Regressangst der Ärzte schadet Patienten

Regresse werden in der Öffentlichkeit oft nur aus Arztsicht wahrgenommen. Ein TV-Bericht zeigte die andere Perspektive.

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NEU-ISENBURG (reh). Das Thema Regresse braucht mehr Öffentlichkeit, soll sich etwas im System ändern. Das hat ein Bericht des ARD-Verbrauchermagazins "Plusminus" einmal mehr gezeigt. Denn auf politischer Seite bewegt sich bislang nur wenig in Sachen Schutz für Arzt und Patient.

Anhand zweier Beispiele hat das Magazin am Mittwochabend die Gefahren der Regresse sehr deutlich gemacht. Da ist der kleine Nick, der wegen eines verdrehten Dünndarms, der zunächst verkannt wurde, schon kurz nach seiner Geburt 15 Op über sich ergehen lassen muss und dem ein Großteil seines Darmes entfernt wurde.

Der Kleine muss künstlich ernährt werden und braucht täglich Infusionen. Die 53 Rezepte pro Monat für diese Infusionen wollte die Kinderärztin aber nicht mehr auf ihre Kappe nehmen und ließ den Eltern über die Apotheke ausrichten, dass ihr der Patient zu teuer sei und sie keine Rezepte mehr ausstelle.

Solches Sparen sei von KV-Seite zwar nicht gewünscht, erklärte Dr. Peter Potthoff, Vorstandsvorsitzender der hier zuständigen KV Nordrhein. Aber die KV kenne das Problem, dass Ärzte versuchten, Regressen zu entgehen, indem sie zum Ende des Quartals Verordnungen aussetzten.

Angst nicht ganz unbegründet

Und die Angst der Ärzte ist nicht ganz unbegründet, wie der Fall von Hausarzt Odilo Schnabel aus Zaberfeld in der Nähe von Heilbronn zeigt. Schnabel gelte als einer der teuersten Ärzte Baden-Württembergs, hieß es. In fünf Jahren hat er eine Regresssumme von 417.000 Euro angesammelt, die er kaum aus seinem Privatvermögen stemmen kann.

Beim ersten Regress in 2005, der sich noch auf 15 000 Euro belief, sei er noch optimistisch gewesen. Die 400.000 Euro gingen aber auch ihm an die Substanz.

"Mein Verordnungsverhalten werde ich trotzdem nicht ändern", sagte Schnabel. Denn seine Patienten auf dem Land seien auf ihn angewiesen. Vor allem viele Senioren würden den Weg zum Facharzt nicht schaffen. Schnabel: "Wenn ich nach dem Budget gucken würde, dürfte ich schon jetzt nichts mehr verschreiben." Schnabel hat deshalb Widerspruch gegen die Regresse eingelegt.

Laut "Plusminus" macht die Regressangst viele Ärzte mittlerweile auch erfinderisch. Um Rezepte zu vermeiden, würden Patienten an Fachärzte überwiesen. Wobei viele Hausärzte wohl gerade die umgekehrte Variante kennen dürften. Oder aber Ärzte würden Patienten einbestellen, die keine oder günstige Medikamente benötigten, um so ihr Budget auszugleichen.

Gesetz bannt Regresse nicht

An der Wirtschaftlichkeitsprüfung rütteln will zumindest Professor Ferdinand Gerlach vom Sachverständigenrat nicht. Aber: Es brauche intelligente Systeme, sagte er. Ärzte dürften nicht für die Therapie ihrer Patienten zahlen müssen.

Nur im Bundesgesundheitsministerium (BMG) scheint die Angst, die die Ärzte umtreibt und die Versorgungslücke, die sich auftut, noch nicht angekommen zu sein. Denn die Anfrage von "Plusminus" beim BMG habe gezeigt, dass man dort "nicht einmal wisse, wie viele Ärzte mit Regressforderungen konfrontiert sind".

Immerhin wolle man die extremsten Auswüchse durch Gesetzesänderungen abmildern, hieß es. Ob das Versorgungsstrukturgesetz dies mit seinem Prinzip "Beratung vor Regress" schafft, ist allerdings fraglich.

Denn hierdurch haben Ärzte zwar unter anderem einen Anspruch auf Beratung, überschreiten sie das erste Mal die Richtgrößen, aber die Regresse bannt das Gesetz nicht.

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