Transplantationsskandal

Ein betrunkener Spender und eine Fußballmannschaft

Der Prozess gegen den ehemaligen Göttinger Cheftransplanteur beleuchtet immer neue Kuriositäten aus dem Alltag der Chirurgen: Die Verhandlung am Montag drehte sich um den russischen Patienten, dessen Fall den ganzen Prozess ins Rollen gebracht hat.

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GÖTTINGEN. Im Prozess um den Transplantationsskandal am Göttinger Universitätsklinikum hat sich das Landgericht am Montag mit dem Fall eines russischen Patienten beschäftigt, der Auslöser für den ersten anonymen Hinweis auf Manipulationen bei der Organvergabe gewesen war.

Der Patient hatte Ende Mai 2011 in Göttingen eine Leber erhalten. Ursprünglich hatte der schwerkranke Geschäftsmann eine Leberlebendspende von seinem Bruder oder seiner Mutter erhalten sollen.

Nach Angaben des Dolmetschers, der die mitgereisten Angehörigen betreut hatte, waren die potenziellen Spender jedoch nicht geeignet gewesen. Der Bruder habe sehr viel getrunken und sei bereits alkoholisiert nach Deutschland gekommen, die Mutter sei übergewichtig gewesen.

Der russische Patient, der als Selbstzahler mehrere Hunderttausend Euro für seine Behandlung gezahlt haben soll, war mit einem Privatjet nach Hannover und dann mit einem Rettungswagen ins Göttinger Uniklinikum gebracht worden.

Er habe noch nie einen Patienten in einem derart desolaten Pflegezustand erlebt, sagte der Oberarzt, der an dem Wochenende Dienst auf der Station hatte. Der Patient sei ohne Bewusstsein gewesen und habe gravierende Druckstellen und eine schwere Wundinfektion am Gesäß sowie eine vereiterte Wunde am Hals gehabt. Außerdem sei er mit hoch resistenten Keimen besiedelt gewesen.

Lebensgefährtin bot 100.000 Euro für schnellere Behandlung

Nach Angaben des Arztes hatte die Lebensgefährtin, die den Schwerkranken begleitet hatte, von Alkoholexzessen in den vorangegangenen Wochen und Monaten berichtet.

Ihrer Schilderung zufolge sei der Patient wegen wirtschaftlicher Probleme in eine akute Alkoholsucht gerutscht. Sie habe außerdem 100.000 Euro angeboten, um die Behandlung zu beschleunigen. Er habe ihr daraufhin deutlich gemacht, dass jeder Patient gleich behandelt werde.

Der Dolmetscher berichtete, der Bruder des Patienten habe angeboten, eine Fußballmannschaft nach Deutschland zu holen, um einen passenden Lebendspender zu finden.

Der angeklagte Transplantationschirurg sei darüber sehr erbost gewesen und habe gesagt, dass nur Angehörige als Lebendspender in Frage kämen. Der Patient war dann bei der zentralen Organvergabestelle Eurotransplant gelistet worden, eine Woche später erhielt er eine neue Leber.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, dass bei dem Patienten keine Transplantation hätte vorgenommen werden dürfen, weil dieser die Alkoholkarenzzeit nicht eingehalten habe.

Außerdem sei der Patient fälschlicherweise als dialysepflichtig gemeldet worden, tatsächlich sei er in Göttingen nicht dialysiert worden. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt. (pid)

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