Multiple Sklerose

Business-Plan für die Forschung

Grundlagenforscher und klinische Wissenschaftler leben in verschiedenen Welten. Zwei Stiftungen wollen dies ändern und damit die Entwicklung von neuen MS-Medikamenten beschleunigen. Sie bauen Brücken zwischen Universitäten und Industrie.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Menschliche Nerven sind komplexe Gebilde. Die Erforschung von Krankheiten wie MS ist aufwändig.

Menschliche Nerven sind komplexe Gebilde. Die Erforschung von Krankheiten wie MS ist aufwändig.

© ktsdesign / fotolia.com

FRANKFURT/MAIN. In 25 Jahren, so hatten es die Ärzte Scott Johnson versprochen, werde es ein Heilmittel gegen MS geben. Das war 1976. Der US-Amerikaner erlitt als Student auf Europareise plötzlich Sehstörungen und bekam in Wiesbaden die Diagnose MS.

Ein Vierteljahrhundert später gab es zwar die ersten immunmodulierenden Therapien, aber gegen die bestehenden Schäden und die schleichende Progression der Erkrankung hatte noch immer niemand ein wirksames Mittel entwickelt.

Johnson, der inzwischen als Unternehmer und Berater Erfahrung sammeln konnte, beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. 2004 gründete er die Myelin Repair Foundation (MRF).

Zehn Jahre später erläutert er in der Frankfurter Zentrale der Hertie-Stiftung, also ganz in der Nähe des Ortes, an dem sich sein Leben verändert hat, wie er der MS-Forschung Beine machen will.

"Translational Gap" bremst aus

Als Unternehmer hatte Johnson nichts mit Medizin und Forschung am Hut und fragte sich, weshalb es gut 40 Jahre dauert, bis aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Therapien für Patienten werden.

Schnell stieß er auf den "Translational Gap", den viel bemängelten Graben zwischen Grundlagenwissenschaft und klinischer Forschung: Die Grundlagenforschung führt zwar zu vielen medizinisch interessanten Ansätzen, doch dabei bleibt es häufig.

Stiftungen in der MS-Forschung

Hertie-Stiftung: Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung zur Förderung von Wissenschaft, Erziehung, Volks- und Berufsbildung mit Sitz in Frankfurt am Main verfügt über ein Anlagevolumen von über 950 Millionen Euro und zählt damit zu den größten privaten Stiftungen in Deutschland.

Aus den Erträgen werden jährlich Projekte mit 20 bis 30 Millionen Euro gefördert. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Hirnforschung und hier vor allem die Multiple Sklerose. Ins Leben gerufen wurde die Stiftung 1974 von den Kindern und Erben des Hertie-Inhabers Georg Karg.

www.ghst.de/

Die Myelin Repair Foundation (MRF) wurde 2004 vom US-Unternehmer und MS-Patienten Scott Johnson gegründet um die Entwicklung neuer MS-Therapien zu beschleunigen. Seither konnte sie Forschungsprojekte mit 60 Millionen US-Dollar unterstützen, die zu neuen Tiermodellen und Testverfahren für potenzielle MS-Therapeutika führten.

Die Arbeit der Stiftung aus Saratoga in Kalifornien führte zu über 120 Fachpublikationen und etwa 100 neuen Wirkstoffkandidaten.

www.myelinrepair.org/

Die Wissenschaftler streben vor allem danach, ihre Erkenntnisse in Fachzeitschriften zu publizieren, und haben wenig Anreiz, die Ansätze weiterzuentwickeln. Der Industrie hingegen reichen ein paar Fachpublikationen nicht aus, um Millionen Euros und Dollars in die Erforschung eines neuen Wirkmechanismus zu stecken, sie braucht schon eine klare und gut reproduzierbare Evidenz, um anzubeißen.

Genau hier sieht Johnson den Zweck seiner Stiftung: Zusammen mit akademischen Forschern will er die interessantesten Ansätze zur Remyelinisierung bei MS herausfiltern und so weit prüfen, dass sich für Biotechnologie- und Pharmafirmen oder öffentliche Geldgeber die weitere Entwicklung lohnt.

Auf diese Weise, so hofft er, lässt sich der Graben zwischen Akademie und Industrie überbrücken. Johnson geht dabei mit unternehmerischem Eifer vor: "Für komplexe Probleme wie die Myelin-Reparatur braucht es interdisziplinäre Strukturen. Hier ist eine Art Businessplan nötig."

Rund 30 Testverfahren entwickelt

Die Stiftung MRF versucht zunächst, Forscher für geeignete Projekte zu gewinnen und zu fördern. Dabei gibt es klare Deadlines und Zielvorgaben. Die Wissenschaftler arbeiten im Team zusammen, sprechen sich ab und tauschen ihre Ergebnisse sofort aus statt, wie in der akademischen Forschung üblich, oft parallel und im Geheimen an denselben Problemen zu tüfteln.

Als Beispiel für die Arbeit der Stiftung nennt Johnson Tier- und Labormodelle, die von den Kollaborationen der MRF entwickelt und daraufhin optimiert wurden, Wirkstoffkandidaten im industriellen Maßstab zu testen - solche Assays zur Myelinregeneration hatte die Industrie bisher nicht. Mittlerweile verfügt die Stiftung über rund 30 Testverfahren.

Mit einer Reihe von Firmen werden nun Wirkstoffbanken durchgearbeitet, um potenzielle Arzneien aufzuspüren. Oft kommen jetzt auch Firmen von sich aus auf die Stiftung zu, um ihre Kandidaten zu prüfen, sagt Johnson.

Nach nur zehn Jahren haben es immerhin drei Verfahren in die klinische Prüfung geschafft. Zum einen wird ein Antihypertensivum mit regenerativen Eigenschaften geprüft - hier in Zusammenarbeit mit dem National Institute of Health (NIH), da kein Patentschutz mehr für den Wirkstoff besteht.

Zwei Stiftungen kooperieren

Im zweiten Ansatz testen Forscher aus Hamburg, Zürich und Chicago ein Verfahren zur Immuntoleranz. Dabei werden den Patienten zunächst weiße Blutkörperchen entnommen, mit MS-spezifischen Antigenen gekoppelt und wieder reperfundiert (wir berichteten).

Als Drittes untersuchen Wissenschaftler aus Cleveland in einer Phase-I-Studie mesenchymale Stammzellen zur Myelinreparatur.

Auf der Suche nach Kooperationspartnern in Europa ist Johnson schließlich auf die Gemeinnützige Hertie-Stiftung gestoßen. Diese fördert MS-Projekte in Deutschland seit 40 Jahren.

In Frankfurt haben beide Stiftungen jetzt eine Kooperation bekannt gegeben. Dabei bringen die Netzwerker der Hertie-Stiftung ihre Expertisen und Verbindungen in Deutschland mit ein. In einem ersten Schritt werden nun geeignete Forscher für die Kooperation ausgewählt.

Einen Namen konnte Dr. Eva Koch, Leiterin der MS-Projekte bei der Hertie-Stiftung, schon nennen: So soll Professor Mikael Simons vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen eine Förderung erhalten und die Mechanismen beim Zerfall des Myelins genauer untersuchen.

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