Forschungspolitik

Charité und Coca-Cola mit sich im Reinen

Unisono weisen Europas größte Uniklinik und der weltgrößte Süßgetränkehersteller Kritik von sich, es sei Einfluss auf Studien geübt worden. Die Gesundheitspartnerschaften seien transparent gewesen, wehren sie Kritik von foodwatch ab.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Foodwatch hat Spenden für Forschung unter die Lupe genommen.

Foodwatch hat Spenden für Forschung unter die Lupe genommen.

© fotomek / fotolia.com

BERLIN. Darf ein wissenschaftliches Institut der renommierten Berliner Uniklinik Charité Forschungsfördergelder vom Brauseproduzenten Coca-Cola annehmen?

Darüber ist eine heftige gesellschaftliche Debatte entbrannt, seit bekannt wurde, dass der Getränkekonzern zwischen 2011 und 2015 mehr als eine Million Euro für Forschungen am Institut für Geschlechterforschung in der Medizin der Charité gespendet hat.

Das Institut hat laut foodwatch von 2011 bis 2015 von Coca-Cola 800.000 Euro Spenden für Forschung erhalten. Etwas mehr als 200.000 Euro gab Coca-Cola zudem für die BEFRI Studie des Instituts (Berliner Frauen-Studie zur Selbsteinschätzung des kardiovaskulären Risikos).

Nicht die Institution Charité, aber die Charité-Professorin Professor Vera Regitz-Zagrosek ist zudem von 2011 bis 2015 mit der von ihr mitgegründeten Deutschen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin als Partner der Coca-Cola-Initiative "Hör auf dein Herz" aufgetreten.

E-Mail-Protestkampagne gestartet

Scharfe Kritik jedenfalls erntet diese Zusammenarbeit von der Verbraucherschutzorganisation foodwatch. Sie hat die Charité zum sofortigen Stopp der Kooperation aufgefordert und dazu eine E-Mail-Protestkampagne gestartet.

Zuckergetränke wie Coca-Cola sind mitverantwortlich für den weltweiten Anstieg von Übergewicht und chronischen Krankheiten, Herzinfarkte inklusive", so Oliver Huizinga, Experte für Lebensmittelmarketing bei foodwatch.

Sein Vorwurf an die Berliner Uniklinik: "Die Charité lässt sich vor den Werbekarren des Konzerns spannen". Sie präsentiere Coca-Cola damit als Teil der Lösung statt als Teil des Problems. Huizinga: "Die Charité darf da nicht länger mitspielen."

Die Berliner Uniklinik weist den Vorwurf einer Einflussnahme auf Forschungsprojekte und deren wissenschaftliche Ergebnisse durch Coca-Cola entschieden zurück.

Die Unterstützung durch Coca-Cola sei auf fünf Jahre angelegt gewesen und letztes Jahr planmäßig ausgelaufen, teilt die klinik mit. Eine Fortsetzung der Kooperation sei nicht geplant. Zudem weist die Charité darauf hin, dass die BEFRI-Studie bereits vor der Zuwendung geplant gewesen sei.

Uniklinik: Forscher waren unabhängig

"Coca-Cola hat zu keiner Zeit Einfluss auf die Studie geltend gemacht. Die Kontrolle oblag zu jedem Zeitpunkt und im Sinne der Guten Wissenschaftlichen Praxis allein den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek", heißt es in einer Mitteilung der Uniklinik.

Sie betont zudem, dass die Studie über Herz-Kreislauf-Erkrankungen und relevante Risikofaktoren bei Frauen Übergewicht als einen der wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren erfasst habe.

Außerdem seien in allen Veröffentlichungen und öffentlichen Präsentationen die Finanzierungsquellen der Studien transparent dargelegt worden. Auch die von der Charité unabhängige Deutsche Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin benennt laut Charité auf ihrer Website Übergewicht hinter dem Rauchen als zweitgrößten beeinflussbaren Risikofaktor.

Foodwatch kritisiert aber nicht nur die Charité für diese Kooperation, sondern auch Coca-Cola. Es sei "ein schlechter Witz", dass ausgerechnet der größte Limo-Produzent der Welt Frauen über die Vorsorge von Herz-Kreislauferkrankungen aufklären wolle, so Huizinga.

"Softdrinks wie Coca-Cola fördern selbst Übergewicht, Diabetes und auch Herzerkrankungen. Doch diese Debatte über die eigene Verantwortung will Coca-Cola unbedingt vermeiden", kritisiert der foodwatch-Marketingexperte. Er bezeichnet die Zuwendungen als "millionenschweren Ablasshandel".

Behauptungen "haltlos und konstruiert"

Coca-Cola wies auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" die Behauptungen von foodwatch als "haltlos und konstruiert" zurück. "Der Forschungsansatz, die Forschungsergebnisse sowie die Interpretation der Daten lagen jederzeit und ausschließlich in der Verantwortung des Instituts", so Coca-Cola Deutschland zur "Ärzte Zeitung".

Als Teil der im vergangenen August in den USA gestarteten Initiative würden derzeit sehr sorgfältig die Kriterien überprüft, die Coca-Cola bei zukünftigen Entscheidungen zur Förderung von Projekten anlegen wolle.

"Wir möchten sicherstellen, dass alle unsere Projekte bedeutsam, glaubwürdig und transparent sind für alle, die daran interessiert sind", so der Getränkehersteller. Auch habe das Unternehmen über sämtliche Spenden öffentlich informiert.

Insgesamt habe Coca-Cola in Deutschland seit 2010 rund 7,4 Millionen Euro in seine Gesundheitspartnerschaften investiert. Die größten Summen gingen an den Deutschen Olympischen Sportbund und das Deutsche Kinderhilfswerk.

Der Debatte in Deutschland waren Turbulenzen um Forschungsförderungen durch Coca-Cola in den USA vorausgegangen.

Dort hat der Konzern laut foodwatch zwischen 2010 und 2015 insgesamt 118 Millionen Dollar in seine Gesundheitspartnerschaften investiert, darunter auch drei Millionen Dollar Spenden an die American Academy of Pediatrics und 1,9 Millionen an die American Cancer Society.

Ins Kreuzfeuer der Kritik war der Konzern vor allem wegen der Förderung für das Forschungsnetzwerk GEBN (Global Energy Balance Network) geraten, das seine Tätigkeit inzwischen eingestellt hat.

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