Transplantations-Prozess

Chirurg kommt auf freien Fuß

Beinahe ein Jahr saß er in U-Haft, jetzt kommt er auf freien Fuß: Der ehemalige Göttinger Leberchirurg, der sich wegen des Transplantationsskandals verantworten muss. Doch die Auflagen sind enorm.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Der angeklagte Arzt im August 2013 im Landgericht Göttingen mit seinen Verteidigern beim Auftakt des Prozesses.

Der angeklagte Arzt im August 2013 im Landgericht Göttingen mit seinen Verteidigern beim Auftakt des Prozesses.

© Swen Pförtner / dpa

GÖTTINGEN. Nach elf Monaten Untersuchungshaft kommt der frühere Leiter der Transplantationschirurgie am Göttinger Universitätsklinikum wieder auf freien Fuß. Das Landgericht Göttingen hat am Montag den seit Januar bestehenden Haftbefehl gegen eine Kaution von 500.000 Euro außer Vollzug gesetzt.

Die Kammer gehe zwar in zwölf der insgesamt 14 angeklagten Fälle von einem dringenden Tatverdacht aus, sagte der Vorsitzende Richter Ralf Günther. Allerdings kommt sie teilweise zu einer anderen rechtlichen Bewertung.

Da nach Ansicht des Gerichts weiterhin Fluchtgefahr besteht, erteilte die Kammer dem 46-jährigen Mediziner strenge Weisungen. Er muss vor der Entlassung die Kaution hinterlegen sowie seinen Ausweis und seinen Reisepass abgeben.

Außerdem darf er die Grenzen des Landkreises Göttingen nicht verlassen und muss sich zweimal täglich bei der Polizei melden.

Staatsanwaltschaft kündigt Beschwerde an

Die Staatsanwaltschaft kündigte an, dass sie gegen die Haftverschonung Beschwerde beim Oberlandesgericht Braunschweig einlegen wird. Da dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung drohe, bestehe weiterhin Fluchtgefahr, sagte Behördensprecherin Birgit Seel. Verteidiger Steffen Stern erklärte dagegen, man habe ein erstes Etappenziel erreicht.

Die Verlesung des insgesamt 51 Seiten langen Beschlusses mitsamt der Begründung der Haftverschonung nahm mehr als eine Stunde in Anspruch. Die Richter zogen damit gleichzeitig nach 20 Verhandlungstagen eine Zwischenbilanz des seit August laufenden Prozesses.

Die Staatsanwaltschaft hat den Chirurgen zum einen wegen versuchten Totschlages in elf Fällen angeklagt. Nach der Anhörung von bislang 50 Zeugen und fünf Sachverständigen sieht die Kammer in all diesen so genannten Manipulationsfällen einen dringenden Tatverdacht.

Der Arzt soll veranlasst haben, dass Patienten fälschlicherweise gegenüber der Stiftung Eurotransplant als dialysepflichtig gemeldet wurden, um ihnen so schneller zu einer Spenderleber zu verhelfen. Nicht bestätigt hat sich dagegen nach Ansicht der Richter der Verdacht, dass er auch an der Fälschung von Blutwerten beteiligt gewesen sein könnte.

Gericht sieht nur einen Fall als strafrechtlich relevant an

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Chirurgen außerdem vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vor. Er habe drei Patienten eine Leber eingepflanzt, obwohl eine Transplantation medizinisch nicht angezeigt gewesen sei.

Diese waren dann aufgrund von Komplikationen verstorben. Das Gericht sieht jedoch nur einen dieser so genannten "Indikationsfälle" als strafrechtlich relevant an.

Dieser betrifft eine Patientin, die aufgrund einer falschen Diagnose eine neue Leber erhalten hatte. Gutachtern zufolge litt sie nicht an einer Leberzirrhose, sondern an einer Fibrose. Nach Ansicht der Kammer ist dem Chirurgen voraussichtlich jedoch kein Vorsatz, sondern nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Damit läge das Strafmaß deutlich niedriger. In den beiden anderen Fällen sei dagegen nicht auszuschließen, dass die Patienten auch bei korrekter Aufklärung in eine Transplantation eingewilligt hätten.

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