Krebsprävention: Worauf es beim Essen  ankommt

Die Art unserer Ernährung wirkt sich auf unser persönliches Krebsrisiko aus. Daran gibt es aus wissenschaftlicher Sicht keine Zweifel. Aber: Der Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Krebsrisiko ist viel komplexer als lange Zeit gedacht. Derzeit favorisieren die Forscher aufgrund wissenschaftlicher Evidenzen fünf Strategien zur Krebsprävention.

Von Roland Fath Veröffentlicht:

Rund ein Drittel aller Krebserkrankungen könnte auf Ernährungs- und Lebensstilfaktoren zurückzuführen sein. Bereits Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind Epidemiologen aufgrund der Vergleiche von Ernährungsgewohnheiten und Krebsmortalitäten in verschiedenen Regionen zu dieser Einschätzung gekommen. Sie gilt auch heute noch, so Professor Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) im Gespräch mit der "ernährung".

Allerdings haben sich die Bewertungen einzelner Ernährungsfaktoren in der Zwischenzeit deutlich verändert. Klar ist: Der Stellenwert von Antioxidanzien wie Vitaminen zur Krebsprävention und deren postulierte hohe Bedeutung als Radikalfänger scheinen überschätzt worden zu sein.

Der Stellenwert von Vitaminen wurde vermutlich überschätzt

In einer ganzen Reihe von Studien wurde inzwischen nachgewiesen, dass durch eine Vitaminsubstitution das Krebsrisiko nicht verringert werden kann. Einige Beispiele für Studiendaten, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden.

In der SELECT-Studie (The Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) nahmen mehr als 35 000 Männer entweder täglich 400 IU Vitamin E, 200 µg Selen, beide Substanzen kombiniert oder nur Placebo ein. Selen galt aufgrund positiver Hinweise aus kleineren Studien ebenfalls als Kandidat für die Prävention des Prostatakarzinoms. Nach knapp fünfeinhalb Jahren wurde die Studie vorzeitig abgebrochen. Denn in keiner der Verumgruppen deutete sich ein Nutzen der Therapie an, im Gegenteil: Tendenziell war die Prostata-Krebsrate in den Verumgruppen sogar um vier bis 13 Prozent erhöht. Allerdings waren alle Unterschiede nicht signifikant (JAMA 301, 2009, 39).

In der Physicians‘ Health Study II nahmen knapp 14 700 US-Ärzte ab dem 50. Lebensjahr Vitamin E (400 IU jeden zweiten Tag), Vitamin C (500 mg täglich) oder Placebo ein. Innerhalb von acht Jahren war die Inzidenz von Prostatakarzinom sowie die gesamte Krebsinzidenz in allen drei Gruppen praktisch gleich (JAMA 301, 2009, 52).

In einer dritten Studie nahmen mehr als 7600 Frauen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko über im Mittel 9,4 Jahre Beta-Carotin (50 mg jeden zweiten Tag), Vitamin C (500 mg täglich), Vitamin E (600 IU jeden zweiten Tag), die Kombination dieser Supplemente oder Placebo ein. Sowohl bei der Krebsinzidenz als auch bei der Krebsmortalität gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen (J Natl Cancer Inst 101, 2009, 14).

Wichtiger für die Krebsprävention als essenzielle Nährstoffe wie Vitamine sind nach heutigen Erkenntnissen Nahrungsstoffe, die spezifische Mechanismen der Krebsentstehung beeinflussen können. Dazu zählen beispielsweise sekundäre Pflanzenstoffe, die bei Entgiftungsprozessen im Körper eine Rolle spielen.

So war in einigen retrospektiven Fall-Kontroll-Studien, heißt es im Ernährungsbericht 2008 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), eine erhöhte Zufuhr von Flavonen und Flavonolen mit einer signifikanten Reduktion des Brustkrebsrisikos um 13 bis 46 Prozent assoziiert. Der risikomindernde Effekt wurde bei der Flavonoidmenge beobachtet, die mit einer halben Tasse grünem oder schwarzem Tee oder mit einem Apfel aufgenommen wird. Für Dickdarmkrebs wurde ebenfalls ein verringertes Risiko bei erhöhter Zufuhr von Flavonen, Flavonolen und Isoflavonen sowie Anthocyanen festgestellt.

Eine stetige Quelle für neue Erkenntnisse zur Bedeutung von Ernährungsfaktoren für die Krebsprävention ist die prospektive epidemiologische Langzeitstudie EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), mit der im Jahr 1992 begonnen worden ist. Boeing ist an der Auswertung der Daten aus Deutschland beteiligt und leitet die Potsdamer EPIC-Studie.

Die EPIC-Studie liefert eine Fülle neuer Erkenntnisse

Insgesamt wurden inzwischen in zehn europäischen Ländern 520 000 anfangs gesunde Personen aufgenommen, darunter in Deutschland 25 500 Teilnehmer aus Heidelberg und 27 500 Personen aus Potsdam. Die regelmäßigen Publikationen zu den EPIC-Daten zeigen, wie komplex die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebsrisiko sind (siehe www.epic.iarc.fr):

  • Gute Hinweise gibt es dafür, dass ein hoher Ballaststoffverzehr mit einem verringerten Risiko für Magen- und Darmkrebs einhergeht. Wer seine Ballaststoffzufuhr von 15 auf 35 Gramm pro Tag erhöhte (fast sechs Scheiben Vollkornbrot), verringerte sein Darmkrebsrisiko um 40 Prozent.
  • Ein hoher Fischkonsum geht mit einem niedrigeren Risiko einher, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. 100 Gramm mehr Fisch pro Tag halbierten das Risiko für kolorektale Karzinome. Auf das Risiko, an einem Mamma-Karzinom zu erkranken, hatte Fisch dagegen keinen Einfluss.
  • Überraschenderweise hat nach den EPIC-Daten der Konsum von Obst und Gemüse keinen Einfluss auf die Gesamtkrebsinzidenz und das Auftreten vieler Krebsarten, etwa Brust-, Prostata-, Nieren- und Ovarialkarzinomen und Lymphomen. Erhöht wurde bei niedrigem Konsum lediglich das Risiko für Karzinome im Gastrointestinaltrakt und der Lunge.
  • Starke Alkoholaufnahme erhöhte das Risiko für Plattenepithelkarzinome im oberen Verdauungstrakt und Darm bzw. Mastdarm. Bei Frauen erhöhte Alkoholaufnahme außerdem kontinuierlich das Brustkrebsrisiko.
  • Regelmäßiger Verzehr von rotem Fleisch (Rind, Schwein, Schaf und Lamm) und Fleischwaren ist mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko verbunden. Die Faustregel lautet: Der tägliche Genuss von 100 Gramm rotem Fleisch oder Fleischprodukten erhöht das Darmkrebsrisiko um 50 Prozent.

Die Gefahren eines hohen Konsums von Rind- und Schweinefleisch werden auch durch die im März 2009 veröffentlichten Ergebnisse einer Studie des National Cancer Institutes in den USA mit mehr als 500 000 Teilnehmern deutlich. Bei Männern und Frauen, die am meisten rotes Fleisch konsumierten, war die Krebsmortalität im Verlauf von durchschnittlich zehn Jahren um 22 Prozent, die Gesamtmortalität sogar um 31 Prozent höher als Studienteilnehmern mit dem geringsten Fleischkonsum (Arch Intern Med 169, 2009, 562).

Dabei hatten die größten Fleischesser in der Studie gar nicht einmal so viel Fleisch konsumiert - im Schnitt rund 150 Gramm pro Tag. Der Konsum von weißem Fleisch wie Huhn und Pute war nicht mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.

Präzise Empfehlungen erfordern konsistente Daten

Allerdings sind auch die Daten zum Fleischkonsum nicht einheitlich. Nach einer aktuellen Analyse der Daten der britischen EPIC-Kohorte mit 63 550 Personen haben Vegetarier ein um elf Prozent niedrigeres Gesamtkrebsrisiko als Fleischesser; das Risiko für kolorektale Karzinome war bei Vegetariern erstaunlicherweise um 39 Prozent höher. Dies widerspricht den bisherigen EPIC-Daten, wonach der Konsum von rotem Fleisch gerade das Risiko für Dickdarmkrebs erhöht. Allerdings erkrankten die EPIC-Teilnehmer, also sowohl die Fleischesser als auch die Vegetarier, seltener an Krebs als die Allgemeinbevölkerung (Am J Clin Nutr, 2009, doi:10.3945/ajcn.2009.26736M).

Insgesamt werden noch konsistentere Daten gebraucht, um präzise Empfehlungen zur krebsvorbeugenden Ernährung machen zu können, räumt auch Professor Boeing ein. Allerdings gibt es aus den vorhandenen Evidenzen schon einige grundlegende Empfehlungen zur Krebsprävention durch einen bestimmten Lebensstil. Diese sind auch in den Report 2007 des World Cancer Research Fund eingeflossen. Dafür wurde die veröffentlichte Literatur von Expertengruppen nach definierten Kriterien beurteilt. Die Basis bilden eine gesunde Ernährung, die reich an Ballaststoffen sowie Obst und Gemüse ist. Das Körpergewicht sollte im normalen Bereich stabil gehalten und regelmäßig Sport getrieben werden (siehe Kasten).

Nicht eingegangen wird in den Empfehlungen auf einen weiteren wesentlichen Lebensstilfaktor - möglicherweise, weil es zu offensichtlich ist: auf Nikotinabstinenz. Rauchen erhöht nicht nur das Risiko für Karzinome in der Lunge und im oberen Atemwegstrakt, sondern auch für viele andere Tumoren.

So werden nach Literaturdaten bis zu 50 Prozent aller Harnblasentumoren durch Zigarettenrauchen ausgelöst und erkranken Raucher nach dem Ergebnis einer Fall-Kontroll-Studie in den USA rund sieben Jahren früher an kolorektalen Karzinomen als Nichtraucher.

STICHWORT

WCRF-Report 2007: Empfehlungen zur Krebsprävention

  • Das Körpergewicht sollte innerhalb der normalen Grenzen so gering wie möglich sein und der Body-Mass-Index (BMI ) zwischen 21 und 23 liegen.
  • Körperliche Aktivität sollte ein Teil des täglichen Lebens sein. Es wird empfohlen, mindestens 30 Minuten täglich moderat körperlich aktiv zu sein, vergleichbar mit schnellem Gehen.
  • Energiedichte Lebensmittel wie zuckerhaltige Limonaden und Fast Food sind zu meiden.
  • Täglich sollten insgesamt mindestens 600 Gramm Obst und nicht stärkehaltiges Gemüse konsumiert werden. Die Ballaststoffaufnahme sollte mindestens 25 Gramm betragen.
  • Der Konsum von rotem Fleisch sollte auf 300, der Fleischkonsum insgesamt auf höchstens 500 Gramm pro Woche beschränkt werden. Weiterverarbeitete Fleischprodukte wie Geräuchertes und Gepökeltes sollten gemieden werden.
  • Männer sollten täglich nicht mehr als zwei alkoholhaltige Drinks (je 10 bis 15 g Ethanol), Frauen höchstens einen Drink zu sich nehmen.
  • Der durchschnittliche Salzkonsum sollte weniger als 5 g (2 g Natrium) pro Tag betragen.
  • Nahrungsmittelergänzungen werden für die Krebsprävention nicht empfohlen.
  • Für Menschen mit bestehender oder vorangegangener Krebserkrankung gelten die gleichen Empfehlungen.
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