Leitartikel zum Streit um Lucentis®

Zwischen Recht und Sparwahn

Nächste Stufe im Dauerkonflikt um den VEGF-Hemmer Ranibizumab: Am Dienstag entscheidet das Landgericht Hamburg, ob das Arzneimittel gegen AMD ausgeeinzelt, gepoolt und in Fertigspritzen abgefüllt verkehrsfähig ist.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Intravitreale Injektion: Der Streit um den VEGF-Hemmer Lucentis® (Ranibizumab) beschäftigt aktuell das Landgericht Hamburg.

Intravitreale Injektion: Der Streit um den VEGF-Hemmer Lucentis® (Ranibizumab) beschäftigt aktuell das Landgericht Hamburg.

© Uniklinik Ulm, Heiko Grandel

Das deutsche Gesundheitssystem, so gut es generell sein mag, weist Schmutzecken auf, deren Eliminierung sich als schier unmöglich erweist. Ein seit Jahren die Rechtsaufsicht, die Gerichte und die Fachöffentlichkeit beschäftigender Fall ist der VEGF-Hemmer Lucentis® (Ranibizumab).

Aktuell hat das Landgericht Hamburg zu entscheiden, ob das Unternehmen Apozyt, das sich auf die Herstellung steriler Rezepturarzneimittel spezialisiert hat, den Inhalt mehrerer Durchstechflaschen des Arzneimittels zusammenkippen, in Fertigspritzen abfüllen und diese dann Ärzten zur Verfügung stellen darf. Eine eigene Zulassung dafür besitzt Apozyt nicht.

Vor dem Hintergrund eines bereits vor einiger Zeit ergangenen Urteils des Hanseatischen Oberlandesgerichts, wonach einem Apotheker die Auseinzelung und Abfüllung in Fertigspritzen untersagt worden war, bemühte das Landgericht Hamburg den Europäischen Gerichtshof, wie der Herstellungsbegriff auszulegen ist und ob danach das Procedere von Apozyt einer eigenen Zulassung bedarf.

Der EuGH entschied, eine gesonderte Zulassungspflicht gebe es dann nicht, wenn das Arzneimittel nicht verändert wird und wenn die jeweilige Fertigspritze aufgrund eines individuellen Rezepts angefertigt wird.

Pharmazeuten teilen Profit mit GKV

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht nun die Tatsachen juristisch zu bewerten. Der - ökonomische - Anreiz, Ranibizumab aus mehreren Durchstechflaschen zu poolen und dann auf Fertigspritzen aufzuziehen, ergibt sich aus etwas komplizierten technischen Zusammenhängen: In der Originaldurchstechflasche sind 0,23 Milliliter Ranibizumab enthalten.

Doch therapeutisch notwendig sind nur 0,05 Milliliter - weniger als ein Viertel. Also denken schlaue Pharmazeuten: Aus eins mach' vier und teile den Profit mit der GKV.

So richtig funktioniert das aber nur, wenn der Inhalt mehrerer Ranibizumab-Fläschchen zusammengekippt und dann in die Spritzen verfüllt wird. Dieser Vorgang weckt Zweifel daran, dass es sich um eine Individualrezeptur handelt, und das haben die Richter zu bewerten.

Ferner müssen sie sich eine Meinung bilden, ob der Umfüllvorgang das Arzneimittel verändert. Klinische Studien gibt es nicht.

Wohl aber Laboruntersuchungen, die zeigen, dass die wichtige Bindungsaffinität von Ranibizumab ab dem ersten Tag nach Umfüllen in eine Fertigspritze abnimmt - das Arzneimittel somit an Wirksamkeit verliert.

Streit auf dem Rücken der Patienten

Dass erneut - diesmal unter dem Aspekt des Wettbewerbsrechts von einem Landgericht - entschieden werden muss, wie mit dem VEGF-Hemmer in der Versorgungspraxis umzugehen ist, verwundert vor dem Hintergrund bereits existierender Rechtsprechung und der Rechtsauffassung etwa des Bundesversicherungsamtes (BVA).

So hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen die Auseinzelung als unzulässig bewertet. Auch das BVA hat hierzu ebenso wie zum unzulässigen Off-Label-Use mit Avastin® eine eindeutige Auffassung.

Manche Kassen, die KBV, der GKV-Spitzenverband und der Bewertungsausschuss stehen offenbar über dem Recht. Sie sind ja auch nicht Adressaten des Patientenrechtegesetzes.

Denn eine wesentliche Ursache für die Arzneimittelpanschereien ist die Tatsache, dass es - trotz mehrmaliger Ermahnung des Bundesgesundheitsministeriums - bis heute keine EBM-Ziffer für die intravitreale Injektion gibt.

Der Streit um die Kostenerstattung für die Behandlung wird immer wieder auf den Rücken von Patienten verlagert - auch unter Inkaufnahme schwerer Risiken.

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