Hintergrund

Betreuungsrecht lässt Ärzten Behandlungsspielräume

Rund 1,3 Millionen Bundesbürger können ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht selbst regeln - sie haben dafür einen Betreuer. Doch Ärzte können Einfluss nehmen.

Von René Schellbach Veröffentlicht:

Rund 1,3 Millionen Bundesbürger können ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht selbst regeln - sie haben dafür einen Betreuer. Die Gründe sind vielfältig, sie reichen von der Psychose über eine geistige Behinderung bis hin zu Demenz oder Suchterkrankungen. Brauchen die Betroffenen eine ärztliche Behandlung, ist der erste Ansprechpartner für den Arzt der jeweilige Betreuer.

Seit dem 1. September gilt die neue gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung, doch die Verfügungen sind nur eine Willenserklärung zur ärztlichen Behandlung. Wenn geregelt werden soll, welche Person den Patientenwunsch notfalls durchsetzt, ist eine separate Vorsorgevollmacht nötig. Denn unterbleibt dies, bestellt letztlich das Gericht einen Betreuer. Fast zwei Drittel aller Betreuer sind Familienangehörige. Aber auch Betreuungsvereine, Anwälte und Berufsbetreuer werden als Betreuer eingesetzt.

Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind erheblich: Je tausend Einwohner gab es zum Jahresende 2008 in Baden-Württemberg 9,9 Betreuungen, in Mecklenburg-Vorpommern dagegen 19,4. Bei den Erstbestellungen lag in den letzten Jahren das Saarland deutlich vorn.

Auch in der Art der Betreuung gibt es Unterschiede: Während Familienangehörige meist eine umfassende Vollmacht haben, werden Fremde je nach Art des Falles mit einzelnen Rechtskreisen betraut. Dazu zählen etwa die Betreuung des Vermögens oder der Gesundheit. Mit diesen Abstufungen sollte die frühere Entmündigung abgeschafft werden.

Doch "viele Ärzte machen es sich zu leicht", kritisiert Frida Nahas, bayerische Landesvorsitzende des Bundesverbandes der Berufsbetreuer (BdB). "Oft schauen sie nur: Gibt es einen Betreuer? Dann soll der entscheiden." Ärzte und Kliniken, so glaubt Nahas, wollen Haftungsrisiken ausschließen, auch wenn der oder die Betreute im Einzelfall durchaus noch in der Lage ist, den eigenen Willen zu artikulieren. "Ärzte sollten mehr Verantwortung übernehmen und den Patientenwillen erkunden."

"Für den Hausarzt ist das in der Praxis allerdings nicht immer leicht", weiß Frida Nahas. Oft würden die Betroffenen von Angehörigen ins Sprechzimmer begleitet, und deren Interessen könnten unterschiedlich sein. "Wenn der Sohn das Erbe im Blick hat oder der Ehepartner den Betroffenen übertrieben bevormundet, dann sollte der Arzt aufmerksam werden." Die Berufsbetreuerin aus Nürnberg macht darauf aufmerksam, dass Ärzte bei der Betreuungsstelle auch anonym eine Betreuung anregen können.

Zuständig sind in der Regel die Sozialdezernate in den Kreisverwaltungen und Landratsämtern. Egal ob anonym oder mit Praxisstempel - das zuständige Amt schickt dann einen Vertreter des Gesundheitsamtes zu dem oder der Betroffenen und macht sich ein eigenes Bild.

Gar nicht glücklich ist der BdB mit der Berufsbezeichnung der Betreuer. Denn schließlich lege der Begriff nahe, dass Betreuer den gesamten Alltag begleiten. Nahas: "Wir sind weder Haushaltshilfe noch für die Pflege zuständig, aber wenn es nötig ist, kümmern wir uns darum, dass jemand ins Haus kommt." Nach der Startphase bekommen Berufsbetreuer monatlich zwei Stunden für Betreute bezahlt, die in einem Heim leben. In allen anderen Fällen sind es dreieinhalb Stunden.

Viel Zeit für die Begleitung zum Arzt bleibt da nicht. Doch Nahas sieht das gelassen: "Manche unserer Klienten sind misstrauisch gegen jedermann. Dann gehen wir halt mit zum Doktor, auch bei einem ganz normalen Routinetermin."

So steht es im Gesetz

Paragraf 1904 BGB Absatz 4: "Eine Genehmigung (für ärztliche Behandlungen durch das Betreuungsgericht, Anm. d. Red.) ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem festgestellten Willen des Betreuten entspricht."

Weitere Informationen: http://bit.ly/dzivEi

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