Fach-Chinesisch ade

Start-Up "übersetzt" Arzt- in Patientensprache

"Was hab‘ ich?" Wenn diese Frage Patienten umtreibt, hilft das gleichnamige Start-Up. Das Ziel: Kommunikation auf Augenhöhe. Vom Engagement profitieren auch die teilnehmenden Ärzte.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Die Köpfe hinter dem neuen Patientenbrief (v.l.): Franziska Mettke, Ansgar Jonietz und Beatrice Brülke.

Die Köpfe hinter dem neuen Patientenbrief (v.l.): Franziska Mettke, Ansgar Jonietz und Beatrice Brülke.

© Jana Kötter

LEIPZIG. Koronare Mehrgefäß-Erkrankung, Aortenelongation, eine Auswurf-Fraktion von 62 Prozent: Was für Mediziner Alltag ist, kann Patienten Sorgen bereiten. Dann nämlich, wenn sie die Fachbegriffe, die bei der Klinik-Entlassung im Arztbrief stehen, nicht verstehen – und der Hausarzt sich nicht bewusst ist, wie wichtig die "Übersetzung" in eine laienverständliche Sprache ist.

Vor fünf Jahren hat Ansgar Jonietz das im Freundeskreis beobachtet: Die Mutter einer Dresdner Kommilitonin war angesichts des unverstandenen Arztbriefes besorgt und fragte die Freundin der Tochter – eine Medizinstudentin – um Hilfe.

"Doch was machen Menschen, die keine angehenden Mediziner im Umkreis haben?", fragten sich Jonietz und seine Freunde damals. Vier Tage später ging www.washabich.de an den Start.

Heute ist der IT-ler Jonietz der einzige der Gründer, der noch im Unternehmen ist. Er fungiert als Geschäftsführer. Fünf weitere Vollzeit-Beschäftigte – drei Ärzte, ein weiterer IT-Spezialist und eine Kommunikationswissenschaftlerin – sind angestellt, fast 29.000 Befunde wurden übersetzt.

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Veröffentlicht: 01.09.2016 © Springer Medizin

 

So funktioniert das Projekt

Patienten reichen bei "Was hab ich?" elektronisch ihre Befunde ein, die von Medizinern in eine laienverständliche Sprache "übersetzt" werden. Zum Datenschutz ist der Patient aufgefordert, sensible Daten zu schwärzen, abrufen kann er den Befund mit einem passwortgeschützten Link.

Die Dienstleistung kostet den Patienten nichts. In dem nur für Mitglieder zugänglichen Netzwerk suchen sich ehrenamtlich tätige Ärzte und Medizinstudenten ab dem achten Fachsemester die Befunde aus, die sie übersetzen möchten. Wichtig ist den jungen Medizinern aber, dass sie keine Zweitmeinung anbieten.

Mehr als 1500 Freiwillige haben sich bei "Was hab ich?" bisher beteiligt, aktuell seien es zwischen 80 und 100, sagt Jonietz.

Ehrenamtliche Helfer mit ganz unterschiedlichen Hintergründen

Die "Übersetzer" sind höchst unterschiedlicher Natur: Ein pensionierter Arzt etwa sei mit 3000 Übersetzungen besonders aktiv, viele junge Mediziner schätzen den Austausch – und das Lernen über die Arzt-Patienten-Kommunikation.

Denn jeder "Übersetzer" erhält eine Kommunikationsschulung. "Damit profitieren wir von dem Engagement ein Leben lang - und auch für eine spätere Niederlassung", sagt Franziska Mettke.

Die junge Ärztin hat sich zunächst gegen eine Facharztausbildung und für die Anstellung bei dem Start-Up entschieden. Bereits während des Studiums hat sie drei Jahre lang nebenbei Befunde "übersetzt".

Dass vielen Ärzten nicht klar ist, wie wichtig im Praxisalltag eine laienverständliche Sprache ist, sehen Mettke und Jonietz auch im Studium begründet. Junge Ärzte würden über Jahre auf die Fachsprache getrimmt.

"Wir sind nicht mehr die Halbgötter in Weiß"

Wie Diagnosen dann aber empathisch und laienverständlich transportiert werden, wüssten nicht viele. "Dabei hat sich das Arztbild sehr geändert", beobachtet Mettke. "Wir sind nicht mehr die Halbgötter in Weiß."

Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht Aufholbedarf: "Fachliches Wissen muss vermittelt werden können", betonte er bei einem Treffen mit den "Was hab ich?"-Machern auf seiner Sommerreise. Zwischen neun und 15 Milliarden Euro gingen schätzungsweise jährlich verloren, weil die Kommunikation zwischen Arzt- und Patientenseite nicht ausreichend funktioniere.

Bedarf für "Was hab ich?" besteht also. Aus der gemeinnützigen GmbH irgendwann ein Geschäft zu machen, ist aber nicht das Ziel der jungen Unternehmer.

Ziel ist Veränderungen im Denken und der Ärzteausbildung

Das Jahresbudget von 300.000 bis 350.000 Euro wird durch Unterstützung von AOK Bundesverband, KBV, Gesundheitsministerium und die Bertelsmann Stiftung abgedeckt. Sie seien erkenntnis- statt gewinnorientiert, betont Jonietz.

Jonietz weiter: "Irgendwann sollte das Gesundheitswesen so weit sein, dass Ärzte besser kommunizieren und keine individuelle Übersetzung mehr benötigt wird."

Seit 2014 kooperiert "Was hab ich?" daher auch mit Unis für Wahlpflichtkurse im Fach Kommunikation. Außerdem arbeiten sie an einem vollautomatisierten Patientenbrief, der künftig allen Patienten bei der Klinikentlassung zur Verfügung gestellt werden soll - eine erste Pilotphase läuft bereits mit den Paracelsus-Kliniken Bad Ems.

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