HINTERGRUND

MVZ reißt in Hamburg Versorgungslücken auf

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind bundesweit im Kommen. Mehr als 900 von ihnen gibt es bereits, viele von ihnen unter ärztlicher Führung. Besonders kritisch sehen Praxisinhaber MVZ in anderer Trägerschaft. Warum das so ist, wird gerade in Hamburg deutlich. Dort eröffnet das MVZ Atrio-Med im kommenden Monat seine Pforten - und sorgt schon seit Wochen hinter den Kulissen für Unruhe in der hanseatischen Versorgungslandschaft.

Zehn angestellte Ärzte mit Zulassungen für insgesamt sieben Fachrichtungen werden im Atrio-Med arbeiten. Sie kommen in Innenstadtnähe zum Einsatz. Die Zulassungen aber kommen aus dem ganzen Stadtbereich Hamburgs, das zulassungsrechtlich als ein Bezirk gilt. Was das für die Versorgung vor Ort bedeuten kann, lässt sich am Beispiel Finkenwerder ablesen. Auf der Elbinsel suchte der hausärztlich tätige Internist Dr. Haico Brüning schon seit geraumer Zeit vergeblich nach einem Nachfolger, der die Praxis übernimmt und damit die Patientenversorgung gewährleistet. Verschiedene Interessenten erteilten Brüning eine Absage.

KV kann Zulassungskäufern keinen Standort vorschreiben

Erst über einen Praxismakler hatte der inzwischen im schleswig-holsteinischen Elmshorn tätige Brüning Erfolg: Das im Aufbau befindliche MVZ Atrio-Med übernahm die Zulassung, nicht aber den Standort. Damit blieben nur fünf Hausärzte in Finkenwerder übrig - für 11 629 Einwohner. Zum Vergleich: In Hamburg insgesamt kommt ein Hausarzt auf 1585 Einwohner, in Finkenwerder auf 2345. Ein Ausweichen in andere Stadtteile ist für die Patienten wegen schlechter Verkehrsanbindung und der Insellage nur schwer möglich.

Für die öffentliche Kritik musste die KV herhalten - in diesem Fall unberechtigt. Denn weder die Körperschaft noch der Zulassungsausschuss können dem Inhaber einer Zulassung vorschreiben, welchen Standort er auswählt. So kann der Atrio-Med-Betreiber Zulassungen in ganz Hamburg aufkaufen, ohne die Folgen für die Versorgung im betroffenen Stadtviertel berücksichtigen zu müssen.

Atrio-Med kauft Zulassungen für den Innenstadtbereich.

Was den KV-Vorstand besonders erzürnte: Partner von Atrio-Med ist die Techniker Krankenkasse (TK), die integrierte Versorgungsverträge mit dem Betreiber vereinbart und auf besondere Bedingungen beim Service wie etwa begrenzte Wartezeiten für ihre Versicherten im Atrio-Med achtet. Auf der Homepage des Medizinischen Versorgungszentrums wirbt man denn auch mit "exklusiven Services und besonders effektiver Behandlung". Zugleich aber arbeiten in Finkenwerder viele TK-Versicherte, die dort von einer ausgedünnten hausärztlichen Versorgung betroffen sind, gibt die KV zu bedenken.

In einem anderen Hamburger Bezirk befürchten Augenärzte, dass sie den steigenden Patientenandrang bald nicht mehr bewältigen, weil Atrio-Med eine augenärztliche Zulassung in ihrer Nachbarschaft übernommen hat. Der Betreiber hat inzwischen zwar eine mündliche Zusage gegeben, an diesem Standort durch eine Filiale präsent zu bleiben. Eine Garantie, dass die Versorgung langfristig und im gleichen Umfang wie beim vorigen Vertragsarzt geleistet wird, gibt es aber nicht.

Das Angebot von Atrio-Med soll das gleiche sein wie am Standort in Köln, es sollen also unter anderem auch hausärztlich internistische Leistungen angeboten werden. Dafür wurde die Zulassung von Dr. Haico Brüning benötigt. Dass damit in Finkenwerder eine Versorgungslücke entstehen würde, war dem Betreiber nach dessen Angaben nicht bewusst. Um diese Lücke zu schließen, hat die KV Hamburg nach intensiver Suche einen Arzt aus einem Stadtteil gefunden, der nun täglich eine Zweigsprechstunde in Finkenwerder abhält.

Um die Situation weiter zu entspannen, wird außerdem demnächst über eine Sonderzulassung entschieden. Damit wird zwar die Versorgung am Standort gesichert, unter dem Strich aber muss damit die begrenzte Gesamtvergütung auf mehr Schultern verteilt werden.

STICHWORT

Atrio-Med

Unter dem Namen Atrio-Med wird außer in Hamburg seit längerem in Köln ein Gesundheitszentrum betrieben, das mit der TK zusammenarbeitet. Die Atrio-Med-Häuser sind 100-prozentige Tochtergesellschaften einer GmbH, die mehrfach Namen und Geschäftsführer gewechselt hat. Die GmbH hieß früher Rehasan, wandelte sich dann in Atriocare und schließlich in HCM Health-Care Managers GmbH. Aktueller Geschäftsführer ist Andreas Heyer. Den Namen des oder der Gesellschafter gibt man in der Zentrale in Köln nicht preis. Auch eine Recherche beim Handelsregister hilft wenig: Dort ist die Luxemburger Atriocare Holding S.à.r.l. als Gesellschafter mit einem Stammkapital von 400 000 Euro verzeichnet. Die S.à.r.l. steht für Société à responsabilité limitée, einer Rechtsform der haftungsbeschränkten Gesellschaft in Luxemburg. Eine solche Gesellschaft darf zwischen zwei und 40 Gesellschafter haben.

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