Westfalen-Lippe

Jurist bemängelt Arzneivereinbarung

Laut dem Medizinrechtler Jörg Hohmann schließt die aktuelle Arzneimittelvereinbarung in Westfalen-Lippe manche Ärzte trotz sachgerechten Verhaltens von Vergünstigungen aus. Doch das ist nicht sein einziger Kritikpunkt.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

KÖLN. Die aktuelle Arzneimittelvereinbarung in Westfalen-Lippe hat nach Einschätzung eines Medizinrechtlers gravierende Mängel. Sie verunsichere Ärzte in ihrem Verordnungsverhalten und schließe manche Ärzte trotz sachgerechten Verhaltens von Vergünstigungen aus, kritisiert Rechtsanwalt Jörg Hohmann von der Kanzlei Prof. Schlegel Hohmann Mangold & Partner in Hamburg. Außerdem verstoße die Vereinbarung gegen die Rahmenvorgaben auf Bundesebene.

Die Arzneimittelvereinbarung 2016, die die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) mit den Krankenkassen vereinbart hat, sieht formal noch Richtgrößen vor. Sie sollen bei der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit von Verordnungen aber keine große Rolle mehr spielen. Stattdessen rücken Leitsubstanzen in den Vordergrund. Für sie sind bestimmte Quoten vereinbart, die Zielerreichung der Ärzte wird über ein Ampelsystem bewertet.

In einem Gutachten, das er nach seinen Angaben auf eigene Initiative erstellt hat, kommt Hohmann zu dem Ergebnis, dass die Arzneimittelvereinbarung rechtswidrig ist. Sollte sie über 2016 hinaus Gültigkeit behalten, sieht der Jurist großen Nachbesserungsbedarf. Ein Schwerpunkt seines Gutachtens liegt auf den Vorgaben zu der Verordnung von oralen Koagulanzien (OAK) und neuen oralen Koagulanzien (NOAK).

Mit der Vereinbarung eigener Leitsubstanzquoten für Vitamin-K-Antagonisten und NOAK hätten die Vertragspartner in Westfalen-Lippe die Rahmenvorgaben auf Bundesebene verlassen, sagt Hohmann der "Ärzte Zeitung". Denn dort gebe es keine Empfehlungen und somit keine Vereinbarungsspielräume für diesen Bereich, argumentiert er. Eine Abweichung sei nur dann möglich, wenn eine atypische Morbidität nachgewiesen werden könne. "Das ist in Westfalen-Lippe nicht der Fall." Wenn die Voraussetzungen sich nicht ändern, fehlt der Vereinbarung deshalb 2017 die Rechtsgrundlage, glaubt er.

Jurist: Ärzte werden verunsichert

Die Arzneimittelvereinbarung sieht als Empfehlung vor, dass Ärzte bei OAK einen Anteil von mindestens 67 Prozent Vitamin-K-Antagonisten verordnen sollen, "wie zum Beispiel Phenprocoumon". Bei den NOAK ist ein Anteil von mindestens 75 Prozent von "preisgünstigen NOAK wie zum Beispiel Apixaban und Edoxaban" vorgesehen.

Nach Einschätzung des Juristen werden die verordnenden Ärzte durch die Vorgaben zu OAK/NOAK verunsichert. So sei völlig unklar, was "zum Beispiel" für die Ärzte bedeute, bemängelt Hohmann. Können sie auch die anderen Präparate verordnen oder nicht?

"Für eine solche Regelung ist das nicht bestimmt genug." Auch könnten die Ärzte nicht abschätzen, inwieweit die Quoten sie in ihrer Verordnungsfreiheit einschränken. Viele haben nach seiner Erfahrung die Befürchtung, dass sie ihre gewohnten Standards nicht einhalten können. Das sei gerade angesichts der Tatsache von Bedeutung, dass die Verordnung von Vitamin-K-Antagonisten nach den aktuellen Leitlinien nicht mehr den überwiegenden Behandlungsstandard darstelle.

Die Quote bedeute nicht, dass ein Arzt nicht von ihr abweichen könne, wenn es medizinisch begründbar ist, betont der Jurist. Das werde aber nicht deutlich gemacht. Außerdem sehe die Arzneimittelvereinbarung vor, dass Ärzte, die bei ihren Verordnungen nicht im roten Bereich der Ampel sind, nicht in die Wirtschaftlichkeitsprüfung müssen. "Auch wenn ich als Arzt alles richtig gemacht habe, kann ich in eine Prüfung kommen." Das hält Hohmann für rechtswidrig.

Der KVWL ist das Gutachten bekannt, sie sieht aber keinen Handlungsbedarf. "Wir haben eine erfolgreiche und wirksame Arzneimittelvereinbarung, die von den Ärzten akzeptiert wird und die der Aufsicht vorliegt", sagt Kommunikationschefin Heike Achtermann.

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