"Preise richten sich nach dem Nutzen"

Sind hohe Preise für innovative Arzneimittel ein Risiko für die Stabilität der GKV-Finanzen? Die Sorgen sind unbegründet, sagt vfa-Chef Dr. Hagen Pfundner.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Dr. Hagen Pfundner im Interview mit Vize-Chefredakteur Helmut Laschet.

Dr. Hagen Pfundner im Interview mit Vize-Chefredakteur Helmut Laschet.

© Martin Frick

Ärzte Zeitung: Bei den forschenden Arzneimittelherstellern herrscht Innovationseuphorie - bei den Ärzten wächst die Sorge, das habe Sprengkraft für die GKV-Finanzen.

Dr. Hagen Pfundner: Zunächst einmal: Ich glaube, dass auch die Ärzte eine Innovationseuphorie haben. Denn Ärzte arbeiten mit uns zusammen, sei es in Forschung und Entwicklung oder in der Versorgung.

Dr. Hagen Pfundner

Aktuelle Position: Vorsitzender des Verbandes Forschender Pharmaunternehmen (vfa), Vorstand Roche Pharma AG Deutschland; Geschäftsführer Roche Deutschland Holding AG.

Karriere: 1992 Eintritt bei Hoffmann-la Roche AG Deutschland, 1995 Global Business Leader für Entzündungs- und Knochenkrankheiten Roche Schweiz; 1998 Mitglieder der Geschäftsleitung Roche in Kanada; 2001 Global Business Director Virology bei Roche Ltd. in der Schweiz, 2003 Geschäftsführer Roche Schweden

Privates: geboren 1960, verheiratet und zwei Kinder

Wenn Sie dagegen auf das mediale Getöse einiger Funktionäre, jetzt auch mit Blick auf den Ärztetag, ansprechen: Da kann ich nur vermuten, dass hier Scheingefechte ausgetragen werden sollen, ohne dass die Faktenbasis berücksichtigt wird.

Hier soll es um einen Verteilungskampf der zur Verfügung stehenden Ressourcen gehen. Wenn man die Ausgabenentwicklung für Arzneimittel anschaut, dann besteht faktisch kein Anlass zur Sorge.

Ich sage das mit aller Deutlichkeit: Wir Arzneimittelhersteller haben kein Interesse daran, dass die sozialen Sicherungssysteme überfordert werden. 90 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit der GKV - wir sägen nicht den Ast ab, auf dem wir sitzen!

Tatsache ist: Mit 4,5 Prozent sind die Arzneimittelausgaben doppelt so stark gestiegen wie die Beitragseinnahmen pro Kopf, und ein Ende dieser Disparität ist nicht in Sicht. Ihr Wachstum speist sich nur aus dem Umsatz mit neuen Arzneimitteln.

Nein, die Fakten sind anders: Die Ausgaben für Arzneimittel sind - trotz einer älteren Bevölkerung - um 4,5 Prozent gestiegen, und die Einnahmen der GKV lagen bei plus 4,1 Prozent. Da besteht keine Disparität.

Im Übrigen: Der Anteil der Arzneiausgaben an den GKV-Gesamtausgaben ist gesunken - von 19 Prozent im Jahr 2008 auf 17 Prozent im letzten Jahr.

Eine Folge von Zwangsrabatt und Preismoratorium...

Auch. Ich finde es aber irritierend, dass mit kritischem Unterton das Ausgabenwachstum durch neue Arzneimittel beklagt wird. Ich frage: Warum wird Wachstum, das auf medizinischem Fortschritt gründet, als Problem betrachtet?

Man kann sich doch nicht ein Wachstum von Produkten wünschen, die seit 20, 30 Jahre auf dem Markt sind und für die es heute bessere Alternativen gibt.

Offenkundig haben das AMNOG und die Vereinbarung von Erstattungsbeträgen nur graduell zur Kostenbegrenzung beigetragen. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, mit Mondpreisen Kasse zu machen.

"Polemisieren" scheint gerade "in" zu sein. Von Mondpreisen zu sprechen oder davon, dass Arzneimittel teurer als Gold sind, passt zu dieser Entwicklung. Leider ist es "out", davon zu sprechen, dass moderne Arzneimittel ihr Geld Wert sind.

Die Idee des AMNOG war, dass echte Innovationen auch entsprechend bezahlt werden sollen. Dazu verhandeln Unternehmen und GKV-Spitzenverband ein halbes Jahr lang über eine angemessene Erstattung.

Es wird Sie vielleicht überraschen, wie wir als Industrie unsere Preise kalkulieren - es sind weitgehend dieselben Kriterien, die im AMNOG den Zusatznutzen bestimmen: nämlich der Innovationsgrad im Vergleich zu existierenden Therapien und deren Kosten.

Im Übrigen muss der Irrtum korrigiert werden, das AMNOG spare nichts. Fakt ist, dass die Einsparungen im letzten Jahr 800 Millionen Euro erreicht haben und im nächsten Jahr auf zwei Milliarden Euro steigen werden. Und eine weitere Tatsache ist: Bei drei Vierteln aller Medikamente, die seit 2011 in Deutschland auf den Markt gekommen sind, liegt der Erstattungsbetrag unter dem europäischen Durchschnitt - und das ist keine gute Entwicklung für den Pharmastandort Deutschland.

KBV und GKV-Spitzenverband haben 2015 und 2016 jeweils 1,4 Milliarden Euro für neue Hepatitis-C-Medikamente eingepreist. Mit Forschungskosten lassen sich solche Beträge doch nicht erklären?

Die Preise für bahnbrechende Innovationen orientieren sich an ihrem Nutzen für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Die neuen Hepatitis-C-Arzneimittel sind ein solch bahnbrechender medizinischer Erfolg für Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung: nämlich Heilung, weitgehend nebenwirkungsfrei, innerhalb von drei Monaten.

 Das heißt: weniger Lebertransplantationen, weniger Ansteckungen und Neuinfektionen. Das spart langfristig hohe Kosten.

Ein weiteres Beispiel sind Neuentwicklungen in der Onkologie, denen in der Nutzenbewertung ein überdurchschnittlicher Zusatznutzen zugesprochen wurde. Verbunden mit immensen Kosten.

Zunächst sollten wir uns freuen, dass wir große Fortschritte in der Krebsbehandlung haben. Vor 20 Jahren waren die Therapiemöglichkeiten minimal.

Rund ein Drittel unserer Forschungsaufwendungen fließen in dieses Feld - und als Folge dessen erleben wir in den letzten Jahren wichtige Fortschritte. Einige Krebserkrankungen können wir heute heilen, andere werden zu einer chronischen Krankheit.

Aber Tatsache ist auch: Eine Kostenexplosion bei Onkologie gibt es nicht; seit Jahren liegt der Anteil der Onkologie am gesamten GKV-Markt konstant bei zehn bis elf Prozent.

Auffällig ist, dass viele dieser Arzneien erst in der Zweit- oder Drittlinien-Therapie eingesetzt werden - Heilung also unwahrscheinlich ist. Findet hier nicht eine gigantische Fehlallokation und Übertherapie am Lebensende statt?

Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland eine Rationierungsdebatte wollen, schon gar nicht am Lebensende. Wir als Industrie werden uns daran nicht beteiligen. Dafür gibt es auch keinen sachlichen Grund, denn die Ausgaben für Gesundheit sind stabil und kalkulierbar.

Dass Hersteller Therapien zunächst in späten Krankheitsstadien klinisch prüfen, hat einen simplen Grund: In Absprache mit den Zulassungsbehörden werden diese Arzneien zunächst bei Patienten in einem Krankheitsstadium getestet, wo es keine anderen Optionen mehr gibt. In der Folge - und das kann mehrere Jahre dauern - wird auch die Wirksamkeit für frühere Stadien geprüft.

Ein Beispiel dafür ist Herceptin, zunächst entwickelt für die Letztlinientherapie, wo wir in acht Jahren Forschung mit den Onkologen den Einsatz in der adjuvanten frühen Therapie entwickelt haben. Mit Überlebenszeiten von bis zu zehn Jahren.

Andererseits fällt es Unternehmen schwer, für Arzneien gegen chronische Krankheiten einen Zusatznutzen zu belegen - Beispiel Diabetes.

Hier funktioniert das AMNOG besonders schlecht. Das liegt daran, dass Studien oft mehrere Jahre dauern. Die Zulassungsbehörden haben gelernt, mit diesem Dilemma umzugehen und akzeptieren Surrogatparameter.

Der Bundesausschuss fragt nach dem Zusatznutzen zur Vergleichstherapie und nach harten Endpunkten. Ein solcher Nachweis dauert Jahre, dem können wir direkt nach Zulassung nicht gerecht werden. Das hat dazu geführt, dass wir 20 Produkte aus dem Markt nehmen mussten, auch weil der Preis auf generischem Niveau nicht mehr auskömmlich gewesen wäre.

Müssen sich Hersteller, Arzneibehörden und G-BA besser abstimmen?

Das wünschen wir uns sehr. Im Sinne einer Konvergenz der Anforderungen, und zwar in einem Trialog über die Konzeption von Studien. Das wird kommen.

Noch schwieriger ist es, Belege für Lebensqualität beizubringen. Nichts gelernt in fünf Jahren AMNOG?

Die Messung von Lebensqualität ist eine relativ junge Methode. Für die Messung subjektiver Parameter gibt es Instrumente, die wir anwenden - die Frage ist nur, ob sie vom G-BA akzeptiert werden. Hier müssen wir uns mit dem G-BA besser abstimmen.

In den vergangenen zwei Jahren haben Sie mit der Bundesregierung und der Wissenschaft den Pharmadialog geführt. Ohne die Ärzteschaft, die eigentlich ein wichtiger Partner für Sie ist. Warum?

Ärzte sind unsere wichtigsten Ansprechpartner, wenn es um den Einsatz von Arzneimitteln geht. Der Pharmadialog hatte aber einen anderen Schwerpunkt: die Zukunftsfähigkeit des Forschungs- und Produktionsstandortes für uns in Deutschland.

Hier ging es um wirtschaftliche, steuerpolitische und forschungspolitische Rahmenbedingungen. Zu Marktfragen, die wir diskutiert haben, hat die Bundesregierung dann auch den Gemeinsamen Bundesausschuss und den GKV-Spitzenverband eingeladen. Wichtig ist aber auch, dass der Dialog fortgesetzt wird - und bei versorgungsbezogenen Fragen würden wir die Ärzte als Dialogpartner auf jeden Fall einbeziehen.

Ein Ergebnis des Dialogs ist, dass künftig verhandelte Erstattungsbeträge vertraulich bleiben sollen. Warum die Geheimhaltung?

Es geht nicht um Geheimhaltung. Wenn Sie Arzneimittel in vielen Ländern Europas vertreiben wollen und dabei die Preise an der jeweiligen Wirtschaftskraft orientieren möchten - was ja nur gerecht ist! - dann müssen Sie Preisunterschiede von Land zu Land machen. Auch die Arztgehälter sind ja unterschiedlich.

Um die Unterschiede abzubilden, verhandeln die Unternehmen in jedem Land unter den jeweiligen Bedingungen. Das wollen wir auch in Deutschland. Wenn wir das öffentlich machen, vergeben wir Verhandlungsspielraum, weil etwa das überaus reiche Norwegen mit seinen fünf Millionen Einwohnern deutsche Preise haben möchte.

Inzwischen fordern auch prominente Kassenvertreter Vertraulichkeit, so wie bei den Ausschreibungen, deren Rabatte sich auf 3,4 Milliarden Euro summieren. Kein Unternehmen legt seine Rabatte ins Schaufenster.

Beklagt wird, dass die Ergebnisse der Nutzenbewertung bei Ärzten unbekannt sind und kaum in die Praxis umgesetzt werden. Kann die Industrie einen Beitrag zu besserer Information leisten, ohne dass gleich der Verdacht entsteht, man führe den Ärzten den Kugelschreiber bei der Verordnung?

Die Industrie hat schon gezeigt, dass sie einen akzeptierten Beitrag zur Arztinformation leisten kann: Ich erinnere an die Rote Liste, die jeder Arzt kennt und die nie in ihrer Glaubwürdigkeit in Frage gestellt worden ist.

Wir müssen die Diskussion versachlichen. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Beschlüsse des Bundesausschusses zur Nutzenbewertung auch den Ärzten sichtbar und transparent gemacht werden. Denn auf dieser Grundlage wird ein Erstattungsbetrag verhandelt, der - so die Intention des Gesetzes - für den Arzt wirtschaftlich sein soll. Das sollte den Arzt entlasten und es ihm möglich machen, frei zu verordnen.

Leider gibt es aber von der Ärzteschaft selbst weitere Verhandlungen zwischen KVen und Kassen, deren Ergebnisse denen der Nutzenbewertung widersprechen. Das macht viele Ärzte konfus, weil sie nicht wissen, was gilt. Das kann durch ein intelligentes Arznei-Informationssystem aufgelöst werden. Unser Anliegen ist, dass ein gutes Informationssystems für Ärzte entsteht. Und daran arbeiten wir gerne mit.

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