Selbstbestimmung

Notarzt muss Suizid nicht immer verhindern

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MÜNCHEN. Ein Notarzt muss einen Suizid nicht in jedem Fall verhindern. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Landgerichts Deggendorf, das die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen einen Notarzt abgelehnt hat.

Der Notarzt hatte Rettungsbemühungen nach einer gewollten Medikamenten-Überdosis bei einem 84-jährigen Krebskranken unterlassen, da eine Behandlung dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten widersprochen hätte. Das Verhalten des angeschuldigten Notarztes war rechtmäßig, so das Landgericht.

Nach bisheriger Rechtsprechung muss der Arzt auch bei einem bewusstlosen Suizidenten davon ausgehen, dass der Patient weiterleben möchte, erläutert der Münchner Medizinrechtler Professor Alexander Ehlers. Daher muss der Arzt aufgrund seiner Garantenstellung bei einem bewusstlosen Patienten tätig werden.

Mit seiner Entscheidung habe das Landgericht Deggendorf jetzt deutlich gemacht, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten bei einem Suizid Vorrang hat, wenn die Entscheidung sicher erkennbar in freier Verantwortung und mit vollem Bewusstsein getroffen wurde.

Bei der Entscheidung des Landgerichts Deggendorf handelte es sich um einen 84 Jahre alten Mann im Endstadium einer schweren Krebserkrankung. Seine 83-jährige Ehefrau war ein Pflegefall und seit Jahren bettlägerig.

Als der Notarzt in die Wohnung kam, lag die Frau tot im Pflegebett, ihr Ehemann saß bewusstlos im Rollstuhl neben dem Bett und hielt ihre Hand. In unmittelbarer Nähe wurden mehrere leere Blister mit Schlafmitteln aufgefunden. Im Badezimmer befanden sich 40 leere Ampullen einer Morphin-Injektionslösung. Auf einer Kommode lagen mehrere Briefe, Urkunden sowie ein Testament.

Der Notarzt stellte fest, dass der bewusstlose Mann noch gerettet werden konnte. Allerdings untersagte der Sohn, der als Allgemeinarzt niedergelassen war und der seine Eltern fast täglich besucht hatte, jegliche Behandlung.

Sein Vater habe im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gehandelt und der Suizid sei sein freier Wille. Die vorgefundenen Medikamente hatte das Ehepaar seit längerem abgezweigt und gesammelt.

Das Landgericht habe deutlich gemacht, dass der Notarzt den Willen eines Suizidenten sehr sorgfältig prüfen muss, um im Einzelfall richtig entscheiden zu können, erläutert Ehlers. Im vorliegenden Fall sei auch nach Ansicht des Gerichts der Wille des 84-Jährigen sicher zu erkennen gewesen und der Notarzt sei nicht zur Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen verpflichtet gewesen.

Die Entscheidung des Landgerichts stärke das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, mache dem Arzt in solchen Grenzsituationen die Entscheidung allerdings nicht leichter, erklärte Ehlers. (sto)

Az.: 1 Ks 4 Js 7438/11

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