Standortwahl

Genaue Analyse reduziert Risiken der Niederlassung

Wo lasse ich mich in eigener Praxis nieder? Die Standortwahl ist für den wirtschaftlichen Erfolg als selbstständiger Arzt die entscheidende Frage. Welche Rolle die Bedarfsplanung dabei spielt und woran Ärzte sich orientieren können – darüber sprach die "Ärzte Zeitung" mit dem Datenanalysten Dr. Bernd Rebmann.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Rebmann, die Bedarfsplanung ist für die Gesundheitspolitik eine Dauerbaustelle. Immer wieder gibt es Nachbesserungsbedarf, weil die Planung der tatsächlichen Versorgungsrealität nicht gerecht wird. Wo sehen Sie als Betriebswirt und Datenanalyst für diese regionalen Bedarfsplanungen Verbesserungspotenzial?

Dr. Bernd Rebmann: Die gesundheitliche Versorgung einer Region ist komplex. Es wirken viele Leistungserbringer auf der Angebotsseite zusammen, genauso wie sich deren Dichte und Wirkungsgrad – etwa durch medizinischen Fortschritt – verändert. Dem steht ein mindestens ebenso rasanter Wandel auf der Nachfrageseite entgegen: Bedürfnisse, Morbidität, Altersstrukturen und auch die Mobilität ändern sich. Eine Bedarfsplanung ist daher immer ein Blick in die Glaskugel – in der Hoffnung, einen Impuls zu setzen für eine bessere Verteilung der Ärzte übers Land.

Wie können diese Informationen Ärzten Hinweise geben, ob ein Standort zum Beispiel attraktiv für die Niederlassung ist?

Die Bedarfsplanung – auch eine reformierte – wird aus betriebswirtschaftlicher Sicht auch in Zukunft nur eines von vielen Mitteln sein, um die Attraktivität eines Praxisstandortes zu beurteilen. Es ist erstaunlich, wie wenig sich viele Ärzte mit ihrem Standort auseinandersetzen, obwohl darin sehr viele Fragen des Praxismanagements und auch der Praxisstrategie begründet sind.

Welche wären das?

Entscheidend für den zukünftigen Praxiserfolg sind zum Beispiel:

- Welchen Anteil am Gesamtpatientenpotenzial habe ich eigentlich?

- Wie verändert sich mein Patientenpotenzial in Zukunft (aufgrund Geschlecht, Altersgruppen, Beschäftigung, Patientenströme, Morbidität)?

- Wie verändert sich der Wettbewerb? Wer scheidet aus, wer kommt hinzu?

- Muss ich mein Leistungsspektrum ändern? Muss ich einen Arzt anstellen oder vielleicht durch eine Spezialisierung mein Einzugsgebiet ausdehnen?

Derartige Fragen sind zum Teil höchst individuell zu beantworten und das Daten-Setting, das man braucht, ist ebenso individuell. Es gibt Daten und es gibt Möglichkeiten aus diesen die richtigen Schlussfolgerungen für diese Praxis an diesem Standort zu ziehen.

Ist es richtig, wenn ein Arzt sich vor der Niederlassung vor allem am Versorgungsgrad der Region orientiert?

Der Versorgungsgrad ist sicherlich ein wichtiges Kriterium, um zu entscheiden, ob eine Neugründung überhaupt in Frage kommt oder nur eine Praxisübernahme möglich ist. Bei einem Versorgungsgrad über 140 Prozent besteht außerdem immer zumindest theoretisch die Gefahr des Praxisaufkaufs durch die KV. Diese Entscheidung fällt erst in einer sehr späten Planungsphase durch den Zulassungsausschuss. Erst dann besteht Planungssicherheit. Aber am Ende entscheiden natürlich noch andere Faktoren über die Standortwahl: Sind Kita-Plätze für die Kinder vorhanden? Findet der Partner eine Arbeit?

Gehen wir einmal ein Beispiel durch: Ein Hausarzt will sich etwas abseits einer Metropolregion in einer Mittelstadt niederlassen. Wonach kann er sich richten, um seine Perspektiven für die Praxis abzuschätzen? Wie setzt er die richtige Gewichtung?

Wenn der Hausarzt eine erste Einschätzung braucht, dann hilft die Regionalanalyse in unserem ATLAS MEDICUS® weiter. Auf grün-rot eingefärbten Landkarten sieht der Arzt, eine Gesamtbeurteilung, die sich aus der Zusammenführung von folgenden Standortkriterien für eine Fachgruppe in der jeweiligen Region ergibt:

- Aus altersadjustierten Ausgabenstatistiken der Kassen zu ihren Versicherten berechnen wir das GKV-Umsatzpotenzial einer Region.

- Es werden demografische Faktoren je Region - wie insbesondere die Kaufkraft – hinterlegt, um das privatärztliches Umsatzpotenzial abzuschätzen.

- Eine niedrige Ärztedichte je Einwohner geht positiv ein.

Aus der Gewichtung ergeben sich die Farbstufen, wobei Grün günstige regionale Bedingungen impliziert. Dies ermöglicht eine Auswertung für eine ganze KV-Region quasi "auf einen Klick". Auch eine solche Analyse verkürzt natürlich die Realität. Zugegebenermaßen bilden wir auch keine Entwicklungsfaktoren in diesem ersten vereinfachten Zugang zur Region ab.

Woher bekommt ein Arzt sonst verständliche und aussagekräftige Daten und Informationen für seine Standortentscheidung?

Die KVen sind sicherlich valide Datenquellen, wenn man ihre Berater persönlich anspricht. Demografische Daten erhält man – außer im Atlas Medicus® – an vielen Stellen im Internet, oft kostenlos zugänglich über statistische Landes- oder Bundesämter. Schwieriger wird es mit Morbiditätsdaten. Ich denke, es geht hier letztlich nicht um die Frage: "Wo kriege ich was?", sondern eher darum, ob der Arzt der geeignete Spezialist ist, um sich mit Research von Standort-Daten auseinander zu setzen – oder ob er nicht doch besser einen qualifizierten Berater hinzuzieht.

Supermarktketten beauftragen Dienstleister mit einer Standortanalyse, bevor sie eine Filiale aufmachen. Was würden Sie einem Einzelarzt für eine langfristig orientierte Wettbewerbsanalyse empfehlen?

Die Supermarktkette ist ein perfektes Beispiel: Denn während diese viele Standorte hat und damit eine Verteilung des Risikos stattfindet, hat der Arzt in der Regel nur einen einzigen Standort. An diesem einen Standort akkumuliert sich das Risiko in Bezug auf Patientenpotenzial, Wettbewerb, Personal und die gesamte Gebietsinfrastruktur. Um diese Risiken im Griff zu haben, sollte der Arzt die Standortanalyse als Sicherungsinstrument Nummer 1 der Praxis ansehen. Es gilt, Frühindikatoren zu erkennen, die eine wesentliche Veränderung im Umfeld anzeigen und eine entsprechende Anpassung des Leistungsspektrums möglicherweise erforderlich machen.

Was bedeutet das konkret?

Nehmen Sie ein Beispiel: Will der Arzt an einem Standort expandieren, so setzt dies ein entsprechendes Patientenpotenzial vor Ort voraus. Eine so wichtige Entscheidung, die über den zukünftigen Erfolg und Misserfolg der Praxis entscheidet, sollte also erst getroffen werden, wenn das Patientenpotenzial heute und morgen auf Basis relevanter Faktoren als positiv angesehen werden kann. Angestellte Ärzte leisten oft auch nicht das Arbeitspensum eines Freiberuflers und der Leistungsgrad sollte insofern eher vorsichtiger beurteilt werden. Ein Einzelarzt kann alternativ natürlich auch sein Einzugsgebiet erweitern – etwa durch Spezialisierung. Aber auch hier sollte klar sein, ob für dieses Spezialgebiet ausreichend Patienten vorhanden sind.

Was ändert sich, wenn es um eine große BAG geht?

Bei einer BAG wird die Komplexität der Patientenleistung erhöht, und es ergeben sich vielfältige Überschneidungen zwischen den teilnehmenden Ärzten, Fachgebieten, den Gerätschaften und Abrechnungsformen. Hier spielt die Zuweiserthematik eine große Rolle, genauso wie Pendlerströme oder der Wettbewerb durch stationäre Einrichtungen. Je höher die Verdichtung der medizinischen Leistung in einer Region ist – also je intensiver der Wettbewerb –, um so eher ist eine individuelle und regelmäßige Standortanalyse angeraten. Kostenlos ist eine solche Analyse mit hohem fachlichen Aufwand – zum Beispiel GEO.CUE – natürlich nicht zu haben.

Rechnet sich eine solche Investition tatsächlich?

Die Standortanalyse spielt im modifizierten Ertragswertverfahren für die Objektivierbarkeit des Goodwills eine große Rolle. Der vereidigte Sachverständige für die Bewertung von Arztpraxen Frank Boos, mit dem wir zusammenarbeiten, lässt sich an dieser Stelle gut zitieren: "Bei der Bewertung von Praxen wird deutlich, dass der Standort aufgrund der entsprechenden Präferenzen des übernehmenden Arztes das wesentliche Bewertungskriterium darstellt. Folglich kommt es überall dort, wo keine valide Erhebung der Standortwertigkeit vorgenommen wird, zu Fehleinschätzungen in Form von Über- beziehungsweise Unterbewertungen." Ich würde für diese Informationen bis zu ein Prozent des Umsatzes investieren. Auf lange Sicht rechnet sich das auf jeden Fall.

Dr. Bernd Rebmann

- Aktuelle Position: Gründer und Geschäftsführer der REBMANN RESEARCH GmbH & Co. KG sowie der REBMANN TECHNOLOGY GmbH mit Sitz in Schramberg und Berlin; seit 20 Jahren Datenanalyst, Entwickler des Atlas Medicus®

- Werdegang: Studium der BWL an der LMU München und Promotion: Hochschule St. Gallen

- Infos im Internet:www.rebmann-research.de/geo.cue.de

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