Coronavirus-Pandemie

Ein halbes Jahr im Krisenmodus

Am 27. Januar meldet Bayern die bundesweit erste Coronavirus-Infektion. Die Bundesregierung reagiert erst defensiv, dann mit Milliarden-Schirmen und Lockdown. Das Land kommt gut durch die Krise – bislang. Eine Rückschau, was in den vergangenen sechs Monaten passiert ist.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Thomas HommelThomas Hommel Veröffentlicht:
Ein Arzt am Testmobil im bayerischen Rehau. Testen gehört zur Strategie der Regierung.

Ein Arzt am Testmobil im bayerischen Rehau. Testen gehört zur Strategie der Regierung.

© Tobias Schwarz /dpa

Berlin. Vor einem halben Jahr meldeten die Behörden in Deutschland die erste Infektion mit einem neuartigen Coronavirus. Mittlerweile sind es über 200.000 laborbestätigte Infektionsfälle, mehr als 9000 Menschen sind an oder mit der Lungenkrankheit gestorben, die das SARS-CoV-2 auslöst.

Das Virus ist rund um den Globus in allen Ländern und Territorien aufgetaucht. Die Johns Hopkins-Uni in den USA zählt mehr als 15 Millionen Infizierte und über 600.000 Tote.

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Im Januar war das Virus weit weg

Anfang des Jahres war das Virus noch weit weg. Von einem Markt in der zentralchinesischen Millionenstadt Wuhan sollen die Infektionen ausgegangen sein. Dort seien auch Fledermäuse und Pangoline gehandelt worden, die das SARS-CoV-2-Virus möglicherweise tragen und übertragen.

Von dort aus kommt Corona auch nach Deutschland. Mitarbeiter eines in China tätigen bayerischen Automobilzulieferers haben sich mit dem Virus infiziert. In einer Kaserne im pfälzischen Germersheim wird die erste Quarantänestation eingerichtet.

Deutschland gewinnt Zeit

Das neuartige Coronavirus löse grippeähnliche Symptome aus, heißt es anfangs. Das klingt harmlos. Aber schon am 30. Januar ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine „internationale Gesundheitsnotlage“ aus, nur fünf Mal zuvor in ihrer Geschichte hat die Organisation zu dieser drastischen Maßnahme gegriffen. Am 12. Februar gibt die WHO der von dem Virus ausgelösten Lungenkrankheit einen Namen: COVID-19.

Dass die Erkrankung nicht harmlos ist, zeigen Nachrichten aus China – später auch aus Norditalien und Spanien. Bilder von Militärlastwagen, die Leichensärge aus Krankenhäusern abtransportieren, lassen Schlimmes erahnen.

Auf den Intensivstationen in Norditalien etwa müssen Ärzte unter enormem Druck entscheiden, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird – und wer nicht. Oft sind es Entscheidungen über Leben und Tod.

Krisenstab wird eingerichtet

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn startet defensiv. Während zahlreiche Länder einen Einreisestopp für Reisende aus China verhängen, sagt der CDU-Politiker noch Mitte Februar, dass bei der Einreise am Flughafen nicht einmal Fieber gemessen werden solle.

Zwei Wochen später, am 27. Februar, richten Gesundheits- und Innenministerium schließlich einen Krisenstab ein. Tags zuvor war der Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen zum ersten Corona-Hotspot Deutschlands geworden.

Teilnehmer an Après Ski-Parties im österreichischen Ischgl hatten sich ins deutsche Karnevalsgetümmel gestürzt – nicht ahnend, dass sie das Virus haben. Es kommt zum sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen. „Deutschland steht am Beginn einer Epidemie“, sagt Spahn.

Signale aus dem Robert Koch-Institut, Bund und Ländern deuten darauf hin, dass Deutschland eine Zäsur bevorsteht. Der bekommt den Namen „Lockdown“: Am 12. März werden zunächst bundesweite Schulschließungen verkündet. Kliniken sollen planbare Eingriffe verschieben.

Ab dem 23. März wird schließlich das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren. Restaurants, Bars, Geschäfte schließen. Millionen Beschäftigte gehen ins Homeoffice. Knapp 33 700 Bundesbürger sind zu diesem Zeitpunkt infiziert.

Minister mit Maske: Jens Spahn plädiert für Abstandhalten und Hygiene.

Minister mit Maske: Jens Spahn plädiert für Abstandhalten und Hygiene.

© Tobias Schwarz / dpa

Ziel ist es, Intensivkapazitäten der Krankenhäuser nicht zu überfordern und für einen erwarteten starken Anstieg der Infektionen vorzubereiten. Den wesentlichen Beitrag dazu leisten niedergelassene Ärzte. Die Praxen organisieren ihre Abläufe neu. Infektionssprechstunden werden eingerichtet, Warteräume getrennt.

Bis zu 500 Fieberpraxen für Menschen mit Symptomen entstehen in Zusammenarbeit von Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Krankenhäusern. Massiv frequentiert worden sind die Praxen selten. Oft stellen sich dort nur drei bis vier Patienten am Tag vor.

Beifall für Ärzte und Pflegekräfte

Ende März beschließt der Bundestag mehrere Gesetze – unter Abstandswahrung: Zwischen jedem Abgeordneten bleiben zwei Stühle frei. Das geänderte Infektionsschutzgesetz ermächtigt Spahn dazu, das Gesundheitswesen per Verordnungen zu steuern. Die Ermächtigung ist bis Ende März 2021 befristet.

Gleich zu Beginn der Debatte stehen die Abgeordneten auf und spenden Ärzten und Pflegekräften minutenlang Beifall.

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Mit dem Krankenhausentlastungsgesetz spannt die Regierung großzügige Rettungsschirme. Die Einkünfte der Praxen sollen in etwa auf dem Vorjahresniveau gehalten werden. Die Umsetzung in den KVen scheint noch nicht rund zu laufen.

Die Kliniken erhalten 50 000 Euro Investitionszuschuss für jedes zusätzliche Intensivbett mit Beatmungsmöglichkeit. Für mehr als 10 000 Betten ist bereits Geld geflossen. Ob alle diese Betten tatsächlich zuschusswürdig sind, soll überprüft werden.

Anfang Mai legt die Koalition bei den Corona-Gesetzen noch mal nach: Das zweite Pandemie-Gesetz ermöglicht noch mehr Testungen auf Corona– auch bei denen, die symptomfrei sind. Die 375 Gesundheitsämter bekommen vom Bund zudem 50 Millionen Euro.

Die Ämter sollen sich damit digitaler aufstellen. Die Chefin des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, klagt derweil: „Wir haben ein Drittel der Ärzte im ÖGD verloren.“

Hat Deutschland überreagiert?

In der Gesellschaft ist unterdessen eine Debatte darüber entbrannt, ob Deutschland in der Krise überreagiert habe. Tatsächlich sind Intensivkapazitäten nicht über Gebühr strapaziert worden.

Und es gibt „Kollateralschäden“. Viele Patienten sind den Praxen ferngeblieben – aus Angst, sich anzustecken. Auch chronisch und schwer Erkrankte. Hier tickt eine Zeitbombe.

Impfstoff und Therapie gibt es bisher nicht. 150 Impfstoff-Kandidaten sind weltweit am Start. Tests laufen. Wann die Marktreife erreicht sein wird, bleibt vorerst offen.

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COVID-19: Chronologie einer Pandemie

Rückblick auf sechs Monate Corona – was wann geschah:

Das Coronavirus erreicht Deutschland: Ein Mann aus dem Landkreis Starnberg in Bayern hat sich infiziert, befindet sich klinisch aber in einem guten Zustand. Das Risiko für eine Ausbreitung des Virus in Deutschland wird weiter als gering eingeschätzt.

Rund 120 Deutsche kehren aus Wuhan zurück; sie sind symptom-frei, werden aber vorsorglich in Germersheim in Quarantäne genommen; bis auf zwei Personen war niemand infiziert.

Angesichts bedrohlich wachsender COVID-19-Infektionen in Italien rechnet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit einem Übergreifen auf Deutschland: „Corona ist in Europa angekommen.“

Erstmals werden nun auch Infektionen mit dem Coronavirus in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen bestätigt. Beide Länder richten einen Krisenstab ein, der durch das Robert Koch-Institut sowie das BMG unterstützt wird.

Um die Corona-Epidemie zu bekämpfen,setzen Bundesinnen- und Bundesgesundheitsministerium einen Krisenstab ein.

KBV schlägt längere Fristen für Krankschreibungen vor. In der Folge erlässt der GBA mehrere Ausnahmeregelungen zu Telefon- und Video-AU.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länder-Regierungschefs beschließen, dass Krankenhäuser vermehrt Intensiv- und Beatmungskapazitäten für COVID-19-Patienten reservieren.

Bund und Länder beschließen die Verschiebung aller planbaren Operationen.

Bund und Länder beschließen weitgehende Kontakt-beschränkungen, insbesondere im öffentlichen Raum; Gastronomie und viele Dienstleistungsbetriebe müssen schließen; zum Teil Ausgangsbeschränkungen.

Der Bundestag beschließt das „COVID-19-Krankenhausent-lastungsgesetz“, mit dem die wirtschaftlichen Folgen für Krankenhäuser und Vertragsärzte aufgefangen werden. Mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ wird die Reaktionsfähigkeit auf Epidemien verbessert.

Anpassung der Approbationsordnung. Medizinstudenten sollen die Versorgung unterstützen, ohne dass ihr Studium gefährdet wird.

Freie Intensivbetten müssen an das DIVI-Intensivregister gemeldet werden. Krankenhaushygieniker legen eine erste Exit-Strategie vor.

Die Internisten warnen vor „stillen Opfern“ der Krise: Menschen, die trotz ernster Beschwerden aus Angst vor Ansteckung nicht zum Arzt gehen.

Ein Teil der Krankenhauskapazitäten soll wieder für planbare Operationen genutzt werden. Das BMG legt ein Konzept für die schrittweise Entwicklung eines „neuen Alltags“ in den Krankenhäusern vor.

Der Bundestag beschließt das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Infizierte sollen damit schneller gefunden, getestet und versorgt werden. Außerdem sieht das Gesetz umfassendere Meldepflichten für Labore und Gesundheitsämter vor. Pflegekräfte sollen einen Bonus erhalten und pflegende Angehörige besser unterstützt werden.

Im Interview mit der „Ärzte Zeitung“ warnt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen vor den Kollateralschäden der Pandemie: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Menschen mit Schlaganfall lieber zuhause bleiben als ins Krankenhaus zu gehen. Das ist Wahnsinn!

Der Koalitionsausschuss beschließt ein Konjunkturpaket mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro, 10 Milliarden Euro sind für die Stärkung des Gesundheitswesens und den besseren Schutz vor zukünftigen Pandemien vorgesehen. So soll etwa eine Reserve an medizinischer Schutzausrüstung angelegt werden.

Die Bundesregierung startet die Corona-Warn-App

Deutschland kommt vergleichsweise gut durch die Pandemie. Der Gesundheitsminister räumt ein, dass die Vollbremsung des Gesundheitswesens wohl etwas zu scharf ausgefallen ist. Reaktionen auf Ausbrüche sollen nun zielgenauer werden. Regionale Lockdowns in den Kreisen Gütersloh und Warendorf sind erste Beispiele.

Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt fordert dazu auf, auch im Urlaub Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten.

Eine zweite Welle von Corona-Infektionen soll vermieden werden. Die Länderminister einigen sich auf verpflichtende Tests an den Flughäfen für Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten.

Alle Urlauber erhalten nach der Rückkehr Zugang zu Corona-Tests, beschließen Bund und Länder. Reisende können sich in den ersten drei Tagen nach der Rückkehr nach Deutschland auf SARS-CoV-2 testen lassen.

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