Transplantations-Prozess

Patient benötigte gar keine neue Leber

Im Prozess gegen den früheren Leiter der Transplantationschirurgie am Göttinger Universitätsklinikum haben am Dienstag zwei Gutachter den Angeklagten belastet.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Der Angeklagte sieht sich weiteren Vorwürfen ausgesetzt.

Der Angeklagte sieht sich weiteren Vorwürfen ausgesetzt.

© Swen Pförtner/dpa

GÖTTINGEN. Der frühere Leiter der Transplantationschirurgie am Göttinger Universitätsklinikum sieht sich weiter schweren Vorwürfen ausgesetzt.

Sowohl der Leiter der Klinik für Transplantationsmedizin in Gent (Belgien), Professor Xavier Rogiers, als auch der Leiter der Klinik für Allgemein- und Gefäßchirurgie der Universität Frankfurt, Professor Wolf Bechstein, kommen in ihren Gutachten zu dem Schluss, dass es bei einem Patienten aus Osterode keine Indikation für eine Lebertransplantation gegeben habe.

Der Angeklagte hatte dem 57-Jährigen im Herbst 2010 eine Spenderleber eingepflanzt, obwohl dieser zu dem Zeitpunkt beschwerdefrei war.

Nach der Transplantation kam es zu schweren Komplikationen. Der Patient wurde dann erneut transplantiert und starb ein Jahr nach der ersten Leberverpflanzung.

Am unteren Ende der Warteliste

Zum Zeitpunkt der ersten Transplantation war der 57-Jährige auf der Warteliste für ein Spenderorgan mit einem MELD-Score von 8 Punkten geführt. Dies ist der Vergleichswert, der den Schweregrad einer Lebererkrankung angibt.

Die Skala reicht von 6 bis 40 Punkten. Je höher der Wert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient binnen drei Monaten stirbt.

Beim Osteroder Patienten war der Wert so niedrig, dass er sich am untersten Ende der Warteliste befand. In den Notizen der Transplantationsambulanz, wo er sich regelmäßig vorstellte, war jedes Mal die Bemerkung zu lesen: "Beschwerdefrei."

Er habe in den Akten nach einer Begründung dafür gesucht, warum der Patient trotz des niedrigen MELD-Scores und des stabilen Gesundheitszustandes eine neue Leber bekommen habe, sagte der belgische Transplantationschirurg Xavier Rogiers.

"Kein Grund für eine Transplantation"

Er habe aber nichts dazu gefunden: "Nach Aktenlage lag kein Grund für eine Transplantation vor."

Allerdings seien die Krankenakten sehr schlecht dokumentiert gewesen. Nach belgischen Kriterien würde eine Klinik mit so schlechter Dokumentation bei Audits durchfallen, sagte der Sachverständige.

Ohne Transplantation hätte der Patient, der an einer alkoholbedingten Leberzirrhose litt, deutlich bessere Überlebenschancen gehabt. Der 57-Jährige habe bereits seit Längerem keinen Alkohol mehr getrunken.

Bei Abstinenz könne sich eine Leberzirrhose so weit verbessern, dass eine Transplantation nicht mehr nötig sei und der Patient von der Warteliste für ein Spenderorgan genommen werden könne.

Viele Merkwürdigkeiten

Nach Ansicht des Frankfurter Medizinprofessors Wolf Otto Bechstein, der selbst über 300 Lebertransplantationen vorgenommen hat, lag weder bei der Aufnahme des Patienten auf die Warteliste noch bei der Transplantation eine entsprechende Indikation vor.

"Bei einer stabilen Leberzirrhose ohne lebensbedrohliche Komplikationen ist eine Lebertransplantation nicht indiziert."

Bechstein verwies auf Studien aus den USA. Danach sei bei einem so niedrigen MELD-Score das Risiko, in Folge einer Transplantation zu versterben, 3,6-mal höher, als wenn der Patient auf der Warteliste bleiben würde.

Bechstein wies außerdem auf einige Merkwürdigkeiten hin. So lasse sich den Akten nicht entnehmen, wie es überhaupt dazu kam, dass der Patient auf der Warteliste landete.

Laut Überweisung sollten die Mediziner am Göttinger Uni-Klinikum überprüfen, ob eine Stent-Behandlung sinnvoll sein könnte. Stattdessen wurde der 57-Jährige jedoch als Kandidat für eine Lebertransplantation evaluiert.

Nach den dafür erforderlichen Untersuchungen wurde vermerkt, dass er bei seiner Aufnahme im Klinikum Oberbauchbeschwerden gehabt habe. In den Notizen, die bei seiner Aufnahme gemacht worden waren, stand jedoch: "Beschwerdefrei".

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

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