Studie zeigt

Noch drängen Patienten nicht auf Zweitmeinung

Gesetzlich versicherte Patienten können eine ärztliche Zweitmeinung einholen. Das wissen die Wenigsten, wie eine aktuelle Studie zeigt. Dabei ist der Bedarf an Entscheidungshilfen groß.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Zweitmeinung: Stimmt der zweite Arzt der Behandlungsempfehlung seines Kollegen zu?

Zweitmeinung: Stimmt der zweite Arzt der Behandlungsempfehlung seines Kollegen zu?

© Alexander Raths / fotolia.com

HAMBURG. Das Recht eines gesetzlich versicherten Patienten auf eine ärztliche Zweitmeinung ist vielen Deutschen nicht geläufig: Jeder Vierte weiß nicht, dass die Kosten für das Einholen einer zweiten Meinung eines anderen Facharztes - unabhängig von der Art der Erkrankung - von den Krankenkassen übernommen werden.

Das geht aus der Studie "Zweitmeinungsverfahren aus Patientensicht" des privaten Krankenhausbetreibers Asklepios Kliniken Hamburg GmbH und des IMWF Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung hervor, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt. Laut Asklepios wurden für die Untersuchung einerseits 1000 Bundesbürger ab 18 Jahren bevölkerungsrepräsentativ online befragt.

Um ein genaueres Bild der Metropolregion Hamburg - neben der Stadt Hamburg wurden die Landkreise Harburg, Stade, Lüneburg und Segeberg berücksichtigt - zu gewinnen, fand dort eine separate Untersuchung mit 200 Teilnehmern statt.

Gesetzliche Verankerung unbekannt?

Dieses Ergebnis legt die Vermutung nahe, dass in der Bevölkerung noch ein großer Aufklärungsbedarf darüber besteht, dass das Recht eines Kassenpatienten auf eine Zweitmeinung im Versorgungsstärkungsgesetz - laut Referentenentwurf in Paragraf 27b - verankert werden soll (wir berichteten).

Bei planbaren Eingriffen in Indikationen, bei denen das Risiko einer Indikationsausweitung besteht, sollen Patienten das Recht auf eine Zweitmeinung haben. Der Bundesausschuss muss festlegen, welche Eingriffe das sind und wer eine Zweitmeinung erbringen kann.

Wie die Studie offenbart, ist der Bedarf an ergänzenden Entscheidungshilfen auch patientenseitig groß: zwei Drittel der Deutschen haben sich demnach nach einem Arztbesuch schon mindestens einmal über alternative Behandlungsmöglichkeiten informiert. Quelle Nummer 1 ist dabei, so die Erhebung, das Internet mit 65 Prozent, gefolgt von Familienmitgliedern respektive Freunden (64 Prozent).

Ein zweiter Arzt wird mit 52 Prozent seltener zurate gezogen. Dabei sei das Vertrauen in Empfehlungen zu alternativen Methoden am größten, wenn sie von Medizinern stammten (91 Prozent).

Der Wunsch nach einer ärztlichen Zweitmeinung hängt bei den Patienten, wie die Untersuchung nahelegt, vor allem von der jeweiligen Indikation ab. So gaben 83 Prozent an, dass ihnen im Falle einer onkologischen Erkrankung, wie zum Beispiel Brust- oder Lungenkrebs, eine Zweitmeinung sehr wichtig sei.

Unsicherheit, ob empfohlene Methode das Richtige ist

Etwas abgeschlagen an Position zwei folgen mit 68 Prozent neurologische Indikationen, wie Insult oder Epilepsie. An dritter Stelle finden sich mit 65 Prozent koronare Erkrankungen, wie beispielsweise ein Herzinfarkt. Als Schlusslicht beim Zweitmeinungswunsch entpuppt sich die Zahnmedizin. Nur 26 Prozent sei im Falle von Zahnersatz oder -Op die Meinung eines zweiten Zahnmediziners sehr wichtig.

Insgesamt gaben 40 Prozent der Umfrageteilnehmer an, in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal aktiv von einem niedergelassenen Facharzt auf die Möglichkeit der Einholung einer Zweitmeinung angesprochen worden zu sein. 37 Prozent treffen diese Aussage bei den Fachärzten in Kliniken.

Patienten, die schon einmal eine Zweitmeinung erhalten haben, haben dies laut Studie in 54 Prozent der Fälle selbst eingefordert. In 32 Prozent sei die Zweitmeinung von niedergelassenen Ärzten in Vertragsarztpraxen initiiert gewesen, in elf Prozent von Krankenhausärzten und in zwei Prozent von Krankenkassen.

Hauptmotive der Patienten seien die Unsicherheit, ob die empfohlene Methode optimal für sie ist (52 Prozent), sowie der Wunsch, eine unnötige Behandlung respektive Operation zu vermeiden (47 Prozent).

Jeweils 16 Prozent gaben aber auch an, zum einen der Behandlungsempfehlung nicht vertraut zu haben und sich zum anderen nicht haben operieren lassen wollen, sondern seien auf der Suche nach einer alternativen Behandlungsmethode gewesen. Neun Prozent der Befragten gaben auch an, die Behandlungsempfehlung des ersten Arztes nicht hätten nachvollziehen können.

Nützliche Entscheidungshilfe

85 Prozent derjenigen Befragten, die nach eigenem Bekunden bereits ein Zweitmeinungsverfahren durchlaufen hatten, gaben an, die Zweitmeinung hätte ihnen dabei geholfen, die für sie beste Behandlungsmethode zu wählen.

Immerhin 16 Prozent gaben in der Studie aber auch an, dass die zweite Behandlungsempfehlung sie vollkommen verunsichert und ihnen daher die Entscheidung letztlich erschwert hätte.

Mit 94 Prozent seien fast alle Patienten mit Ablauf und Ergebnis des Zweitmeinungsverfahrens zufrieden gewesen, die Hälfte sogar sehr zufrieden und hätten sich selbstbestimmt und sicher für die optimale Behandlung entscheiden können.

94 Prozent der Deutschen, die bislang keine Zweitmeinung erhalten haben, würden dies zukünftig im Krankheitsfall machen - mehr als die Hälfte auf jeden Fall oder wahrscheinlich.

Schnelles Procedere gewünscht

Vom Ablauf des Zweitmeinungsverfahrens wünschen sich 54 Prozent der Befragten laut Studie vor allem, dass die Beurteilung durch den zweiten Facharzt schnell und unkompliziert erfolgt.

Wichtig ist 49 Prozent auch, dass der behandelnde Arzt sie aktiv auf die Möglichkeit einer Zweitmeinung aufmerksam macht. Ebenso viele wünschen sich von ihrer Krankenkasse eine aktive Unterstützung.

Die größte Kompetenz bei der Erstellung von Zweitmeinungen vermuten die Befragten mit 46 Prozent bei Fachärzten einer Klinik. Knapp dahinter liegen mit 43 Prozent niedergelassene Fachärzte. Immerhin elf Prozent gestehen die größte Kompetenz ihrer Krankenkasse zu.

Hamburger sind aufgeklärter

Die beschriebenen Kernergebnisse der deutschlandweiten Untersuchung treffen laut Studienautoren auch auf die Bürger der Metropolregion Hamburg zu.

Dennoch zeigen sich in dieser Region einige Besonderheiten: Die Bewohner der Metropolregion Hamburg sind demnach aufgeklärter als der Bundesdurchschnitt: Während 83 Prozent der Hamburger wissen, dass sie bei allen Erkrankungen kostenfrei eine zweite Meinung eines anderen Facharztes einholen dürfen, sind dies bundesweit nur 77 Prozent.

Außerdem würden die Hamburger auf die Möglichkeit der Zweitmeinung häufiger aktiv angesprochen von regionalen Fachärzten: 46 Prozent geben an, dass das bei ihnen in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal der Fall war - im Vergleich zu 37 Prozent im Bundesdurchschnitt.

In Hamburg ist auch das Verhältnis der aufklärenden Fachärzte in Bezug auf Praxen und Kliniken umgekehrt: Hier sind es mit 51 Prozent deutlich häufiger Klinikärzte als Praxisärzte (43 Prozent), die aktiv eine Zweitmeinung anbieten. Dies sei mit der überdurchschnittlich hohen Klinikdichte in Hamburg begründet.

Mehr zum Thema

HIV-Prävention

HIV-PrEP: Mangellage mit fatalen Folgen

#NRWEntscheidetSich

Medienkampagne zur Organspende in NRW

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Rechtzeitig eingefädelt: Die dreiseitigen Verhandlungen zwischen Kliniken, Vertragsärzten und Krankenkassen über ambulantisierbare Operationen sind fristgerecht vor April abgeschlossen worden.

© K-H Krauskopf, Wuppertal

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“