Beratung vor Regress

Doktor Blettenberg muss wieder fürchten

Kuriose Welt: Ein LSG-Urteil stellt den Grundsatz "Beratung vor Regress" für Altfälle in Frage - entgegen aller Versprechungen aus der Politik. Jetzt fürchtet Hausarzt Dr. Jörg Blettenberg um seine finanzielle Existenz. Ihm droht eine sechstellige Forderung.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Derart hohe Rückforderungen wie im Fall des Allgemeinarztes Dr. Jörg Blettenberg sind die absolute Ausnahme.

Derart hohe Rückforderungen wie im Fall des Allgemeinarztes Dr. Jörg Blettenberg sind die absolute Ausnahme.

© privat

KÖLN. Herber Rückschlag für den gegen existenzbedrohende Regresse kämpfenden Allgemeinmediziner Dr. Jörg Blettenberg aus Lindlar: Er muss damit rechnen, dass ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG) gegen die Anwendung des Prinzips "Beratung vor Regress" auf Altfälle auch für seinen Fall Konsequenzen hat.

Die LSG-Richter hatten in einem Verfahren gegen zwei Ärzte entschieden, dass die seit dem 1. Januar 2012 geltende Regel bei Altfällen nicht greift.

Dabei hatte die Politik immer betont, dass der Grundsatz Beratung vor Regress auch für Verfahren gelten soll, die an dem Stichtag noch nicht abgeschlossen waren.

Darauf hatte auch Blettenberg gehofft. Der Hausarzt sieht sich Regressforderungen von rund 150.000 Euro gegenüber. Er hat seine Budgets deutlich überschritten, weil er Patienten in einer psychiatrischen Einrichtung versorgt, seit neurologische Kollegen aus der Versorgung ausgeschieden sind.

Für 2009 zahlt Blettenberg noch bis Juli 2014 monatlich 4000 Euro. Die Regresszahlungen für 2010 sind vom Sozialgericht Düsseldorf ausgesetzt worden. Die Richter hielten den Entscheid des Beschwerdeausschusses für nicht rechtmäßig, da Blettenberg keine individuelle Beratung erhalten habe.

Der Arzt sieht schwarz, wenn das LSG auch in seinem Fall den Anspruch auf Beratung vor Regress kippt. "Dann ist meine finanzielle Existenz gefährdet", sagt er. Für 2011 droht ihm ebenfalls ein Regress.

Was ihn besonders empört: Das Landessozialgericht ist offenbar der Überzeugung, dass eine Überschreitung schon dann vorliegt, wenn die Richtgröße bereits vor Herausrechnung von Praxisbesonderheiten um 25 Prozent überschritten wird.

Patienten sammeln Tausende Unterschriften

Jeder Arzt, bei dem das einmal der Fall war, hat dann die Chance auf Beratung verwirkt. "Das ist gerade für die Chroniker-Versorgung eine Katastrophe", sagt Blettenberg. Die Patienten in der psychiatrischen Einrichtungen will er zunächst weiter versorgen.

Wenn es nach dem LSG geht, würde der Grundsatz Beratung vor Regress nur für neu niedergelassene Ärzte gelten oder für Ärzte, die noch nie auffällig wurden, kritisiert der Rechtsanwalt des Hausarztes Rainer Kuhlen.

"Man hat den Eindruck, dass hier nicht im Namen des Volkes entschieden wurde, sondern im Namen der Krankenkassen." Kuhlen hofft, dass das Bundessozialgericht bald im Sinne der Ärzte ein endgültiges Urteil über das Prinzip Beratung vor Regress fällen wird.

Die KV Nordrhein will sich zu dem Fall nicht äußern. Man suche zurzeit einen Termin für ein Gespräch mit Blettenberg, sagt ein Sprecher. Das laufende Verfahren werde durch das aktuelle LSG-Urteil aber nicht beeinflusst.

Seit Monaten setzen sich auch empörte Patienten für Blettenberg ein. Ein "Aktionsbündnis gegen Regresse und Budgetierung" hat für eine Petition und Aufrufe an die Krankenkassen inzwischen fast 4000 Unterschriften gesammelt.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein hat Politik, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen aufgefordert, Regresse abzuschaffen und für Altfälle eine entsprechende Regelung zu treffen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: BSG in der Pflicht

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