Revolution in der Therapie durch personalisierte Medizin

Der von Springer Medizin Ärzte Zeitung gestiftete Galenus-von-Pergamon-Preis ehrt seit Mitte der 1980er Jahre auch pharmakologische Innovationen. Manche bezeichnen die derzeitige Entwicklung in der medikamentösen Therapie bereits als Megatrend: die personalisierte oder individualisierte Medizin. Tatsächlich gibt es in Deutschland bereits 20 Medikamente, deren Anwendung mit einem diagnostischen Test verbunden ist.

Von Peter Leiner

NEU-ISENBURG. Die Entwicklung in der Therapie zeichnet sich klar ab: Immer stärker zielen Strategien darauf ab, Arzneien nur bei jenen Patienten anzuwenden, die voraussichtlich am meisten davon profitieren und die wenigsten Nebenwirkungen haben werden.

In der Erforschung neuer Präparate geht es daher darum, molekularbiologische Tests und die darauf abgestimmten Arzneimittel gemeinsam zu entwickeln. Vorbilder gibt es bereits: Vor allem Krebsmedikamente wie Trastuzumab zur Brustkrebstherapie oder Cetuximab gegen Darmkrebs erfordern vor der Therapie einen genetischen Test.

Das Ziel der personalisierten Medizin ist, wie Dr. Catherine Larue von Sanofi Diagnostics Pasteur bei der Konferenz "European Perspectives in Personalised Medicine" im Frühjahr 2011 in Brüssel formulierte, "die richtige Therapie für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit".

Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung in der Onkologie, Virologie und bei Entzündungskrankheiten, erst ganz am Anfang steht sie in der Neurologie und bei kardiovaskulären Erkrankungen.

Bis 2015 wird Erfolg mit über 350 Projekten erwartet

Einer Umfrage unter Mitgliedern des Verbandes "vfa - Die forschenden Pharma-Unternehmen" zufolge könnten bis Ende 2015 in Deutschland mehr als 350 derzeitige Projekte zur Zulassung eines neuen Medikaments oder eines neuen Anwendungsgebiets für ein schon bekanntes Medikament führen, wenn alle Entwicklungsstufen erfolgreich durchlaufen werden.

Nach Angaben des Verbandes geht es bei den meisten Projekten - nämlich 65 Prozent - jeweils um ein Medikament mit neuem, also noch nicht zugelassenem Wirkstoff. Bei 19 Prozent der Projekte werde ein Medikament erprobt, bei dem für einen bekannten Wirkstoff eine neue Darreichungsform - zum Beispiel ein Nasenspray statt einer Tablette - oder eine neue Kombination mit einem weiteren Wirkstoff entwickelt wird.

Und schließlich wird bei 16 Prozent dieser Projekte ein bereits zugelassenes Medikament darauf geprüft, ob es auch bei einer weiteren Erkrankung angewandt werden kann.

Der Anteil der Projekte auf der Basis der personalisierten Medizin ist recht hoch. Mittlerweile werden bei 40 Prozent dieser Projekte die Patienten begleitend pharmakogenetisch untersucht. Bei den meisten Projekten, nämlich 88 Prozent, seien auch deutsche Kliniken beteiligt, so der vfa.

Schlüsseltechnologie der modernen Medizin

Viele Wissenschaftler, etwa Professor Theo Dingermann, Inhaber des Lehrstuhls Pharmazeutische Biologie an der Universität Frankfurt am Main und Biotechnologiebeauftragter des Landes Hessen, setzen große Hoffnungen in die personalisierte Medizin, wie die "Ärzte Zeitung" berichtete.

Dingermann sieht die molekulare Diagnostik als Schlüsseltechnologie der modernen Medizin. "Die molekulare Diagnostik wird das Gesundheitssystem aus der Misere holen", so Dingermann auf dem Kongress "PerMediCon" in Köln. Mit den neuen Verfahren könnten Wissenschaftler auch feststellen, ob eine Arznei bei einem bestimmten Patienten wirksam, partiell wirksam oder unwirksam ist und ob es verträglich, problematisch oder unverträglich ist.

Einige pharmazeutische Unternehmen haben sich inzwischen auf den Trend zur personalisierten Medizin eingestellt. Dazu gehört das Unternehmen Roche, bei dem die Entwicklung von Therapeutika und Diagnostika unter einem Dach erfolgt. Jüngstes Beispiel für ein Präparat zur personalisierten Therapie von dem Unternehmen ist Vemurafenib, das vor wenigen Tagen von der US-Behörde zugelassen wurde.

Entwickelt wurde das Präparat für Patienten mit einem Melanom und einer spezifischen Mutation im BRAF-Gen, das das Zellwachstum und die Zellteilung steuert. Ist dieses Gen mutiert, so bleibt es ständig aktiviert und ermöglicht dadurch, dass sich die Melanozyten, also die Pigment bildenden Zellen, unkontrolliert vermehren können. Die Zulassung von Vemurafenib in Europa wurde Anfang des Jahres beantragt.

Pharmakologische Marker für Therapieplanung bei HIV

Ein weiteres Beispiel für eine Behandlung im Sinne der personalisierten Medizin ist die Therapie HIV-Infizierter mit dem Protease-Hemmer Abacavir. Daran erinnern der Kieler Professor Stefan Schreiber und Privatdozent Stephan Ott vom Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität (Internist 2011; online 13. August).

Bei Patienten, die Abacavir erhalten, tritt in etwa fünf Prozent der Fälle ein potenziell lebensbedrohliches Hypersensitivitätssyndrom auf. In einer australischen Studie sei eine Assoziation dieser schweren Hypersensitivität auf Abacavir mit bestimmten HLA-Genotypen (HLA-B*5701, HLA-DR7, HLA-DQ3) nachgewiesen worden, die als pharmakogenetische Marker Einfluss auf die Therapieplanung hätten, so Schreiber und Ott.

Wie wichtig personalisierte Medizin sowohl Unternehmen als auch Forschungseinrichtungen, Universitäten und Patientenorganisationen ist, das lässt sich auch an der PMC - Personalized Medicine Coalition in Washington mit inzwischen mehr als 200 Mitgliedern ablesen, für die die Entwicklung zur personalisierten Medizin einer Revolution gleicht.

Die bisherigen Galenus-Preisträger

Den Galenus-von- Pergamon-Preis gibt es seit 1985. Wie die anderen nationalen Galenus-Preise ist er Teil des seit 1991 verliehenen internationalen Prix Galien.

1985: Praziquantel® (Bayer, Merck KGaA) - ein Präparat gegen Schistosomen (Pärchenegel)

1986: Sandimmun® (Sandoz) - das Ciclosporin-Präparat zur Immunsuppression nach Transplantationen

1987: Lopirin® (Squibb von Heyden, heute Bristol-Myers Squibb) - Angiotensin- Converting-Enzym- Hemmer

1988: Gen-Hb-Vax® (MSD Sharp & Dohme) - ein gentechnisch hergestellter Impfstoff gegen Hepatitis B

1989: Dantrolen® (Röhm Pharma) - zur Behandlung bei maligner Hyperthermie

1990: Retrovir® (Wellcome) - erstes zugelassenes Arzneimittel gegen den Aids-Erreger HIV

1991: Movergan® (ASTA Pharma) - der erste selektive MAO-B-Hemmer zur Therapie bei Morbus Parkinson

1992: Survanta® (Abbott) - zur Behandlung von Frühgeborenen mit Atemnotsyndrom und zur Vorbeugung des Syndroms

1993: HIB-Vaccinol® (Röhm Pharma) - der erste in Deutschland eingeführte Konjugat-Impfstoff gegen Haemophilus influenzae Typ b (Hib)

1995: Echovist® (Schering) - ein Ultraschall-Kontrastmittel

1997: Lorzaar® (MSD) - der erste Angiotensin-II-Rezeptorantagonist

1999: Campral® (Merck KGaA) - die erste in Deutschland zugelassene Substanz gegen das Craving bei alkoholabhängigen Patienten

2001: Synagis® (Abbott) - monoklonaler Antikörper zur Prophylaxe gegen schwere Infektionen mit RS-Viren

2003: Zyvoxid® (Pfizer) - synthetische antibakteriell wirksame Substanz mit einem neuen Wirkprinzip gegen grampositive Bakterien

2005: Velcade® (Janssen-Cilag) - Proteasomhemmer zur Therapie von Patienten mit Multiplem Myelom

2007: Avastin® (Roche Pharma) - erster Angiogenese-Hemmer gegen Tumoren

2009: Kategorie Primary Care Procoralan® (Servier) - Herzfrequenzsenker zur Therapie bei koronarer Herzkrankheit (KHK) Kategorie Specialist Care Orfadin® (Swedish Orphan Int.) - Enzymhemmer zur Therapie bei Tyrosinämie Typ 1

2010: Kategorie Primary Care Pradaxa® (Boehringer Ingelheim) - zur Prophylaxe von venösen Thromboembolien nach Hüft- oder Knie-TEP Kategorie Specialist Care Removab® (Fresenius Biotech) - zur Behandlung bei malignem Aszites

Lesen Sie dazu auch: Per Gen-Check mehr Durchblick bei Krebs?

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