Designierter apoBank-Chef Sommer

"Niederlassung bietet enorme Chancen"

Trotz zunehmender Regulierung und skeptischer Töne aus der Berufspolitik: Junge Ärzte sollten sich vor der Niederlassung nicht entmutigen lassen, sagt Ulrich Sommer, designierter Vorstandsvorsitzender der Deutschen Apotheker- und Ärztebank. Im Interview bricht Sommer eine Lanze für die Freiberuflichkeit von Ärzten.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
'Niederlassung bietet enorme Chancen'

© apoBank

Ärzte Zeitung: Herr Sommer, wenn Sie Arzt wären: Würden Sie sich in eigener Praxis niederlassen?

Ulrich Sommer: Auf jeden Fall! Niedergelassenen Ärzten bieten sich enorm viele Chancen, die eigenen Vorstellungen vom Berufsleben zu verwirklichen. Auch die heute so wichtige Work-Life-Balance können Ärzte in eigener Praxis ausleben – sie müssen praxisorganisatorisch nur das Umfeld dafür schaffen, etwa über Vertretungen oder über die Delegation von Leistungen. Laut einer Studie der apoBank würden immerhin 90 Prozent der niedergelassenen Ärzte wieder in die Niederlassung gehen, wenn sie wählen könnten.

Viele junge Ärzte sind da offenbar zurückhaltender, wenn man die steigende Anzahl in Anstellung arbeitender Ärzte sieht. Woran liegt das?

Da kommen wohl mehrere Faktoren zusammen, zum Beispiel Ängste vor vermeintlich hohen Investitionen, mehr Verantwortung als im Ärzteteam der Klinik. Vielleicht haben die Verbände in ihrer Lobbyarbeit die Rahmenbedingungen in der Praxis auch manchmal übertrieben negativ dargestellt, und die positiven Aspekte gerieten in der öffentlichen Wahrnehmung außer Acht. Wir müssen einfach daran arbeiten, die Vorzüge der Niederlassung darzustellen. Die apoBank tut das zum Beispiel mit der Initiative "Chance Niederlassung", hier wollen wir eng mit den Standesorganisationen zusammenarbeiten und in regionalen Netzwerken unsere Beratungs- und Unterstützungsangebote noch besser miteinander verzahnen.

Anfang des Jahres haben Sie vor einer zunehmenden Regulierung im ersten Gesundheitsmarkt gewarnt. Ist es für den Freiberufler Arzt noch motivierend – abgesehen vom finanziellen Risiko –, in eigener Praxis tätig zu sein?

Die Regulierung wird generell in allen Bereichen der Gesellschaft immer stärker, auch in der Arztpraxis. So gibt es für Ärzte heute deutlich mehr Dokumentationspflichten als früher. Wie ein Arzt oder eine Ärztin damit fertig wird, ist aber auch eine Frage, wie die Praxis organisiert ist. Mithilfe moderner Praxis-IT lässt sich das durchaus effizient umsetzen – und so können sich Ärzte mehr Freiräume für die heilberufliche Tätigkeit schaffen. Leider wird eine effiziente Organisation der Abläufe im Medizinstudium nicht gelehrt.

Ist die Freiberuflichkeit angesichts starker Normierungsbestrebungen in der EU überhaupt langfristig eine Perspektive für Ärzte und Zahnärzte und letztlich auch für Apotheker?

Die Freiberuflichkeit ist ein wichtiger Stützpfeiler der deutschen Wirtschaft. Auch im Gesundheitswesen dürfte es hierzulande kein Interesse geben, auf so prägende Merkmale wie Diagnose- und Therapiefreiheit zu verzichten.

Wie unabhängig können Ärzte angesichts zunehmender Regulierung, angesichts auch des weiter bestehenden Regressdrucks, ihren Beruf überhaupt noch ausüben?

Der Regressdruck scheint in der Diskussion deutlich überbewertet. In der Realität – und das sehen wir ja auch bei unseren Kunden – ist das tatsächliche Regressrisiko kein so großes Thema.

Welchen Blick haben Sie als finanzierende Bank auf die allseits beklagte Ökonomisierung der Medizin und den Druck durch Konzernstrukturen auch im Gesundheitswesen?

Wenn Sie Ökonomisierung meinen als Umsetzung des ökonomischen Prinzips und damit eines effizienten Einsatzes der Mittel im Gesundheitswesen, dann ist die Ökonomisierung durchaus von Vorteil. Dazu gehört auch eine sinnvolle Verzahnung der Sektoren.

Also Klinik-MVZ statt Niederlassung in der Praxis?

Nein, durchaus nicht, jedenfalls nicht bevorzugt! Ich sehe da zum Beispiel eine typische Dreier-BAG als eine Möglichkeit, effizientere Strukturen durch niedergelassene Ärzte zu schaffen, ohne gleich in Konzernstrukturen zu verfallen. In solchen Gemeinschaften sind Teilzeitmodelle möglich, die Ärzte können sich gegenseitig vertreten und haben dadurch genügend Freiräume – und es gibt doch dieses feste Arzt-Patienten-Verhältnis, das die Patienten letztlich suchen, wenn sie zum Arzt gehen.

Im vergangenen Jahr hat die große Koalition mehrere Gesetze verabschiedet, die unmittelbar in den ersten Gesundheitsmarkt eingreifen, unter anderem das E-Health-Gesetz und das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG). Wie sehen Sie die Wirkung der Gesetzesinitiativen auf den Gesundheitsmarkt?

Trotz aller Bekenntnisse zur Freiberuflichkeit schränkt die Gesundheitspolitik durch die massive Regulierung in den letzten Jahren die Selbstverwaltung der Heilberufler zunehmend ein. Gesetzliche Rahmen sind wichtig, aber die Dosis ist besorgniserregend. Das E-Health-Gesetz war sicher überfällig, weil Deutschland bei der Digitalisierung mittlerweile wirklich hinter vielen anderen Ländern zurück ist. Aber auch hier gilt: Es sollte nicht alles vom Staat reguliert werden. Es reicht zum Beispiel, Heilberuflern Leitplanken zu geben, was passieren soll, es muss aber nicht jeder Arbeitsschritt im Detail vom Gesetzgeber festgelegt werden.

Immerhin: Auch wenn der Medikationsplan nur auf Papier gedruckt wird. Der Plan ist bei allen Schwächen am Ende doch ein wichtiger Schritt für den Austausch zwischen Ärzten und Apothekern über die Medikation ihrer gemeinsamen Patienten – mit dem Ziel, diesen Prozess am Ende ganz zu digitalisieren.

Also wir sind bei der Digitalisierung auf einem guten Weg durch das E-Health-Gesetz?

Nur bedingt! Denn eine andere Seite der Regulierung ist auch, dass man den Heilberufen und ihren Patienten anscheinend wenig zutraut. Der erste Gesundheitsmarkt ist hier stark reguliert, und er bewegt sich extrem langsam. Im zweiten Gesundheitsmarkt geht es dagegen in Sieben-Meilen-Stiefeln voran.

Wo liegt da aus Ihrer Sicht konkret der Fortschritt?

Meine Blutgruppe kenne ich persönlich nicht auswendig. Wenn das und mehr beispielsweise in einer App hinterlegt wäre, und Ärzte würden im Notfall darauf zugreifen können, würde ich mich sicherer fühlen. Und das geht ja heute schon. All die Bändchen mit Schrittzählern und anderen Sensoren für den Blutdruck etc., Apps mit Erinnerungsfunktion zur Einnahme von Medikamenten, Chips unter der Haut, Smartphone und Smartwatch, Daten in der Cloud ...

Die sichere und patientenorientierte Vernetzung und Auswertung von Gesundheitsdaten wird die Qualität der medizinischen Versorgung erhöhen. Ärzte sollten bei den modernen Möglichkeiten weiterhin Ansprechpartner für ihre Patienten sein können. Die Gesundheitskarte, die ja immer noch weit unter ihren 2002 angedachten Möglichkeiten bleibt, ist selbst schon ein altmodisches Medium.

Wo liegen heute für niedergelassene Ärzte aus Ihrer Sicht besondere Chancen? Ist es tatsächlich die Digitalisierung?

Digitalisierung ist kein Allheilmittel. Vorrangiges Ziel des technologischen Wandels muss sein, die Versorgungsqualität bzw. den Patientennutzen zu erhöhen, sicherlich auch in der Optimierung von Abläufen: Dort wo digitale Prozesse Medizin effizienter machen oder Medizinern und Patienten einen höheren Komfort bringen, etwa bei Online-Terminen, liegen für niedergelassene Ärzte Chancen. Aber ebenso in der Vernetzung von Praxen untereinander, organisatorisch in Praxisverbünden wie auch beim Datenaustausch untereinander. Röntgenbilder in der Teleradiologie per Datenleitung sind ein schönes Beispiel dafür. An vielen Stellen gibt es schon deutliche Fortschritte.

Stärkt das VSG den Trend zur Kooperation noch weiter? Und bei welchen Kooperationsformen sehen Sie die stärkste Dynamik?

Unsere jüngste Existenzgründungsanalyse zeigt, dass die Berufsausübungsgemeinschaft die beliebteste Kooperationsform ist, die von Ärzten bei der Niederlassung gewählt wird. Aber Dynamik gibt es natürlich auch bei MVZ. Doch sie entwickeln sich nicht so stark dort, wo man es sich erhofft hat, nämlich auf dem Land, um die Versorgung dort zu sichern. Diese Wachstumsmöglichkeiten werden auch nicht mehr ausschließlich nur durch die Heilberufe, sondern auch zunehmend von Gesundheitskonzernen, Krankenhäusern und Finanzinvestoren genutzt.

Sind MVZ für niedergelassene Ärzte eine echte Alternative zur BAG?

Grundsätzlich gibt es nur wenige Unterschiede zwischen BAG und MVZ. Beide Kooperationsformen bieten viel Flexibilität bei der Gestaltung der Team- und Teilzeitarbeit. MVZ werden nur dann zur Alternative, wenn die Gründer bewusst die unbegrenzten Wachstums- beziehungsweise Anstellungsmöglichkeiten oder die erweiterten Optionen bei der Praxisnachfolge im Fokus haben.

Welche Rolle sehen Sie in diesem sich doch rasant wandelnden Markt für die Banken?

Als apoBank sind wir ganz klar in der Rolle des Beraters – auch jenseits der Finanzierungsfragen – mit besonderem Know-how und Netzwerk im Gesundheitsmarkt. Wir haben den Überblick über den Gesamtmarkt, über strategische Optionen und moderne Abläufe und übernehmen für den Arzt die Rolle des Marktbeobachters. Dafür haben wir die Abteilung Gesundheitsmärkte und -politik eingerichtet, die alle Innovationsprozesse im Gesundheitsmarkt im Blick behält. Die Analysen unserer Research-Abteilung fließen permanent in unseren Beratungsprozess ein.

Banken klagen derzeit fast unisono über die niedrigen Zinsen, die Erträge drücken. Niedrige Zinsen erleichtern allerdings Investitionen in die Praxis – und auch die Existenzgründung. Aber wie sieht es mit der Altersvorsorge aus? Müssen Heilberufler hier neue Wege gehen – zumal der Praxisverkauf häufig wegbricht?

Ich möchte an dieser Stelle einmal eine Lanze für die Versorgungswerke brechen. Diese Struktur einer Selbstverwaltung ist eine hervorragende – und auch beneidenswerte – Möglichkeit, Altersvorsorge zu gestalten. Ärzte sind vom ersten Tag an gegen Berufsunfähigkeit versichert, andere Berufsgruppen zahlen dafür ein paar 1000 Euro im Jahr zusätzlich. Die Granularität der Anlagemöglichkeiten bei geringen Kosten spricht ebenfalls für die Versorgungswerke, ich wäre froh, wenn ich eine solche Möglichkeit als angestellter Banker hätte – trotz der niedrigen Zinsen.

Meine Blutgruppe kenne ich persönlich nicht auswendig. Wenn das und mehr in einer App hinterlegt wäre, und Ärzte könnten im Notfall darauf zugreifen, würde ich mich sicherer fühlen.

Zur Person

Aktuelle Position: seit Juni 2015 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank), ab September 2017 dann Vorstandsvorsitzender

Werdegang: Ausbildung zum Bankkaufmann; 1986 Eintritt in die apoBank; 1993 Wechsel zur IKB; 1994 Rückkehr zur apoBank als Leiter institutionelle Kundenbetreuung, seit Juli 2012 Vorstandsmitglied der apoBank, zuständig für Standesorganisationen, Großkunden und MärkteHier steht der Text vom zweiten Absatz

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