Niedersachsen

Hat ein Pfleger jahrelang gemordet?

Eine Sonderermittlungsgruppe der Polizei geht Hinweisen nach, dass ein Krankenpfleger in Niedersachsen über Jahre hinweg mehr als 170 Patienten getötet haben soll. Einige der Leichen werden jetzt möglicherweise exhumiert, um die Todesursache zu klären.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Schichtwechsel auf einer Klinikstation: Im Falle Niels H. ist durch diesen Wechsel aufgefallen, dass während der Arbeitszeit des Pflegers angeblich doppelt so viele Patienten verstorben sind wie sonst üblich.

Schichtwechsel auf einer Klinikstation: Im Falle Niels H. ist durch diesen Wechsel aufgefallen, dass während der Arbeitszeit des Pflegers angeblich doppelt so viele Patienten verstorben sind wie sonst üblich.

© Philipp Schulze / dpa

OLDENBURG. Niels H. war Krankenpfleger im Klinikum Oldenburg und im Klinikum Delmenhorst. Er steht derzeit wegen dreifachen heimtückischen Mordes und zweifachen Mordversuches an Patienten der Intensivstation vor dem Landgericht Oldenburg.

Die Taten sollen zwischen 2003 und 2005 begangen worden sein. Aber es könnten noch viel mehr Verbrechen sein, befürchtet man bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg. Die Rede ist von 174 Menschen, die Niels H. getötet haben könnte - plus Dunkelziffer.

Die Oldenburger Polizei wird eine 15-köpfige Sonderermittlungsgruppe auf die Beine stellen. "Wir standen noch nie vor einem Fall in dieser Größenordnung", sagt Stephan Klatte, Sprecher der Polizei in Oldenburg. Es wird zu klären sein, ob der Angeklagte möglicherweise mit dem Antiarhythmikum Ajmalin getötet hat.

Ein ehemaliger Arzt am Klinikum Delmenhorst hatte bereits bei einem früheren Prozesstermin Zahlen vorgelegt. Sie sollen beweisen, dass während der Arbeitszeit von Niels H. auf seiner Station doppelt so viele Menschen gestorben sind als normalerweise und sechs bis sieben Mal so viel Ajmalin verbraucht wurde als normalerweise.

Krankenakten werden durchforstet

"Derzeit lassen wir von einem Experten alle Krankenakten der Patienten prüfen, die während der Arbeitszeiten des Angeklagten auf der fraglichen Station gestorben sind", so Staatsanwalt Martin Rüpell von der Oldenburger Staatsanwaltschaft zur "Ärzte Zeitung". "Wir ermitteln in 174 Fällen."

Sollte der Experte den Verdacht haben, ein Patient sei eines unnatürlichen Todes gestorben, will die Staatsanwaltschaft die Körper der Patienten exhumieren, um zu ermitteln, ob Ajmalin nachweisbar ist. Ein Nachweis sei selbstverständlich nur bei den fraglichen Toten möglich, die nicht eingeäschert wurden.

Bei den Menschen, deren Leichname feuerbestattet wurden, wird es bei der Unsicherheit bleiben, ob sie eines natürlichen Todes gestorben sind oder nicht. Für den laufenden Prozess waren bereits Leichen exhumiert und untersucht worden.

Schon im Klinikum Oldenburg war H. offenbar aufgefallen. "Fälle aus Oldenburg sind auch Gegenstand der Ermittlungen", so Rüppel, "aber wir legen den Schwerpunkt auf Delmenhorst." Das Klinikum Oldenburg hat inzwischen selber Ermittlungen angestellt."

Barbara Delvalle, Sprecherin des Klinikums Oldenburg bestätigte das. In eine Erklärung des Klinikums, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt, heißt es, man sei "entsetzt über das Ausmaß der Sterbefälle in Delmenhorst, die unter dem Verdacht stehen, von dem Pfleger ausgelöst worden zu sein."

Man rechne in den nächsten Tagen mit den ersten Untersuchungsergebnissen, die dann der Staatsanwaltschaft übergeben und der Öffentlichkeit vorgelegt würden. H. ist bereits 2006 wegen Mordversuches zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Seit 2008 sitzt er in Haft. Offenbar hat er sich im Gefängnis weiterer Morde gebrüstet. Auch Zeugen, die im laufenden Prozess aussagten "gaben Hinweise, dass der Angeklagte möglicherweise noch mehr Menschen getötet haben könnte", so Rüpell. Daraufhin habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen.

Kritik an Staatsanwaltschaft

Hinterbliebene der Toten treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Sie werden vertreten von der Rechtsanwältin Gaby Lübben aus Delmenhorst. Sie macht der Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe: "Die Verdachtsmomente liegen schon spätestens seit 2012 vor und die Staatsanwaltschaft blieb untätig", so Lübben.

Lübben vertritt die Hinterbliebenen zweier ehemaliger Patienten des Klinikums Delmenhorst.

Der Prozess gegen Niels H. sei bis zum 19. Dezember terminiert, erklärte Staatsanwalt Rüpell, "aber er wird kaum bis dahin beendet sein. Wir haben Termine bis weit ins Jahr 2015 geblockt."

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