Projekt

Was Ärzte von ihren Patienten lernen können

Im hektischen Arztalltag bleibt oft keine Zeit für ausführliche Patientengespräche. Aber enge Zeitpläne müssen gar kein Hindernis für Zuwendung sein, wie ein Projekt zeigt, bei dem Patienten ihre Ärzte schulen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Einsatz an der Uni Münster: Die Patient Partners der Deutschen Rheuma-Liga üben mit Medizinstudenten - oder Ärzten - nicht nur das Patientengespräch, sondern auch die Untersuchung der Gelenke.

Einsatz an der Uni Münster: Die Patient Partners der Deutschen Rheuma-Liga üben mit Medizinstudenten - oder Ärzten - nicht nur das Patientengespräch, sondern auch die Untersuchung der Gelenke.

© Deutsche Rheuma-Liga

BERLIN. Viele Ärzte fühlen sich als Getriebene im Kassensystem. Zeit für die sprechende Medizin oder besser für ein ausführliches Patientengespräch, das einen gewissen Anteil an Zuwendung beinhaltet, ist im Praxisalltag kaum vorhanden. Doch es lohnt sich nicht nur, Zeitfenster hierfür freizuräumen.

Es ist auch notwendig, wenn gerade Hausärzte den größten Schatz, den sie in der Kommunikation mit den Patienten und in der ärztlichen Versorgung besitzen, nicht verlieren wollen - das Vertrauen der Patienten. Das stellte Professor Stefan Wilm, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Düsseldorf, auf einer gemeinsam von KBV und Bundesärztekammer veranstalteten Fachtagung zur Arzt-Patienten-Kommunikation in Berlin klar.

Selbst Fehler werden verziehen

"Einem Hausarzt werden selbst Fehler verziehen, wenn er sich seinen Patienten zuwendet", so Wilm. Doch was genau heißt Zuwendung? Und wie viel Zeit müssen Ärzte dafür tatsächlich investieren? Gar nicht so viel, wie ausgerechnet ein Projekt zeigt, bei dem Ärzte von Patienten in der Gesprächsführung trainiert werden.

"Patient Partners" gibt es seit 2007, initiiert wurde das von Pfizer geförderte Projekt von der Deutschen Rheuma-Liga. Dabei habe die Rheuma-Liga das Projekt allerdings von einer internationalen Bewegung übernommen, die ihren Anfang in den USA um Professor Peter Lipsky habe, berichtete Karl Cattelaens, Stellvertretender Geschäftsführer der Rheuma-Liga.

"Es geht darum, den Ärzten ein gewisses Erfahrungswissen zu ermitteln, was es bedeutet, mit Rheuma zu leben", so Cattelaens. Und darum, Hausärzte im Abtasten der Gelenke zu schulen, damit Rheuma schneller erkannt wird und schneller ein Rheumatologe in die Therapie einbezogen wird.

Oft seien Hausärzte unsicher bei der Untersuchung der Gelenke und würden den Patienten auch nicht die richtigen Fragen stellen, weiß Christine Rosinsky-Stöckmann aus ihrer Erfahrung als langjähriger Patient Partner. Rosinsky-Stöckmann leidet seit 50 Jahren unter Rheuma.

Weil es, als die Krankheit mit 17 Jahren bei ihr ausbrach, noch nicht die Therapiemöglichkeiten gab, die es wie heute schaffen, den Krankheitsverlauf halbwegs gut in den Griff zu bekommen, sind ihre Gelenke weitestgehend zerstört. Besonders auffällig ist die Krankheit an den Händen. "Ich merke schon daran, wie ein Arzt meine Hände anfasst, wie er zugreift, ob er das Abtasten der Gelenke kann oder nicht", sagte sie.

Oft werden nur Symptome behandelt

Mindestens genauso wichtig wie das richtige Ertasten eines entzündeten Gelenkes sei aber das Gespräch mit den Patienten. "In der Praxis werden oft nur die Symptome behandelt, es bleibt aber außen vor, was es heißt, wenn die Gelenke geschwollen sind", so Rosinsky-Stöckmann. "Für mich als Patientin bedeutet das, ich kann mich nicht waschen, kämmen, anziehen. Ich kann mir kein Brot schmieren."

Genau hier setzt das Patient Partner Projekt an. Nur selbst betroffene Patienten schulen - in kleinen Gruppen mit drei bis fünf Ärzten oder Studenten - die Mediziner. Dabei gebe es zu Beginn der Fortbildung einen medizinischen Vortrag durch einen Experten zu rheumatischen Fällen und Fakten, erklärte Cattelaens.

Dem folge die Kleingruppenarbeit mit dem Patient Partner. "Die Patient Partners berichten erst einmal über ihre persönliche Biografie und ihren Krankheitsverlauf. Anschließend fordern sie die Mediziner zu Rollenspielen und der Untersuchung der Gelenke auf."

Die Rheuma-Liga hat bislang 120 solcher Patient Partners für ihre Aufgabe geschult. "Dabei haben wir zu Beginn des Projekts einige spannende Diskussionen mit Rheumatologen geführt, wie so eine Schulung von Ärzten durch Patienten überhaupt möglich sein kann", so Cattelaens.

Den Patient Partners wird innerhalb ihrer Fortbildung auch medizinisches Wissen vermittelt. Außerdem wird ihnen innerhalb der Landesverbände der Rheuma-Liga zu Beginn ein Mentor zur Seite gestellt. In den sieben Jahren, in denen die Patient Partners unterwegs sind, sind nur zehn aus unterschiedlichen Gründen aus dem Projekt wieder ausgestiegen.

Cattelaens: "Sie sind bislang auch an sieben Universitäten im Einsatz." Gerade die Arbeit mit Studenten scheint den Patient Partners Spaß zu machen. "Die Studenten sind neugierig und fragen viel", so Rosinsky-Stöckmann. Sie hätten weniger Berührungsängste als gestandene Mediziner und würden sie als Patient Partner tatsächlich gleichberechtigt behandeln.

Indem die Patient Partners versuchen, bereits Medizinstudenten für die Problematik der Patienten zu sensibilisieren, hoffen sie, dass die Nachwuchsärzte dieses Wissen später mit in die Praxis nehmen. "Die Zuwendung ist für chronisch-kranke Patienten ganz wichtig", erklärte Rosinsky-Stöckmann, "denn die bekommen sie nirgendwo anders."

In der Familie und bei Freunden stoße man anfangs auf Verständnis, aber irgendwann werde das Leiden lästig, sagte sie. "Der Arzt muss die Probleme gar nicht lösen, er muss nur ein Ohr und Verständnis dafür haben. Das ist die größte Hilfe, die man einem Patienten geben kann."

Die Zahl der Arztkontakte sinkt

Christine Rosinsky-Stöckmann hat für sich die Erfahrung gemacht, dass, wenn sie das Gefühl hat, ihr wurde in der Praxis zugehört, auch für sie selbst weniger Arztkontakte nötig sind. Vor allem dann, wenn wahrgenommen wird, wie sich die Krankheit auf ihr Leben auswirkt und es bei der Lösung von Alltagsproblemen ebenfalls eine gewisse - zumindest mentale Unterstützung - gibt.

Dabei muss ein solches Gespräch keine halbe Stunde dauern: Wer aktiv zuhört, dem Patienten also Fragen stellt, ihn ausreden lässt und das Gehörte vielleicht noch einmal kurz zusammenfasst, um zu signalisieren, dass er den Patienten verstanden hat, kann auch in zehn Minuten das Gefühl beim Patienten aufbauen "hier wurde ich als Person wahrgenommen".

"Wenn Sie mich heute fragen, was das Schlimmste an meiner Krankheit ist, dann sind es nicht die Schmerzen. Die habe ich gelernt zu ertragen. Womit ich große Probleme habe, das sind die Funktionseinbußen", gestand Rosinsky-Stöckmann. "Dass ich vor einer Verpackung stehe und im Prinzip verhungere, weil ich sie nicht öffnen kann."

Lesen Sie dazu auch: Patientengespräch: Leitfaden gegen die Vergesslichkeit

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