Therapietreue Fehlanzeige

Fast jede fünfte Arznei wird falsch eingenommen

"Das Medikament ist wichtig", appellieren Ärzte. Patienten sehen das oft anders und bleiben verordneten Pillen absichtlich fern. Warum das so ist, haben Forscher jetzt untersucht.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Viele von den Ärzten als wichtig eingestufte Präparate werden von Patienten nicht korrekt eingenommen.

Viele von den Ärzten als wichtig eingestufte Präparate werden von Patienten nicht korrekt eingenommen.

© Robert Kneschke / fotolia.com

PARIS. Die wenigsten Ärzte dürften sich der Illusion hingeben, alle von ihnen verordneten Präparate würden von den Patienten vorschriftsgemäß eingenommen. Betrachtet man aber genauer, wie es um die Therapieadhärenz bestellt ist, überrascht das Ausmaß der Noncompliance manchmal dennoch.

Eine französische Untersuchung hat nun einen möglichen Grund für die mangelhafte Behandlungstreue offengelegt: In den Ansichten darüber, wie wichtig ein Medikament für den Patienten ist, sind Behandelte und Ärzte in vielen Fällen uneins (Ann Fam Med 2016; 14: 415–421).

Für ihre Studie haben Stéphanie Sidorkiewicz von der Université Paris Descartes und ihre Mitarbeiter 128 Patienten und deren Ärzte zur Wichtigkeit der verordneten 498 Präparate und zur Einnahmetreue befragt.

In beiden Punkten stimmten die Einschätzungen von Ärzten und Patienten nur schwach überein. Zwischen dem Grad der Wichtigkeit, die Ärzte einer Verordnung beimaßen, und dem Grad der Therapieadhärenz, von dem die Patienten berichteten, bestand gar keine Korrelation.

Meist in voller Absicht

94 (18,9 Prozent) der verordneten und von den Ärzten als wichtig eingestuften Präparate – meist Herz-Kreislauf-Medikamente, Antidiabetika und Mittel gegen Atemwegserkrankungen – wurden nicht korrekt eingenommen. In der Hälfte dieser Fälle geschah dies aus Sicht der Patienten mit voller Absicht.

Sidorkiewicz und ihr Team analysierten auch die näheren Gründe der mangelnden Adhärenz. Vergesslichkeit, Sorglosigkeit und Leere in der Pillendose werteten sie als nicht absichtliche Therapieuntreue.

Wo Patienten ihre Medikamente absichtlich nicht nahmen, gaben sie unter anderem an, ohne ihre Tabletten gehe es ihnen besser. Auch die Nebenwirkungen, eine angeblich zu große Zahl von verschriebenen Medikamenten und Zweifel, ob die Mittel überhaupt wirkten, kamen zur Sprache.

In nicht wenigen Fällen weigerten sich die Patienten einfach, die Präparate weiter zu nehmen. "Ich will damit aufhören", hieß es dann.

Forscher ermuntern zur Aufklärung

Die französischen Wissenschaftler ermuntern die Ärzte, ihre Patienten besser über die verordneten Medikamente aufzuklären. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Patienten in erster Linie ihre Beschwerden loswerden wollten, während die Mediziner ihre Rezepte oft mit Blick auf die Abwehr chronischer Leiden ausstellten, die zu dem Zeitpunkt noch gar keine Symptome verursachten.

"Wie unsere Ergebnisse zeigen, ist es wichtig, regelmäßig für jedes einzelne langfristig verordnete Medikament zu prüfen, ob die Patienten es einnehmen", schreiben Sidorkiewicz und Kollegen in ihrem Fazit.

Bei schlechter Compliance sei das Risiko-Nutzen-Verhältnis abzuwägen und gegebenenfalls auch einmal auf eine weniger bedeutende, aber neben- und wechselwirkungsträchtige Verordnung zu verzichten.

Immerhin 13 Prozent ihrer Verordnungen hatten die an der Studie beteiligten Ärzte als nicht besonders wichtig eingestuft.

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