Risiken und Nebenwirkungen

Streit um Anti-Baby-Pille

Erstmals verhandelt ein deutsches Gericht die Klage einer Frau, die eine Anti-Baby-Pille für lebensbedrohliche Erkrankungen verantwortlich macht. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf.

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WALDSHUT-TIENGEN. Nach jahrelangen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen in den USA beschäftigt sich erstmals ein deutsches Gericht mit einer möglichen Gesundheitsgefahr durch die Anti-Baby-Pille.

Das Landgericht im baden- württembergischen Waldshut-Tiengen verhandelt von diesem Donnerstag (17. Dezember 2015) an die Klage einer Frau gegen einen Anbieter.

Dieser vertreibt die Pille. Es ist der erste Prozess in dem Fall in Deutschland.

Um was geht es in dem Prozess?

Die 31 Jahre alte Felicitas Rohrer aus Willstätt in Baden-Württemberg will nach eigenen Angaben rund 200.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld vom Anbieter.

Sie macht die Pille mit ihrem Wirkstoff Drospirenon für gesundheitliche Probleme verantwortlich. So erhöhe sie das Risiko einer Thrombose (Blutgerinnsel).

Inwiefern ist die Frau betroffen?

Nach der Einnahme der Pille hat sie im Juni 2009 nach eigenen Angaben durch Thrombose eine lebensbedrohliche Lungenembolie erlitten - sie sei daran fast gestorben.

Nur durch eine Notoperation sei sie gerettet worden. Seither kämpft sie gegen den Anbieter und die unter dem Verdacht der Gesundheitsgefährdung stehende Pille.

Aus welchem Grund?

Bis heute leidet Felicitas Rohrer nach eigenen Angaben unter gesundheitlichen Folgeschäden. Die Pille, sagt Rohrer, habe ihr Leben zerstört. Sie ist demnach körperlich dauerhaft eingeschränkt und kann keine Kinder bekommen.

Was möchte sie erreichen?

Sie will, dass der Anbieter die umstrittene Pille vom Markt nimmt. Das Unternehmen, so ihre Begründung, mache nicht auf die gefährlichen Nebenwirkungen aufmerksam und gefährde damit Menschenleben. Mit der Pille mache der Anbieter international ein Milliardengeschäft.

Was sagt der Anbieter dazu?

Der Pharmakonzern hält die Ansprüche nach Angaben eines Sprechers für unbegründet und setzt sich gegen die Klage zur Wehr.

Durch wissenschaftliche Daten sei bestätigt, dass von der Anti-Baby-Pille und von dem Wirkstoff bei korrekter Einnahme und ordnungsgemäßer, ärztlicher Verschreibung keine Gefahr ausgehe.

Ist die Klägerin ein Einzelfall?

Es haben sich weltweit Frauen zu Wort gemeldet, die das Verhütungspräparat eingenommen haben und gesundheitliche Probleme darauf zurückführen.

Der Anwalt der Klägerin in Waldshut-Tiengen, Martin Jensch, vertritt nach eigenen Angaben weitere Frauen mit dieser Problematik. Einige von ihnen haben Klage eingereicht oder wollen dies tun.

Wo ist das Problem?

Umstritten ist der Wirkstoff Drospirenon, der auch in anderen pharmazeutischen Produkten enthalten ist und nach Ansicht der Klägerin krank macht.

Laut dem Anbieter hat es bereits drei Gerichtsverfahren mit Bezug auf diesen Wirkstoff in Medikamenten gegeben, diese seien alle für das Unternehmen entschieden worden.

Gab es bereits juristische Auseinandersetzungen?

In den USA hatten mehrere tausend Frauen gegen das Pharmaunternehmen geklagt. Bis Anfang dieses Jahres schloss der Konzern den Angaben zufolge rund 9000 Vergleiche in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden US-Dollar ab, ohne jedoch eine juristisch wirksame Verantwortung anzuerkennen.

Gibt es bereits Gerichtsentscheidungen in anderen Ländern?

In der Schweiz kam es 2009 zu einem spektakulären Fall. Wenige Wochen, nachdem eine damals 16-Jährige mit der Einnahme der vom Anbieter stammenden Anti-Baby-Pille begonnen hatte, erlitt sie eine Lungenembolie und ist seither schwerbehindert.

Die Familie der Betroffenen klagte auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Doch das Schweizer Bundesgericht wies diese Forderungen im Januar 2015 zurück. Andere Schweizer Gerichte der Vorinstanz hatten mit gleichem Ergebnis geurteilt.

Was sagen die deutschen Behörden?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn hat im März 2014 verkündet, dass von einigen Anti-Baby-Pillen ein erhöhtes Thrombose-Risiko ausgehe und die Hersteller darauf aufmerksam machen müssten.

Vor allem der Wirkstoff Drospirenon sei für das Risiko verantwortlich. Dies trifft nicht nur den betreffenden Anbieter, sondern auch andere Hersteller. Gleichzeitig ordnete es neue Studien an. Vom Markt genommen werden müssen Pillen nach Einschätzung des Bundesinstitutes deshalb nicht.

Gibt es weitere Erkenntnisse?

Die Techniker Krankenkasse (TK) hat in ihrem Anfang Dezember 2015 veröffentlichten "Pillenreport" darauf hingewiesen, dass Präparate der sogenannten dritten und vierten Generation, also vergleichsweise neue Arzneimittel, häufig ein wesentlich größeres Thrombose-Risiko haben als Pillen der zweiten Generation.

Dennoch werden die riskanteren Pillen häufiger verschrieben. Die Kasse rät, Pillen der früheren Generationen zu verwenden. Diese schützen genauso gut vor ungewollter Schwangerschaft, haben laut TK aber ein geringeres Thrombose-Risiko.

Warum werden diese Pillen überhaupt verschrieben?

Bei den älteren Pillengenerationen klagten Frauen oft über Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und schlechtere Haut. Diese Begleiterscheinungen sollten neuere Produkte nicht mehr so stark mit sich bringen.

Was raten Experten?

Frauen, die mit Anti-Baby-Pille verhüten wollen, sollten das Gespräch mit dem Arzt suchen und diesen gezielt nach möglichen Risiken fragen.

Zudem sollte man die Packungsbeilage lesen. Raucher, Übergewichtige sowie Frauen, die eine eigene oder familiäre Vorbelastung mit Thrombose haben, sollten den Arzt, der ihnen die Pille verschreibt, auf jeden Fall darauf hinweisen, rät die Bundesärztekammer.

Im Zweifel verschreibe der Mediziner dann ein anderes, sichereres Präparat. (dpa)

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