Risikomanagement

So wird die Pflicht zum nützlichen Werkzeug

Zum Praxis-QM gehört auch die Pflicht, ein eigenes Risikomanagement zu etablieren. Ein Onkologiezentrum in Westfalen zeigt, mit welch einfachen Mitteln die Pflicht zum Mehrwert führt.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Risikobesprechung via App: QM-Berater Mike Peter (rechts) hat im Onkologiezentrum eine Balanced-Scorecard, die über Tablet läuft, eingesetzt. Die App weist mittels Ampelfarben Dr. Thomas Hamm und seine Kollegen auf kritische Bereiche hin.

Risikobesprechung via App: QM-Berater Mike Peter (rechts) hat im Onkologiezentrum eine Balanced-Scorecard, die über Tablet läuft, eingesetzt. Die App weist mittels Ampelfarben Dr. Thomas Hamm und seine Kollegen auf kritische Bereiche hin.

© Höhl

SOEST. "Nach einem langen Arbeitstag hat man nicht mehr viel Energie fürs QM."

Schon gar nicht in einer großen Einheit mit onkologischer Schwerpunktpraxis und angeschlossener Privatklinik. Dr. Thomas Hamm, onkologisch verantwortlicher Arzt im Onkologiezentrum Soest-Iserlohn, spricht sehr offen eine Schwierigkeit des Qualitätsmanagements (QM) an, mit der viele Praxen zu kämpfen haben.

Dabei hat das Team der Praxis - die mit insgesamt fünf Ärzten 2300 Patienten pro Quartal versorgt, einen weiteren Standort betreibt und in der Privatklinik 23 Betten vorhält - jahrelang versucht, in Sachen QM allein klar zu kommen.

Ende 2012 hat die Praxis sich dann fürs QM nach KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) entschieden und sich mit Praxisberater und QM-Experte Mike Peter aus Landau externe Unterstützung geholt.

Die neue Pflicht kam zur rechten Zeit

Die neue Anforderung an die Vertragsarztpraxen, auch ein Risikomanagement in ihr QM zu integrieren, kam gerade zur rechten Zeit.

Denn, so Allgemeinmediziner Hamm: "Wir hatten die Abläufe schon vor KTQ strukturiert. Uns ging es um die Frage, wie wir noch mehr Sicherheit für die Patienten und Mitarbeiter in die Abläufe bekommen."

Das QM sollte vor allem die Schnittstellen zwischen Anmeldung, Diagnostik, Therapie, aber auch zur Versorgung in der Klinik transparenter machen und helfen, Kommunikationslücken zu schließen.

"Jetzt haben wir das Risikomanagement zusätzlich in unser QM aufgenommen", berichtet Hamm. Genau damit sind die Bereiche abgebildet, die für die Patienten- und Mitarbeitersicherheit, aber auch für die gesamte Einrichtung als wirtschaftliche Einheit kritisch werden könnten.

Drei Fragen sind entscheidend

Auch Mike Peter bestätigt, dass das Risikomanagement ein zusätzliches Werkzeug, aber durchaus kein Hexenwerk ist. Das Wichtigste sei, dass man sich mit dem Thema pragmatisch auseinandersetze.

"Die Praxen machen alle schon längst Risikomanagement, sie müssen es nur in die richtige Form bringen", so Peter. Fast überall würden bereits Fehler aufgenommen oder es gebe ein Hygienemanagement mit konkreten Risikoszenarien. Peter: "Das alles ist Risikomanagement."

Entscheidend, um Risiken zu entlarven, sind laut Peter drei Fragen: "Was könnte für mich existenziell werden? Was könnte die Patienten- oder Mitarbeitersicherheit gefährden?

Und was könnte meinem Image schaden?" "Für uns war auch wichtig, wie wir das Risikomanagement ohne großen Aufwand in die täglichen Arbeitsabläufe integrieren können", sagt Hamm.

"Wir wollten nicht irgendein QM-System damit bedienen, sondern ein Instrument haben, das es uns im Praxisalltag einfach macht, mehr Sicherheit zu leben."

15 Kriterien sind mehr als genug

Wie das geht? Zunächst hat sich die Praxis Schritt für Schritt nicht nur dem QM, sondern auch dem Risikomanagement genähert. Den Start habe das Fehlermanagement gemacht, berichtet Peter.

Darauf wurde dann sukzessive aufgebaut. Insgesamt 15 Kriterien hat die Praxis ins Risikomanagement gehoben. Peter rät dringend davon ab, das Risikomanagement zu überfrachten.

Zudem sei es kein statisches System: "Wenn man merkt, dass ein Bereich gut läuft, kann man dafür einen anderen aufnehmen. Es macht keinen Sinn, immer dieselben guten Ergebnisse zu messen.

Wichtig ist zudem, dass - wenn das Risiko benannt wird - auch direkt versucht wird, es zu quantifizieren.

Im Onkologiezentrum Soest-Iserlohn sind als Risiken etwa die Fragen definiert worden: Wie oft kommen pro Jahr Paravasate vor? Wie oft pro Jahr kommt es zu Nadelstichverletzungen? Oder wie oft kommen in der Klinik Stürze auf den Stationen vor?

Das Quantifizieren der Risiken ist deshalb so wichtig, weil die neuen Regeln in der QM-Richtlinie fordern, dass die Risiken überwacht werden - das geht nur über Kennzahlen, die sich die Praxis selbst schaffen muss.

Nachdem die Risiken nun benannt waren, hat das Leitungsteam die Risiken aus zwei Perspektiven heraus bewertet. Zum Leistungsteam gehören fünf Mitarbeiter, jeweils einer aus Verwaltung, Station, Therapie, Administration und Diagnose sowie Thomas Hamm und Mike Peter.

"Wichtig waren bei der Bewertung die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Frage, wie die Auswirkungen einzuschätzen sind", erläutert Peter. Anschließend ging es darum, die Umsetzung der Maßnahmen, aber vor allem auch den Überprüfungs- und Steuerungsprozess so einfach wie möglich zu gestalten.

Dazu hat Peter ein Instrument eingesetzt, das dem Leitungskreis anschaulich auf einem Tacho in Ampelfarben vermittelt, wann Risiken für die Einrichtung gefährlich werden.

App mit Ampelsystem hilft

Peter: "Die Praxis nutzt eine Balanced-Scorecard, die über eine App auf dem Tablet läuft." Hamm ist sichtlich begeistert von dem Instrument, denn die Praxis kann es für ihre eigenen Belange mit Kennzahlen und zugehörigen Daten füttern.

Dabei ist die Balanced Scorecard ein Messsystem, das aus der Betriebswirtschaft stammt. Ausgehend von einer Unternehmensstrategie, die auch Belange der Mitarbeiter berücksichtigt, werden kritische Erfolgsfaktoren bestimmt.

Für diese wird über bestimmte Kenngrößen und Sollwerte ein schnell zu überschauendes Kennzahlensystem erstellt. Im Onkologiezentrum Soest-Iserlohn wurde das so gelöst, dass die Mitarbeiter in den einzelnen Abteilungen zu einfachen Kennzahlen wie der Anzahl der Paravasate Strichlisten führen - um den Aufwand gering zu halten.

Hamm und Peter pflegen diese Daten dann zentral in die App ein, einmal monatlich werden die Kennzahlen und ihre Ergebnisse im Leitungskreis besprochen.

Laut Hamm ist es dabei ganz klar von Vorteil, wenn man beim Risikomanagement und QM mit Bereichen anfängt, die Patientensicherheit und Mitarbeiterschutz betreffen und nicht zuerst mit rein wirtschaftlichen Aspekten startet.

"Es ist wichtig, dass man seinen Mitarbeitern vermittelt, dass man sie im ganzen QM nicht aus den Augen verliert." Spannend war für Hamm, wie viele Verbesserungsvorschläge und Ideen von den Mitarbeitern kamen.

Ein Problem war für die große Einrichtung, in der insgesamt 55 Mitarbeiter tätig sind, immer die Durchdringung - also es zu schaffen, alle Mitarbeiter auf demselben Informationsstand zu halten.

Das hat die Praxis neben einem E-Mail-Newsletter und regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen nun auch durch ein webbasiertes QM-Handbuch gelöst, auf das alle jederzeit zugreifen können.

"Außerdem haben wir einen Meldebogen hinterlegt", berichtet Peter. Über diesen können die Mitarbeiter kritische Ereignisse direkt weiterleiten.

Sanktionen sind ein No-Go

Peter: "Ganz entscheidend ist beim Risikomanagement, wie offen eine Organisation mit Fehlern umgeht." Trauen sich die Mitarbeiter etwa, auch den Chef auf Fehler hinzuweisen?

"Wir haben die Sanktionsfreiheit bei kritischen Ereignissen deshalb ganz klar im Risikomanagement-Konzept festgeschrieben." Im September steht für Praxis und Klinik die Zertifizierung nach KTQ an, gelohnt hat sich die Mühe laut Hamm aber schon jetzt:

"Man merkt, dass die Mitarbeiter mehr Klarheit über die Prozesse und unser Leitbild haben." Durch das QM habe aber auch die Geschäftsleitung noch einmal wahrgenommen, was der einzelne Mitarbeiter alles an Aufgaben bewältigt.

Seit 2003 ist Mike Peter als QM-Berater und Auditor für Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, Pflegedienste, Pflegeheime und Rehakliniken tätig.

www.mpp-group.de

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