Notfall bei Hausgeburt

Ärztin geht in Revision

Mehr als sechs Jahre Haft und lebenslanges Berufsverbot: Gegen dieses Urteil legt die betroffene Ärztin nun Revision vor dem Bundesgerichtshof ein. Ihr wird unverantwortliches Handeln im Falle einer Hausgeburt vorgeworfen, bei der ein Mädchen tot zur Welt kam.

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Vor dem Bundesgerichtshof legt die betroffene Ärztin und Hebamme nun Revision ein.

Vor dem Bundesgerichtshof legt die betroffene Ärztin und Hebamme nun Revision ein.

© Uli Deck/dpa

DORTMUND. Im Juni 2008 kam bei einer Hausgeburt in Unna ein totes Mädchen zur Welt. Während des insgesamt 17-stündigen Geburtsvorgangs war es an Sauerstoff-Unterversorgung gestorben.

Die Ärztin und Hebamme, die die Geburt begleitet hatte, wurde nun zu knapp sieben Jahren Haft, lebenslangem Berufsverbot und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt.

Nach Überzeugung des Dortmunder Schwurgerichts soll die Ärztin die Totgeburt billigend in Kauf genommen haben. "Das ist für mich eine Fantasie", sagte die 60-Jährige nach der Urteilsverkündung.

Anhängerinnen nannten den Vorwurf "absurd" und sprachen von einem "Hexenprozess". Der Vorsitzende Richter Wolfgang Meyer wies dies deutlich zurück.

Er sprach von einer "Risikogeburt" und warf der Ärztin "unverantwortliches Handeln" vor.

Wehen setzten im Hotel ein

Die Angeklagte galt als erfahrene Ärztin und Hebamme, die Geburten zu Hause oder in ihrer Praxis begleitet. Für eine "natürliche Geburt" trotz Beckenlage war ein deutsches Paar extra aus Lettland nach Unna angereist.

Zwischen 4 und 5 Uhr morgens setzen im Hotelzimmer die ersten Wehen ein. Die Schwangere informiert die Ärztin und ist nicht mehr in der Lage, in die Praxis zu fahren.

Erst am Nachmittag kommt die Geburtshelferin in das Hotel und stellt gegen 16 Uhr einen Mekonium-Abgang fest. Ihre Versuche, die Geburt zu beschleunigen, schlagen nach den Feststellungen des Gerichts ins Gegenteil um.

Auch nach einem zweiten Mekonium-Abgang um 19 Uhr hält die Ärztin an einer "Hausgeburt" fest. Ein Gutachter erklärt später: Hätte die Ärztin die Schwangere zu diesem Zeitpunkt in eine Klinik eingewiesen, hätte das Kind noch gerettet werden können.

So aber kam das später Greta benannte Kind um 22:14 Uhr tot zur Welt. Der herbeigerufene Notarzt begnügte sich nicht damit, den Totenschein auszustellen. Er rief die Polizei.

Weil sie Hausgeburten bevorzuge und aus Angst um ihr Ansehen und ihre fachliche Reputation habe sie keine Klinik eingeschaltet, sagte Richter Meyer in seiner fast dreistündigen Urteilsbegründung.

Wegen ihrer inneren Einstellung messe sie keine Herztöne des ungeborenen Kindes und kläre die Schwangeren nicht über bestimmte Risiken auf.

Bei der vorliegenden "Risikogeburt" sei dies alles "unverantwortlich" gewesen. Dabei sah das Landgericht die Schwelle von der "bewussten Fahrlässigkeit" zum Totschlag überschritten.

Spätestens nach dem zweiten Mekonium-Abgang habe die Ärztin nicht mehr darauf vertrauen können, dass irgendwie alles schon gut gehen werde.

"Kein Exempel statuiert!"

Dieser Wertung als Totschlag ist die lange Freiheitsstrafe geschuldet. Der Verteidiger der Ärztin kündigte nach der Urteilsverkündung Revision zum Bundesgerichtshof an. Von den sechs Jahren und neun Monaten Haft gelten drei wegen Verzögerungen vor Prozessbeginn als bereits verbüßt.

Bleibt es bei dem Dortmunder Urteil, darf die Angeklagte lebenslang nicht mehr als Ärztin oder Hebamme arbeiten. Zudem ordneten die Richter die Zahlung von rund 50.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz an die Eltern sowie monatliche Zahlungen von 148,80 Euro an.

Außerdem muss die Ärztin zu 85 Prozent für alle psychischen Folgeschäden der Eltern aufkommen.

Ein Urteil im konkreten Einzelfall, betonte das Landgericht. Den Vorwurf, es sei um ein Exempel gegen die außerklinische Geburtshilfe gegangen, nannte Richter Meyer eine "abstruse Verschwörungstheorie".

Dies sei "naiv und einfältig". (mwo)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ideologisierter Eigennutz?

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