Hinter privaten Gittern - zu Recht

Der privatisierte Maßregelvollzug in Hessen war heftig umstritten. Kritiker sahen Grundrechte verletzt, wenn eine private Klinik psychisch kranke Straftäter einsperrt. Kein Problem, haben jetzt die Karlsruher Verfassungsrichter entschieden - und neue Grenzen gezogen.

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Eingesperrt im privaten Maßregelvollzug: Kein Problem für Karlsruhe.

Eingesperrt im privaten Maßregelvollzug: Kein Problem für Karlsruhe.

© Führer / dpa

KARLSRUHE (mwo). Die Privatisierung des Maßregelvollzugs in Hessen ist nicht verfassungswidrig.

Sie ist eine zulässige Ausnahme, weil sie die staatliche Verantwortung für staatliche Aufgaben nicht ernstlich infrage stellt, urteilte am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Eine Privatisierung in komplett privater Verantwortung wäre danach aber unzulässig.

Die Einrichtungen zur Behandlung suchtkranker und psychisch kranker Straftäter wurden in Hessen 2007 einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH) übertragen. Träger sind der Landeswohlfahrtsverband (LWV) und die Klinik-Tochter des LWV Vitos.

Der LWV ist auch der überörtliche Sozialhilfeträger und liegt in der Hand der Kommunen. Laut Grundgesetz sind hoheitliche Aufgaben "in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen".

Der Beschwerdeführer wurde nach einem aggressiven Ausbruch durch Mitarbeiter der rechtlich privatisierten gGmbH ohne Rücksprache mit der Klinikleitung eingeschlossen. Solch einen Eingriff in seine Grundrechte dürften aber nur Beamte anordnen und durchführen, argumentierte er.

Eine zulässige Ausnahme

Das Bundesverfassungsgericht wies seine Verfassungsbeschwerde nun jedoch ab. Die "rein formelle" Privatisierung des Maßregelvollzugs sei eine nach dem Grundgesetz "zulässige Ausnahme". Denn letztlich bleibe der LWV verantwortlich.

Ziel sei es gewesen, auch mit dem Maßregelvollzug alle psychiatrischen Einrichtungen beim LWV zu bündeln. Leitung und Ärzte der Einrichtungen seien beim LWV beschäftigt, argumentierte das Bundesverfassungsgericht weiter.

Die Mitarbeiter der privatisierten gGmbH seien an deren Weisungen gebunden. Ihnen bleibe "allenfalls ein schmaler Ermessensbereich" für eigene Entscheidungen.

Zu diesem Ermessensbereich gehören - wie im Fall des Beschwerdeführers - nach den hessischen Regelungen auch akute "Sicherungsmaßnahmen". Diese seien aber nur vorläufig und sofort an die Einrichtungsleitung zu melden, betonten die Karlsruher Richter.

Die "demokratische Legitimation hoheitlichen Handelns" bleibe damit ausreichend gewahrt. Auch die Kontrolle des Maßregelvollzugs durch Aufsichtsbehörden und hessischen Landtag werde durch seine "rein formelle" Privatisierung nicht beeinträchtigt.

Az.: 2 BvR 133/10

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Forensik ist Psychiatrie

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