Ist "gleich" bei Aut idem immer "gleich"?

Die Aut-idem-Regelung, wie sie seit einem Jahr gilt, sorgt für Unsicherheit und Unmut. Wann lassen sich Präparate wirklich sicher austauschen? Apotheker und Ärzte schildern, wie sie damit im Alltag umgehen.

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Der Austausch von rezeptierten Fertigarzneimitteln durch wirkstoffgleiche Alternativ-Präparate ist in Apotheken nicht zuletzt durch die Rabattverträge inzwischen gang und gäbe. Ärzte können das nur durch einen expliziten Ausschluss - durch Ankreuzen des Aut-idem-Kästchens - auf dem Rezept verhindern. Viele Ärzte beklagen das als Kontrollverlust über die Medikation.

Nach dem modifizierten Rahmenvertrag nach § 129 SGB V muss für eine Austauschbarkeit der gleiche Wirkstoff in gleicher Wirkstärke, in gleicher Packungsgröße sowie in einer gleichen oder austauschbaren Darreichungsform vorliegen. Außerdem müssen die Produkte für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sein. Dabei gelten sogar verschiedene Salze, Ester, Isomere und Mischungen von Isomeren sowie Komplexe und Derivate eines Wirkstoffs als gleich. Außerdem gilt für alle Darreichungsformen mit identischer Bezeichnung in der Lauer-Taxe automatisch das Kriterium "gleiche oder austauschbare" Darreichungsform.

Erst Ende April hat die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft zu diesen weiten Vorgaben kritisch Stellung genommen. So sei es problematisch und wissenschaftlich anfechtbar, dass Salze, Isomere und Derivate eines Wirkstoffs als gleich anzusehen seien, solange kein therapeutisch relevanter Unterschied nachgewiesen sei. Außerdem gebe es reichlich Beispiele, dass sich unter einer gleichen Arzneiform, etwa Tabletten, höchst unterschiedliche Systeme befinden können, zum Beispiel konventionelle Retardformen mit Matrixfreisetzung ebenso wie moderne OROS (orale osmotische Systeme) mit unterschiedlichem Freisetzungsverhalten. Die Regelung bewirke auch, dass normale und Dispensiertabletten ebenso wie magensaftresistent überzogene Tabletten bei Diclofenac als austauschbar deklariert würden.

Unkontrollierter Austausch kann Therapieziele gefährden

Kritisch wurde bereits im vergangenen Jahr der Wechsel bei Thyroxin-Präparaten durch wirkstoffgleiche Rabattarzneien beäugt. Wegen der geringen therapeutischen Breite von Levothyroxin könne es nämlich bei einem Präparate-Hopping zu relevanten TSH-Schwankungen kommen, warnte etwa der Endokrinologe Professor Christoph Reiners von der Universität Würzburg. Ähnlich äußerten sich Neurologen und Pharmazeuten kürzlich zur unkontrollierten Substitution bei Epilepsie-Patienten. Beim Wechsel gerade von häufig verordneten Valproat-Präparaten sehen sie eine erhöhte Gefahr von Intoxikationen oder Anfällen bei zuvor gut eingestellten Patienten.

Unabhängig von pharmakologischen Aspekten leidet natürlich bei häufigem Präparate-Wechsel die Compliance der Patienten. Diese Erfahrung haben nach Einführung der Rabattverträge viele Ärzte und Apotheker gemacht. Drei Kollegen berichten hier von ihren Erfahrungen mit Aut idem. (run)

Lesen Sie dazu auch: Erfahrungen mit Aut-idem

"Von Ärzten hätte ich mir einen Aufschrei gewünscht."

Anke Grabow, Apothekerin und Inhaberin der Galenus-Apotheke in Berlin

Im Prinzip stehe ich Aut idem positiv gegenüber. Denn die Regelung hatte die Möglichkeit eröffnet, Kosten zu sparen und trotzdem Patienten ihre gewohnten Präparate zu geben. Mit den Ärzten der Umgebung hatten wir uns bis vergangenes Jahr verständigt, sodass alle Seiten relativ zufrieden waren. Aber durch die Rabattverträge hat sich das geändert. Von den Ärzten hätte ich mir einen Aufschrei gewünscht, als die Rabattverträge kamen. Ich bin oft erstaunt, dass sie nicht vehementer auf bestimmten Präparaten bestehen.

Höchstens bei einem Zehntel der Verordnungen, die in meiner Apotheke eingelöst werden, ist Aut idem angekreuzt. Ich denke, die Ärzte trauen sich nicht, das Kreuz zu setzen. Uns ist aber aufgefallen, dass die Situation bei Medikamenten für Hypertoniker anders ist. Hier wird öfter das Aut-idem-Kreuz gesetzt; Betroffene sind offenbar besonders empfindlich, was das Wechseln eines Präparates betrifft. Die Patienten stehen generell jeder Veränderung ihrer Medikamente kritisch gegenüber. Das betrifft besonders jene, die über lange Zeit ein und dasselbe Präparat bekommen haben. Wenn sich für sie nun - im schlimmsten Fall mehrmals - das Medikament ändert, ist das für die Compliance tödlich.

Die von uns Apothekern geforderte und gewünschte Betreuung und Beratung der Patienten wird sehr durch die alles bestimmenden Rabattverträge erschwert. Die dabei einzige Maßgabe - möglichst billig - gefährdet eindeutig die Qualität der Arzneimittelversorgung und die Arzneimittelsicherheit.

"Oft wird das Kreuz bei Langzeitindikation gesetzt."

Heiko Leuschner, Apotheker und Inhaber der Apotheke am Kirchplatz in Oberhaching

Bei etwa 10 Prozent der Rezepte, die in meinen Apotheken eingelöst werden, hat der Arzt, meist handschriftlich, ein Aut-idem-Kreuz angebracht. Besonders jüngere Ärzte gehen sehr sparsam damit um. Bei ihnen ist die Furcht vor Regressandrohungen offensichtlich größer als bei etablierten Kollegen. Oft wird das Kreuz bei Langzeitindikationen mit Compliance-Problemen gesetzt, etwa bei Antihypertensiva, aber auch bei Psychopharmaka.

Mittlerweile haben sich die Patienten daran gewöhnt, nicht das verordnete Arzneimittel, sondern eines mit Rabattvertrag zu bekommen. Dies war für die Apothekenmitarbeiter ein gewaltiger Kraftakt. Vielen Patienten musste versichert werden, dass auch diese Firma "wirklich gute und gleichwertige" Präparate herstellt.

Der Handlungsspielraum für uns Apotheker ist durch die Rabattverträge und Aut idem eingeschränkt, das Warenlager ist deutlich breiter - und teurer - geworden bei dennoch schlechterer Lieferfähigkeit.

Die Rabattverträge und Aut idem haben dazu geführt, dass allen gesetzlich Versicherten sehr deutlich wurde, dass wir längst eine Zwei-, wenn nicht gar Drei-Klassen-Medizin - AOK-Patienten mit nicht verfügbaren Rabattarzneimitteln - haben. Ich bin überzeugt, dass hier eine Regelung geschaffen wurde, die sich volkswirtschaftlich durch die deutlich schlechtere Compliance unterm Strich nicht rechnet. Außerdem schadet sie dem Ansehen unseres Gesundheitswesens und der darin Tätigen und bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung Rationierung.

"Patienten wissen nichts von den Zwängen des Arztes."

Dr. med. Thomas Lessmann Arzt für Innere Medizin in Wilhelmshaven

Die Krux mit dem Aut-idem-Kreuz ist, dass Ärzte, die mit exorbitanten Regressforderungen und extrem nervenaufreibenden Richtgrößenverfahren bedroht werden, de facto keine Therapiefreiheit haben. Erst vor 2 Wochen habe ich ein Schreiben der AOK erhalten, welche meiner Verordnungen aus dem Quartal 01/08 keiner Rabattsubstitution zugeführt wurden, obwohl dies theoretisch möglich gewesen wäre. Die mögliche Ersparnis bei entsprechender Rabattsubstitution wurde mir auf den Cent genau präsentiert.

Leider wissen Patienten von dem Gewissenskonflikt, in dem sich der Arzt befindet, überhaupt nichts. Ich musste hunderte von Gesprächen führen, weil Patienten völlig verstört sind, wenn sie in der Apotheke nicht mehr "ihr bewährtes Medikament" erhalten. Die allermeisten Patienten fühlen sich subjektiv mit den Rabattprodukten nachhaltig schlechter behandelt. Auch gab es Dutzende Anrufe von entnervten Apothekern.

Nach meiner Ansicht sollten drei Punkte in Angriff genommen werden:

  • Sofortige Beendigung des Regress- und Richtgrößenwahnsinns.
  • Patienten sollten die Möglichkeit erhalten, ihr "altbewährtes" Medikament zu bekommen, wenn sie bereit sind, einen entsprechenden Aufpreis auf den Rabattpreis zu zahlen.
  • In einer Aufklärungs-Kampagne sollten Patienten über die Zwänge und Gewissenskonflikte informiert werden, die unser tägliches ärztlich es Handeln überschatten.
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