Zermahlen in den Mühlen der Bürokratie?

Verbraucherschutz oder bürokratischer Irrsinn? Seit Jahren kämpft ein Unternehmer in Bayern dafür, eine neue Inhalierhilfe vertreiben zu dürfen. Nun versucht er es mit einer Eingabe beim Europäischen Parlament (EP).

Von Petra Spielberg Veröffentlicht:

Christoph Klein, Vorstand und Geschäftsführer der atmed AG

Ende 1995 brachte der Medizintechnikhersteller Christoph Klein eine neuartige Inhalierhilfe für Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen auf den Markt. Das für fast alle herkömmlichen Dosieraerosole einsetzbare Produkt unterschied sich von den herkömmlichen Geräten vor allem durch seine gerade, zylindrische Form. "Dies hat den Vorteil, dass die Inhalation auch im Liegen erfolgen kann", sagt der Geschäftsmann, der selbst unter Asthma leidet.

Experimentelle Untersuchungen unter anderem durch den Leiter der Abteilung Innere Medizin und Pneumologie des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, Dr. Dieter Köhler, hätten ferner belegt, dass sich die Zahl der Sprühstöße im Vergleich zu den marktüblichen Geräten signifikant verringern lässt.

Das Geschäft lief gut an. Das Unternehmen mit dem Namen atmed AG verkaufte nach eigenen Angaben innerhalb des ersten halben Jahres rund 30 000 Inhalierhilfen.

Im Mai 1996 meldete die Regierung Oberbayern plötzlich Zweifel an der Konformität der Inhalierhilfe mit den Vorschriften des Medizinprodukterechts an und warnte vor möglichen gesundheitlichen Gefahren durch das Gerät. Das für die Kontrolle des Herstellers zuständige Amt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt widersprach dem zwar. Die Regierung Oberbayern ließ jedoch nicht locker und verlangte den Rückruf der Produkte.

Unterstützung erhielten die oberbayerischen Beamten vom Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM). Die Bonner Behörde stufte die Inhalierhilfe nicht als Medizinprodukt ein, sondern bestand auf einer Zulassung des Produkts nach dem Arzneimittelrecht.

Das "zentrale Problem" ergebe sich aus der Tatsache, dass das Gerät "für fast alle im Verkehr befindlichen Dosieraerosole anwendbar sein soll", teilte die Behörde dem Hersteller im Dezember 1996 schriftlich mit. Das BfArM verlangte daher, das Produkt mit den entsprechenden Arzneimitteln zu prüfen, "um verlässliche Aussagen zum Einsatz des Inhalers machen zu können." Der "Ärzte Zeitung" gegenüber wollte das Institut keine Stellungnahme zu dem Fall abgeben.

Die Forderung der Bundesbehörde führt aus Sicht des Verfassungsrechtlers und zeitweiligen Anwalts von Klein, Professor Hans-Herbert von Arnim, gleichwohl zu der "absurden Konsequenz", dass die Hersteller von Arzneimitteln die Möglichkeit erhalten, die Zulassung eines "gesundheitsfördernden, patientenfreundlichen und kostensparenden" Produkts auf Dauer verhindern.

Da es Klein, wie er sagt, nicht gelang, die Pharmaindustrie ins Boot zu holen, blieb dem Unternehmer keine Wahl: Er musste seine Inhalierhilfe vom Markt nehmen.

Ende 1997 informierte die Bundesregierung die Europäische Kommission über den Fall. Die Brüsseler Behörde sollte im Rahmen eines so genannten Schutzklauselverfahrens prüfen, inwieweit das Vertriebsverbot, das bei CE-zertifizierten Produkten automatisch für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum gilt, gerechtfertigt ist. Doch damit fing der Ärger für den Unternehmer aus dem bayerischen Piding erst richtig an. Zwar leitete die EU-Kommission umgehend ein Prüfverfahren ein. Eine rechtsgültige Entscheidung liegt indessen bis heute nicht vor.

Doch Klein gab nicht auf. 2002 brachte der Unternehmer sein inzwischen weiter entwickeltes Produkt unter dem Namen Effecto für die Bedarfs- und Notfalltherapie mit kurz wirksamen Beta2-Sympathomimetika auf den Markt. Der Medizintechnikgutachter Dr. Hans Haindl aus Wennigsen bestätigte dem Unternehmer, dass "eine Patientengefährdung aus dem Einsatz des Effecto […] nicht erkennbar [ist]." Dennoch erwirkte die Regierung Oberbayern im Mai 2005 ein neuerliches Vertriebsverbot.

Schließlich schaltete sich 2007 auch die Energie Betriebskrankenkassen (EBKK) Hannover in die Sache ein und bestätigte die "nachweisbaren Kosteneinsparungen" durch das Gerät. Klein setzte zusätzlich alle Hebel in Bewegung, um das neuerliche Vertriebsverbot rückgängig zu machen, und reichte sogar Klage beim Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.

Doch gebracht hat es nichts, zumal sich die Bundesregierung und der für Unternehmensfragen zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen weigern, erneut in der Sache tätig zu werden. Seine letzte Chance sieht Klein in einer Eingabe beim EP. Er hofft, dass sich der Petitionsausschuss des Parlaments für ihn stark machen und die Kommission zum Handeln zwingen wird.

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