Bei Blinden sehen Versicherer schnell erhöhte Risiken

Die Ablehnungsbescheide von Versicherungen an Blinde lesen sich wie ein Gruselkabinett. Ein Versicherungsdienst für Sehbehinderte setzt sich für deren Bedürfnisse ein.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Rainer Obenauer: "Durch den Abbau der Sozialversicherungen ist die private Vorsorge existenziell wichtig geworden."

Rainer Obenauer: "Durch den Abbau der Sozialversicherungen ist die private Vorsorge existenziell wichtig geworden."

© Gesa Coordes

MARBURG. Beim Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (Marburg) stapeln sich die Beschwerden: Wenn ein Sehbehinderter in der Vergangenheit eine ordentliche Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen konnte, war das ein seltener Glücksfall. Häufig waren fragwürdige Ausschlussklauseln, absurde Ablehnungen und hohe Risikozuschläge.

Rechtsexperte Dr. Otto Hauck hat eine ganze Liste mit den gravierendsten Fällen zusammengestellt: "Das ist eine Art Gruselkabinett", sagt der blinde frühere Richter.

Da wurde einem Diplom-Informatiker und Leiter einer EDV-Abteilung die private Krankenversicherung verweigert, weil Blinde angeblich psychisch besonders auffällig seien und oft an Depressionen litten.

Eine andere Versicherung gewährte einem blinden Kunden zwar das Darlehen für ein Grundstücksgeschäft, nicht aber die dazu gehörige Risikolebensversicherung.

Deswegen ist Hauck froh, dass es seit 2007 den Versicherungsdienst für Blinde und Sehbehinderte GmbH (VDBS) gibt, der von Marburg aus Blinde aus ganz Deutschland berät.

Dahinter steht Versicherungsmakler Rainer Obenauer, für den das einzigartige Angebot eine Herzensangelegenheit ist. Der 65-Jährige hat 40 Jahre lang zunächst für die Allianz und dann als unabhängiger Versicherungsmakler gearbeitet.

Blinde begegneten ihm bei seiner Arbeit häufig, weil nirgendwo in Deutschland so viele Sehbehinderte leben wie in Marburg: "Durch den Abbau der Sozialversicherungen ist die private Vorsorge existenziell wichtig geworden", sagt er.

Jeder Vierte sei irgendwann von Berufsunfähigkeit betroffen, natürlich auch Blinde, von denen in der Vergangenheit kaum jemand eine Berufsunfähigkeitsversicherung hatte.

Jetzt arbeitet Obenauer nur noch für sehbehinderte Kunden, obgleich die Arbeit besonders aufwändig ist. Dazu gehören nicht nur Angebote in Großschrift, Blindenschrift und als CD.

Die Versicherungskonzerne machen den Blinden das Leben auch immer noch schwer. Mehr als zwei Drittel der Anträge werden abgelehnt. In vielen Fällen muss wochenlang um Patientenakten und Versicherungen gekämpft werden.

Dabei gibt es seit 2006 eine neue Handhabe. Nach dem neuen Gleichbehandlungsgesetz, zu dem Jurist Hauck als Sachverständiger gehört, müssen Behinderte zu den gleichen Bedingungen versichert werden wie Nichtbehinderte.

"Das war nur gegen den allerhärtesten Widerstand der Versicherungen durchzusetzen", sagt Hauck. Dabei sind Zuschläge durchaus möglich, wenn die Betroffenen höhere Kosten verursachen.

Doch die dürfen nicht mehr pauschal vermutet werden, sondern müssen statistisch nachgewiesen werden. "Wir wollen ja nichts geschenkt bekommen. Wir wollen nur normal behandelt werden", erklärt Hauck.

Doch da Blinde in der Vergangenheit so gut wie gar nicht aufgenommen wurden, gibt es bislang noch keine Statistiken. Deswegen müssten Sehbehinderte eigentlich ebenso leicht versichert werden wie Nichtbehinderte: "Aber das muss erst einmal in die Köpfe der Versicherungen", sagt Obenauer.

Manche Assekuranzen wollten daraufhin am liebsten gar nicht mit ihm zusammenarbeiten. Doch sechs namhafte Versicherer haben sogar Rahmenverträge mit verbesserten Bedingungen für Sehbehinderte abgeschlossen. Obenauer berät jedoch unabhängig von Versicherungsunternehmen und Banken.

Sozial engagiert ist er nicht nur für seine Kunden. Die Hälfte seiner Mitarbeiter sind selbst blind oder sehbehindert.

Für das vorbildliche Engagement wurde die Firma bereits mit einem Hessischen Landespreis für beispielhafte Beschäftigung und Integration schwerbehinderter Menschen ausgezeichnet.

VDBS. Versicherungsdienst für Blinde und Sehbehinderte GmbH, Goldbergstr. 20, 35091 Cölbe, 06421-988640, www.vdbs-online.de

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