Transplantat-Prozess

Chirurg kann auf Freilassung hoffen

Seit Januar sitzt er in U-Haft. Nun kann der ehemalige Chef der Göttinger Transplantations-Chirurgie auf seine Freilassung hoffen. Sein Nachfolger berichtet derweil von einer "Parallelwelt".

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Vor Gericht - und womöglich bald nicht mehr in Haft: der ehemalige Chef der Göttinger Transplantationschirurgie.

Vor Gericht - und womöglich bald nicht mehr in Haft: der ehemalige Chef der Göttinger Transplantationschirurgie.

© Swen Pförtner / dpa

GÖTTINGEN. Der seit Januar 2013 in Untersuchungshaft sitzende frühere Leiter der Göttinger Transplantationschirurgie wird voraussichtlich demnächst freigelassen. Dies stellte am Dienstag der Vorsitzende Richter dem Angeklagten in dem Prozess vor dem Landgericht Göttingen in Aussicht.

Der Mediziner muss sich dort seit Mitte August wegen versuchten Totschlages in elf Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen verantworten.

Nach Ansicht der Kammer haben die drei letztgenannten Anklagen, die so genannten Indikationsfälle, die größte strafrechtliche Relevanz. Der bisherige Prozess habe "keine belastbare Grundlage" für den Vorwurf ergeben, dass der Angeklagte in diesen Fällen vorsätzlich gehandelt habe, sagte Richter Ralf Günther.

Die Kammer tendiere deshalb dazu, dem Angeklagten Haftverschonung zu gewähren und den Haftbefehl gegen Auflagen aufzuheben. Eine Entscheidung werde man innerhalb der nächsten zwei Wochen treffen.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Chirurgen unter anderem vor, drei Patienten eine Leber transplantiert zu haben, obwohl dafür keine Indikation vorgelegen habe. Alle drei Patienten waren in der Folgezeit gestorben.

Außerdem soll er mit Hilfe von Datenmanipulationen dafür gesorgt haben, dass Patienten gegenüber Eurotransplant als kränker dargestellt wurden, als sie tatsächlich waren, damit sie schneller eine Spenderleber zugeteilt bekamen.

Unbekannte BÄK-Richtlinien

Die Göttinger Unimedizin hatte sich nach Bekanntwerden der Vorfälle Ende 2011 von dem Mediziner getrennt. Nachfolger wurde Professor Otto Kolmar, der bis dahin am Uniklinikum des Saarlandes in Homburg tätig gewesen war.

Dieser hatte zuvor im Auftrag der Göttinger Unimedizin die Warteliste der Patienten überprüft, die als Transplantationskandidaten eingestuft worden waren. Von den etwa 130 Patienten habe er mehr als 20 sofort von der Liste genommen, sagte der Chirurg, den das Gericht am Dienstag als Zeuge geladen hatte.

Manche dieser Patienten hätten eine sehr gute Leberfunktion gehabt, bei einigen seien andere Behandlungen angezeigt gewesen. Er habe mit allen Patienten ausführliche Gespräche geführt und über das Für und Wider einer Transplantation gesprochen.

Bei seinem Amtsantritt habe er ebenso viele organisatorische Änderungen vorgenommen, um vor allem mehr Transparenz zu schaffen. Bis dahin seien die Transplantationschirurgen innerhalb des Göttinger Klinikums ein kleiner isolierter Zirkel gewesen, sagte der leitende Oberarzt.

"Das war eher eine Parallelwelt." Die Transplantationsmediziner hätten nicht an gemeinsamen Besprechungen teilgenommen, nicht über ihre Transplantationen informiert und die anderen Ärzte nicht an ihrem Wissen teilhaben lassen.

So seien beispielsweise den Assistenzärzten die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organtransplantation nicht bekannt gewesen. (pid)

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