Aufgenötigter Sexualkontakt

LSG lässt Patientin abblitzen

Das gewaltlose Berühren der Genitalien durch einen Arzt zählt nicht als tätlicher Angriff, so das LSG Niedersachsen-Bremen. Zumindest dann nicht, wenn keine strafbare Körperverletzung vorliege. Damit bestehe auch kein Anspruch einer Patientin auf eine Beschädigtenversorgung.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:

CELLE. Ein aufgenötigter Sexualkontakt stellt nur dann einen tätlichen Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) dar, wenn er erzwungen ist. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem nun veröffentlichten Urteil aus dem November 2013 entschieden.

Und ließ damit eine 1962 geborene Patientin abblitzen, die nach einem aufgenötigten Sexualkontakt durch einen Arzt unter einem Psychosyndrom mit Depression litt und eine Beschädigtenversorgung eingeklagt hatte. Das gewaltlose Berühren der Genitalien durch einen Arzt könne nur dann einen solchen tätlichen Angriff darstellen, wenn eine strafbare Körperverletzung gegeben sei, so die Richter.

Die Klägerin war von dem Arzt für einen Tag im Juni 2000 um 19.00 Uhr einbestellt worden, weil bei ihr das rechte Bein oberhalb des Knies untersucht werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt war nur noch der Arzt in der Praxis. Während der Untersuchung bat der Arzt die Klägerin, sich auf den Bauch zu legen und den Slip auszuziehen. In der Folge nahm er sexuell motiviere Handlungen mit dem Ultraschallgerät vor.

Die Klägerin gab vor Gericht an, zwar irritiert gewesen zu sein, doch sie habe zunächst gedacht, der Arzt müsse wissen, was er tue. Zudem habe sie befürchtet, er könne ihr bei Protest vorwerfen, sie "würde spinnen".

Nach einer Weile hat die Klägerin die Manipulationen aber nicht mehr ertragen, ist aufgestanden, hat sich angezogen und ist gegangen.

Ende 2007 beantragte die Frau dann bei dem beklagten Land Beschädigtenversorgung. Als Schädigungsfolge machte sie im Wesentlichen ein Psychosyndrom mit Depressionen, Schlafstörungen, Muskelverkrampfungen und Ängsten geltend. Sie wurde jedoch von der Beklagten abgewiesen.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hannover wies die Frau dann darauf hin, dass im Jahr 2002 Vorfälle bei über 20 weiteren Patientinnen bekannt geworden seien.

Auch keine erhebliche Gefährdungslage des Opfers

Im Oktober 2003 sei im Rahmen eines Deals von dem Schädiger ein Schmerzensgeld an die Klägerin gezahlt worden, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt. Das Sozialgericht hat den Beklagten noch verurteilt, eine Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Das LSG Niedersachsen-Bremen hob das Urteil allerdings auf und wies die Klage der Frau ab. Denn ein "tätlicher Angriff" im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG), der einen Anspruch im Sinne des OEG rechtfertige, liege nicht vor.

Ein "tätlicher Angriff" könne bei Erwachsenen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorliegen, wenn der Sexualkontakt dem Partner aufgenötigt werde, obwohl dieser ihn ablehne. Dafür sei allerdings ein Erzwingen erforderlich, erklärten die Richter.

Im vorliegenden Fall sei eine körperliche Gewaltanwendung jedoch nicht zu erkennen gewesen. Für die Manipulationen im Vaginalbereich habe der Schädiger keinen Widerstand überwinden müssen.

Die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht ihrer Widerstandskraft beraubt gewesen. Im Gegenteil werde daran, dass die Klägerin das Tun des Arztes letztlich beendet hat, indem sie aufgestanden und gegangen ist, deutlich, dass sie sehr wohl zur Gegenwehr fähig war, heißt es in der Urteilsbegründung. Nach den Ausführungen des LSG könne ein gewaltloses Berühren im Geschlechtsbereich zwar dann relevant sein, wenn eine erhebliche Gefährdungslage für das Opfer bestanden habe.

Doch auch dies habe im verhandelten Fall nicht festgestellt werden können. Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "tätlichen Angriff" sei zudem, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar sei.

Dies hänge unter anderem von einer wirksamen Einwilligung des Patienten ab. Doch auch das Vorliegen einer strafbaren Körperverletzung verneinte das Gericht. Denn eine Wunde habe nicht bewiesen werden können. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Az.: L 10 VE 29/12

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