Verordnungsraten

Wie Kinderärzte eine zielgenaue Antibiotikatherapie erreichen wollen

Die zu breite Verordnung von Antibiotika kann Resistenzen befeuern – mit fatalen Folgen. Kinder- und Jugendärzte setzen auf die Watch-und-Wait-Strategie, um den Einsatz der Therapien zu reduzieren. Einen Haken aber gibt es.

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Behutsam: Kleiner Junge zur Behandlung in einer Kinderarztpraxis.

Behutsam: Kleiner Junge zur Behandlung in einer Kinderarztpraxis.

© Racle Fotodesign / stock.adobe.com

Berlin. So wie ihre Kolleginnen und Kollegen verschreibt auch Dr. Tanja Brunnert, Kinder- und Jugendärztin in Göttingen, ihren „kleinen“ Patienten Antibiotika. Das Problem: Die Medikamente sind Fluch und Segen zugleich.

„Antibiotika sind eine hervorragende Errungenschaft der modernen Medizin, wir brauchen sie zur Behandlung.“ Allerdings würden sie in Deutschland – obwohl die Zahl der Verordnungen zurückgegangen ist – noch immer zu offensiv verschrieben, erklärt Brunnert, die beim Berufsverband der Kinder- und JugendärztInnen (BVKJ) Bundespressesprecherin ist.

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Befund der Pädiaterin: „Wir wissen, dass die Resistenzentwicklung der Antibiotika ein gesamtpolitisches, gesamtgesellschaftliches Problem in den nächsten Jahrzehnten ist, das uns noch richtig auf die Füße fallen kann.“

Der ambulante ärztliche Bereich ist hier besonders gefordert: Etwa 85 Prozent aller Antibiotikaverordnungen gehen auf niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zurück. Nötig sei deshab eine zielgenaue Antibiotikatherapie in der Arztpraxis, sagt Brunnert.

Eltern überschätzen Wirksamkeit

Das aber gleicht mitunter einem Hürdenlauf: „Die Unterscheidung zwischen bakteriellen und viralen Infektionen ist oft schwierig“, heißt es in einem BVKJ-Standpunkt mit der Überschrift Antibiotic Stewardship (ABS) Besorgte Eltern überschätzten zudem oftmals die Wirksamkeit der Präparate und forderten die zügige Verordnung von Antibiotika ein – frei nach dem Motto: sicher ist sicher.

Antibiotic Stewardship (ABS)

Als Antibiotic Stewardship (ABS) wird die systematische Optimierung des Antibiotikaeinsatzes bezeichnet. Ziel ist die bestmögliche klinische Behandlung bei gleichzeitiger Minimierung unerwünschter Folgen, insbesondere auf die Resistenzentwicklung. Laut BVKJ ist es hier in der Pädiatrie in den vergangenen 15 Jahren zu großen Fortschritten gekommen. So ist die Rate ambulanter Antibiotikaverordnungen bei Kleinkindern nahezu halbiert worden. Es brauche aber weiter mehr Aufklärung – sowohl bei Eltern als auch auf ärztlicher Seite.

Brunnert setzt auf Kommunikation. Sie weiß aber: Im Praxisalltag ist Zeit ein knappes Gut. Entscheidungen seien schnell zu treffen. Überdies habe man es in der Pädiatrie mit einem „sehr breiten Spektrum von Krankheiten“ zu tun

Der BVKJ wirbt deshalb für die Watch-and-Wait-Strategie. Für diese Herangehensweise seien die Kolleginnen und Kollegen, jüngere wie ältere, stärker zu sensibilisieren.

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Watch-and-wait bedeutet: „Wir wollen das Kind sehen, wir wollen eine Entscheidung treffen, wir wollen aber abwarten und abwägen, müssen wir das Kind wirklich antibiotisch behandeln – nicht jede bakterielle Infektion muss gleich antibiotisch behandelt werden.“

„Brauchen dafür zeitliche Ressourcen“

Das setze jedoch voraus, „dass wir die Ressourcen haben müssen, den Eltern sagen zu können: Sie gehen jetzt so nach Hause, aber ich möchte das Kind morgen noch einmal sehen und meine Entscheidung überdenken“, so Brunnert.

Politik und Selbstverwaltung stünden in der Pflicht, hierfür Freiräume zu schaffen. Es gehe um weitere zwei, drei Minuten – das klinge womöglich lächerlich. Doch die zwei Minuten potenzierten sich über den Tag hinweg.

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Auch die eigene Berufsgruppe ist gefordert. Brunnert spricht von einem „super wichtigen Punkt“ in der Diskussion. „Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen ausbilden in einer solchen Gesprächsführung.“

Wichtig sei das Gespräch auf „Augenhöhe“ und die Botschaft an die Eltern, dass der Einsatz von Antibiotika bei ihrem Kind nicht immer angezeigt sei: Also: „Der Atem ist in Ordnung, die Lunge ist frei. Damit schafft man schon eine Gesprächssituation, in der sich Eltern ein bisschen entspannen können“, sagt Brunnert.

Großes Thema schon fürs Studium

Zudem braucht es laut Verband gute Elterninformationen. Diese könnten in Form von Apps, Flyern oder kleinen Büchern weitergereicht werden. Das neu gegründete BIÖG könne hier eine wichtige Rolle spielen.

Grundsätzlich gehöre das Thema Antibiotikaverordnung stärker ins Medizinstudium. Dort sei der „Grundstein“ für einen gezielten Umgang zu legen. Ein Kollege Brunnerts formuliert es so: „Wir müssen das Thema breit streuen.“ Nicht bei allen Ärztinnen und Ärzten sei es „Teil der DNA“. (hom)

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