ländlichen Kreises haben wird - vorausgesetzt die jetzigen Ärzte arbeiten bis zum 68. Lebensjahr.

Wenn sie nur bis zum 60. Lebensjahr arbeiten, wird der Kreis in zwölf Jahren nur noch 45 Hausärzte für 245.000 Menschen im Landkreis haben. Kaminski: "Wir haben zwar nicht den Sicherstellungsauftrag, aber wir haben das Problem. Wir müssen handeln."

"Junge Ärzte wollen bessere Rahmenbedingungen"

Im vergangenen Jahr setzen sich Vertreter des Kreises mit Hausärzten, unter anderem dem Mitinitiator und Hausarzt Dr. Rainer Hennecke, und der KV Niedersachsen zusammen.

In einer Arbeitsgemeinschaft haben sie ein Aktionspapier entworfen und sind offensiv geworden. Ein Ergebnis ihrer Arbeit sind die Plakate in Hamburg.

Flyer und Werbepostkarten werden in den Kneipen ausgelegt oder den Fahrrädern vor der medizinischen Fakultät direkt an den Gepäckträger geklemmt. Außerdem haben sie einen eigenen Web-Auftritt hingelegt: www.stadtlandpraxis.de

"Wir wissen, dass die meisten jungen Ärzte und Medizinstudierenden eigentlich genau so arbeiten wollen wie Hausärzte", sagt Kaminski, "aber sie wollen es unter besseren Rahmenbedingungen tun."

Also hat die AG eine Verbundweiterbildung mit 30 Hausärzten und zwei Kliniken ins Leben gerufen. Vertragspartner sind die KVN, der Kreis und die Kliniken. Der Kreis vermittelt die Stellen.

"Wir können eher für Stellen im Landkreis werben als die KV", sagt Kaminski, "denn die KV muss ganz Niedersachsen im Blick haben."

Per Mail bleiben Studenten im Kontakt mit der Heimat

Da der Kreis auch Jugendhilfeträger ist, bietet er Ärztinnen mit Kindern eine besondere Beratung an. "Das hat bisher allerdings noch niemand in Anspruch genommen", sagt Kaminski.

Zudem unterhält "stadtlandpraxis" ein "Kontakthalteprojekt" für angehende Mediziner. Die Initiatoren wenden sich per E-Mail an die Medizinstudierenden in Göttingen, Hannover und Hamburg.

Wer will, erhält regelmäßig Newsletter aus der Heimat Harburg. "Wir wollen, dass die Studenten, die aus dem Kreis sind, eines Tages zu uns zurückkehren."

2011 hat der Landkreis rund 35.000 Euro ausgegeben, um die Aktionen ins Laufen zu bringen. In diesem Jahr werden es erneut 30.000 Euro sein. "Wir haben eine Fürsorgepflicht für unsere Bürger. Deshalb handeln wir so. Das sieht auch der Sozialausschuss im Landtag so", erklärt Kaminski.

Nicht alle Ideen des Arbeitskreises haben sich indessen als praktikabel erwiesen. "Wir wollten zum Beispiel eine Liste haben, die zeigt, wann welcher Arzt aufhört, um besser steuern zu können", so Kaminski. "Da haben aber die Ärzte nicht mitgespielt."

Ohnedies sei der Mangel groß genug, um auch ohne genaue Zahlen um Nachwuchs zu werben.

Zwei Ärztinnen gehen auf die Avancen ein

Auch der Plan, die Assistenten in Betriebswirtschaft fortzubilden, damit sie bei der Niederlassung auch als Unternehmer fit sind, ist vorerst an der zu geringen Interessentenzahl gescheitert. Der Plan bestehe aber weiter.

Schließlich wollte der Arbeitskreis Ärztinnen in der Familienphase direkt ansprechen und für die hausärztliche Versorgung im Kreis Harburg werben. "Diese Idee ist schlicht daran gescheitert, dass wir nicht wissen, wo die Frauen eigentlich sind", sagt der Dezernent.

Nach den Planungszahlen der KVN müssten im Kreis Harburg jährlich drei bis fünf neue Hausärztinnen und Hausärzte her. Kaminski: "Wenn wir durch unsere Initiative die Hälfte schaffen, dann bin ich sehr zufrieden."

Das Projekt scheint auf einem guten Weg. Im Frühjahr haben sich die ersten beiden Ärztinnen entschieden, auf die Avancen einzugehen, und sind in den Kreis Harburg gekommen: die zweifache Mutter Andrea Wenske in eine Praxis in Winsen und Kirsten Schiebel in eine Praxis in Neu Wulmsdorf.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Problem erkannt und gehandelt

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