Regressfall Dr. Blettenberg

Die Zeichen stehen auf Vergleich

Dr. Jörg Blettenberg drohen Regressforderungen im sechsstelligen Bereich - sein Fall hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Jetzt darf der Hausarzt aus Lindlar hoffen: Die Krankenkassen arbeiten auf einen Vergleich hin.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Auf die Nöte der Hausärzte aufmerksam machen soll diese Karikatur von Josef Heuser. Zu sehen sind Dr. Jörg Blettenberg (sitzend) und Dr. Ralph Krolewski aus Gummersbach vom Hausärzteverband Nordrhein.

Auf die Nöte der Hausärzte aufmerksam machen soll diese Karikatur von Josef Heuser. Zu sehen sind Dr. Jörg Blettenberg (sitzend) und Dr. Ralph Krolewski aus Gummersbach vom Hausärzteverband Nordrhein.

© Ilse Schlingensiepen (Foto)

LINDLAR. Der Lindlarer Hausarzt Dr. Jörg Blettenberg sieht in seinem Kampf gegen sechsstellige Regresse Licht am Ende des Tunnels.

Die Krankenkassen setzen jetzt auf eine Vergleichslösung, berichtete Blettenberg vor Journalisten, Politikern und Patienten in Lindlar. "Auch ein Vergleich wird schmerzhaft sein, aber meine Existenz bleibt gesichert."

Der Fall des Hausarztes aus dem Bergischen Land hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Er hatte 2008 die Versorgung von 120 Patienten der psychiatrischen Einrichtung "Haus Tannenberg" übernommen, nachdem die betreuenden Neurologen ihre Praxis aufgegeben hatten.

Das sprengte sein Budget, insbesondere im Heilmittelbereich. Die Versorgung der multimorbiden Patienten wurde nicht als Praxisbesonderheit anerkannt.

Die Folge: Für 2009 muss er 86.000 Euro Regress zahlen, 116.000 Euro für 2010 und 190.000 Euro für 2011. Die Bescheide für 2012 und 2013 stehen noch aus. "Es geht um eine Gesamtsumme von rund 600.000 Euro - das kann ich nicht stemmen, und das will ich auch nicht stemmen", berichtete Blettenberg.

Er klagt vor dem Sozialgericht gegen die Regresse, aber selbst für die Forderungen aus 2009 gibt es bis heute keinen Termin im Hauptsacheverfahren.

Patienten engagieren sich

Das von Patienten ins Leben gerufene "Aktionsbündnis Blettenberg" findet die Vorgänge inakzeptabel. "Wir wollen diese Vorgehensweise, die dazu führt, dass unserem außerordentlich engagierten Hausarzt seine wirtschaftliche, private und persönliche Grundlage entzogen wird, nicht weiter dulden", betonte Horst Weitig vom Vorstand des Bündnisses.

"Herr Dr. Blettenberg, wir sind stolz, einen Arzt wie Sie zu haben und werden nicht aufgeben, dafür zu kämpfen, dass Ihnen hier Gerechtigkeit widerfährt", kündigte er an.

Die breite öffentliche Unterstützung und die Berichterstattung über den Fall haben offensichtlich dazu geführt, dass die Krankenkassen sich bewegen. "Die Krankenkassen möchten keinen Hausarzt coram publico sterben lassen", sagte Blettenberg. Sie haben ihm für 2009 die noch ausstehenden 12.000 Euro erlassen und wollen ihm für die folgenden Jahre einen Vergleich vorschlagen.

Damit könne er wohl leben, sagte der Hausarzt. Allerdings will er einer solchen Lösung nur unter einer Bedingung zustimmen: Falls das Bundessozialgericht entscheidet, dass das Prinzip "Beratung vor Regress" auch für ältere Fälle wie den seinen gilt, dann sollen die Forderungen auf null gesetzt werden.

Der für ihn gefundene mögliche Ausweg dürfe kein Einzelfall bleiben, fordert Blettenberg. "Das müsste dann auf alle betroffenen Ärzte ausgedehnt werden." Die Angst sitze eigentlich allen Kollegen im Nacken, sagte Dr. Ralph Krolewski vom Vorstand des oberbergischen Hausärzteverbands.

"Wenn Hausärzte mehr Versorgungsaufgaben übernehmen, kommen sie in eine Regressfalle." Das dürfe nicht so bleiben.

Streit um Praxisbesonderheit

Er bezeichnete es als Skandal, dass die Betreuung der Patienten aus dem "Haus Tannenberg" nicht als Praxisbesonderheit anerkannt wird. Das zeige, dass das Verfahren geändert werden müsse, betonte Krolewski. "Der Vorgang Blettenberg wirft ein Licht auf ein Verfahren, das sachlich nicht begründet ist und die Versorgung der Patienten gefährdet."

Der Fall des Lindlarer Hausarztes habe gezeigt, dass sich niemand verantwortlich fühlt, weil die Regresse nach Erreichen festgestellter Grenzwerte automatisch laufen. Das dürfe nicht so bleiben.

"Die Ärzte müssen das Vertrauen haben, dass sie von der Gesellschaft nicht in Stich gelassen werden, wenn sie schwer Kranke versorgen", sagte Krolewski.

Trotz aller Erleichterung über die mögliche Lösung bleibt bei Blettenberg ein schales Gefühl. "Ohne Familie, Kinder und Angestellte würde ich mich nicht auf Vergleichsverhandlungen mit den Krankenkassen einlassen, sondern das über die Gerichte bis zur letzten Instanz durchfechten", sagte er. "Aber ich kann nicht nur an mich denken."

Beschwerdeausschuss Nordrhein

Ein Streit über die Besetzung des unparteiischen Vorsitzenden im nordrheinischen Beschwerdeausschuss hat dazu geführt, dass im Fall Blettenberg in den vergangenen drei Monaten nichts passiert ist. Die Krankenkassen wollten am Vorsitzenden Dr. Peter Backes festhalten, die KV Nordrhein drängte auf eine Neubesetzung.

Hintergrund ist die Tatsache, dass der Jurist Backes eine Kanzlei hat, die den Ausschuss bei Klagen vor Gericht vertritt. Diese Konstellation ist vielen Ärzten sauer aufgestoßen, weil der Jurist letztlich an jeder Klage vor dem Sozialgericht Geld verdient hat.

Da sich KV und Kassen nicht einigen konnten, hat jetzt das Landesgesundheitsministerium entschieden, dass Backes im Amt bleibt. Es hat ihm mit dem ehemaligen Sozialrichter Dr. Jürgen Burghardt einen neuen Stellvertreter zur Seite gestellt. Außerdem muss Backes den Ausschuss künftig vor Gericht selbst vertreten und darf nicht mehr die eigene Kanzlei beauftragen.

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