Staatsanwalt zu Luftrezepten

Ärzte meist als "gutgläubiges Werkzeug" missbraucht

Mit Luftrezepten die Kassen um Millionen geprellt: Die aktuellen Medienberichte zu angeblichen Abrechnungsbetrügereien stellen die Apotheker in ein schlechtes Licht. Doch von einem Massenphänomen oder zu laxen gesetzlichen Regelungen kann nicht die Rede sein, sagt der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Ein Luftrezept? In einigen Fällen sollen womöglich Patienten Apotheker bei Betrügereien unterstützt haben.

Ein Luftrezept? In einigen Fällen sollen womöglich Patienten Apotheker bei Betrügereien unterstützt haben.

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NEU-ISENBURG. Erst die mutmaßlichen Fälle von Abrechnungsbetrug in der Pflege, nun die in den Medien hochkochenden Betrugsvorwürfe gegen Apotheker - beide Male mit angeblichen Schäden in Millionenhöhe für die Krankenkassen. Man hat das Gefühl, dass sich immer mehr korrupte Gruppen am deutschen Gesundheitswesen bereichern.

Kein Wunder, dass Patientenschützer und Kassen sich bundesweit für Schwerpunktstaatsanwaltschaften und besser verzahnte Ermittlungsverfahren aussprechen. Doch versagt die Strafverfolgung im Gesundheitswesen tatsächlich, wie es "Die Welt" erst am Dienstag beschrieb?

Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle sagt ganz klar: nein. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main gibt es seit 2009 eine "Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen" - also eine dieser geforderten Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sogar für das gesamte Bundesland Hessen zuständig ist.

Badle leitet die Stelle. "Wir dürfen das Phänomen des Abrechnungsbetrugs weder über- noch unterschätzen. Man muss aber sagen, dass es sich nicht um ein Massenphänomen handelt", so Badle. Es seien nach wie vor Einzelfälle.

Nur zwölf Apotheker in sieben Jahren

In den bislang rund sieben Jahren hat die hessische Zentralstelle etwa 66 Ermittlungsverfahren eingeleitet, unter den Beschuldigten waren insgesamt zwölf Apotheker. Auch in einem der nun in den Medien beschriebenen Fälle, in denen Apotheker Luftrezepte mit den Kassen abgerechnet haben sollen, ermitteln die Frankfurter - in diesem Fall auch gegen eine Ärztin.

Generell ist die Beteiligung von Ärzten an solchen Rezeptbetrügereien laut Badle aber verschwindend gering. "Es ist natürlich für die Apotheker ideal, wenn ein Arzt mitmacht, weil der Betrug dann nicht so schnell auffliegt", erläutert der Oberstaatsanwalt.

Ganz einfach, weil die Ärzte über mehr Daten verfügten und über die Krankheitsbilder ihrer Patienten Rezeptbetrügereien besser kaschieren könnten.

Meist würden die Ärzte aber als "gutgläubiges Werkzeug", wie er es nennt, missbraucht. Etwa indem Apotheker gemeinsame Sache mit Patienten machten und diese - gegen Entgelt - zu verschiedenen Ärzten schickten, um die Rezepte zu erhalten. Es habe aber auch Fälle gegeben, in denen Praxisstempel geklaut worden seien.

Man dürfe, so Badle, in keinem Fall die derzeit publizierten Abrechnungsbetrügereien mit den Fällen, die das Antikorruptionsgesetz bekämpfen soll, vergleichen. "Das hat nichts miteinander zu tun, es handelt sich um zwei ganz verschiedene Kontinente." Bei den Rezeptbetrügereien gehe es um ein spezifisches Apothekenproblem.

 "Wir haben hier keine Regelungslücken im Gesetz und können diese Fälle bereits ahnden", stellt er klar.

Er hält auch nichts davon, nun überall Schwerpunktstaatsanwaltschaften fürs Gesundheitswesen aufzubauen. Badle: "Es herrscht hier die Vorstellung, das seien eigene Behörden." Dem sei aber nicht so, jede Staatsanwaltschaft könne solchen Betrugsfällen genauso nachgehen.

 "Was wir brauchen, sind besser spezialisierte und ausreichend qualifizierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte", sagt er. Einige Bundesländer, wie etwa Bayern, hätten in der Vergangenheit bereits viel getan, um mehr Kompetenz zu schaffen.

Hohe Schadensummen

Nach wie vor sei die Strafverfolgung aber Ländersache. Doch das ist nach Badles Einschätzung ebenfalls kein Problem, da auch die betrügerischen Strukturen bislang überwiegend regional geschaffen würden. Ganz einfach deshalb, weil die Gesundheitsversorgung ein eher regionaler Markt sei.

Badle: "Das relativiert die Notwendigkeit, sich bei den Staatsanwaltschaften bundesweit zu vernetzen." Außerdem funktioniere der Austausch in bundesweiten Fällen durchaus, wie vor vielen Jahren die Ermittlungen im ratiopharm-Verfahren wegen umstrittener Zahlungen an Ärzte gezeigt hätten, so Badle.

Warum die Abrechnungsbetrügereien dennoch ein so großes Interesse in der Öffentlichkeit erzeugen, liegt sicherlich auch an den hohen Schadensummen: Gerade im Bereich der Apotheken komme man - systembedingt - schnell zu Schadensummen, die sich im hohen sechs- oder siebenstelligen Bereich befänden, berichtet der Oberstaatsanwalt.

Systembedingt, weil Rezepte für Apotheker wie eine Art Barscheck sind: Sie lösen sie bei der Kasse ein und erhalten dafür zunächst ihre Vergütung.

Zwar haben die Kassen EDV-technische Prüfverfahren installiert, doch die entlarven nur besonders gravierende Auffälligkeiten. Ansonsten sind die Kassen überwiegend auf Hinweise zu Betrugsfällen angewiesen. Immerhin sollen nach dem Bericht in der "Welt" die Kassen pro Jahr Betrügereien durch Apotheker in Höhe von 16 Millionen Euro aufdecken.

Dabei würden die hohen Schadensummen nicht einmal durch jahrelange Betrügereien entstehen, erklärt Badle, sondern innerhalb kurzer Zeiträume, von sechs Monaten bis zu einem Jahr, realisiert. Das steigert das Empörungspotenzial zusätzlich.

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