Eigene Gesundheit

Ärzte fordern Arbeitsschutz zu selten ein

Von wegen Nabelschau: Bei der Debatte über Arbeitsbedingungen, die Ärzte krank machen, nahmen Ärztetagsdelegierte das ganze Gesundheitssystem in den Blick.

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"Ärzte fordern Arbeitsschutz nicht so ein, wie er ihnen eigentlich zusteht", betonte Professor Monika Rieger, ärztliche Direktorin am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin und Versorgungsforschung der Uniklinik Tübingen beim Ärztetag.

"Ärzte fordern Arbeitsschutz nicht so ein, wie er ihnen eigentlich zusteht", betonte Professor Monika Rieger, ärztliche Direktorin am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin und Versorgungsforschung der Uniklinik Tübingen beim Ärztetag.

© Michaela Illian

MÜNSTER. Wie können Ärzte in ihrer Arbeit gesund bleiben? Weit über Selbstbespiegelung hinaus hat sich das Schwerpunktthema des 122. Deutschen Ärztetags in Münster teils zu beißender Systemkritik ausgeweitet.

Denn die Genfer Deklaration nimmt ihren Ausgangspunkt beim gesunden Arzt – Krankheit ist nicht vorgesehen: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit (...) achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“

Das Gesundheitssystem fordere von Ärzten eine „permanente Verfügbarkeit“, mit „einfachen Resilienztricks kommen wir nicht weiter“, stellte eine Delegierte fest.

Bei anderen fiel die Kritik noch grundsätzlicher aus: „Ich möchte kein System unterstützen, das die Aufopferungsbereitschaft der Kollegen ausbeutet“, „Hamster im Rad“ war eine häufig verwendete Metapher.

Arbeitsschutz? Selten ein Thema

Doch es fängt schon bei den „Basics der Selbstsorge“ an, erläuterte Professor Monika Rieger, ärztliche Direktorin am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin und Versorgungsforschung der Uniklinik Tübingen. „Ärzte fordern Arbeitsschutz nicht so ein, wie er ihnen eigentlich zusteht.“

Beispiel Zwangshaltung beim laparoskopischen Operieren: In jeder Autowerkstatt wären solche ergonomischen Verhältnisse undenkbar, stellte Rieger lapidar fest. Die Studienlage sei eindeutig, dass ein höheres Wohlbefinden von Ärzten am Arbeitsplatz Auswirkungen auf die Patienten hat – etwa durch weniger postoperative Komplikationen.

Weniger gut sind dagegen Ärzte in der Selbstsorge. Die Zahlen, die Rieger am Beispiel von Nadelstichverletzungen vorstellte, sind erschreckend: Nur jeder fünfte Arzt verfügte in Befragungen über ein umfassendes Wissen zum Umgang mit solchen Verletzungen.

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Veröffentlicht: 29.05.2019 © Springer Medizin

Appell: Arbeitsabläufe verlangsamen!

Wie die seelische Gesundheit von Beschäftigten im Krankenhaus gestärkt werden kann – präventiv und evidenzbasiert – ist Gegenstand des vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Projekts „SEEGEN“ (Seelische Gesundheit am Arbeitsplatz Krankenhaus).

Professor Harald Gündel von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uniklinik Ulm mahnte, Arbeitsabläufe an entscheidenden Stellen zu verlangsamen und mehr „Nachdenklichkeit“ möglich zu machen.

Gündel stellte den Delegierten Daten aus Studien vor, die extrem hohe Prävalenzen für „kritischen Arbeitsstress“ ausweisen. Nach ihrer subjektiven Einschätzung trifft dies auf bis zu 58 Prozent der Chirurgen und 62 Prozent der Internisten zu. Bei niedergelassenen Ärzten sind die erhobenen Werte mit 27 Prozent geringer.

Resultieren chronische Überlastung in Verbindung mit anderen Problemen in einer Suchterkrankung, dann suchen nur wenige Ärzte Hilfe bei Interventionsprogrammen.

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Veröffentlicht: 29.05.2019 © Springer Medizin

Solche Angebote haben mittlerweile alle Landesärztekammern. Nach Angaben von Dr. Klaus Beelmann, Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Hamburg, sind es pro Jahr bundesweit gerade einmal rund 150 Ärzte.

„Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein“, konstatierte Beelmann, denn die Zahl suchtkranker Ärzte dürfte ein Vielfaches betragen.

Der Entzug der Approbation stehe dabei immer erst am Ende einer Eskalationskette, etwa in Fällen der Therapieverweigerung oder eines Rückfalls. Doch in 70 Prozent der Fälle könne Ärzten durch die Interventionsprogramme dauerhaft geholfen werden.

Keine durchgängige Supervision!

Der Ärztetag sprach sich am Mittwoch dafür aus, eine Zwischenbilanz der Programme für suchtkranke Ärzte zu ziehen. Die Delegierten forderten zudem die privaten Krankenversicherungen auf, „ihre Versicherten endlich hinsichtlich der Kostenübernahme für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen den GKV-Versicherten gleichzustellen“.

Abgelehnt wurde hingegen ein Antrag, in dem Supervision für Ärzte vorgeschlagen wurde, um den psychischen Herausforderungen des Arztberufs „professionell begegnen zu können“.

Positiv fiel das Votum für einen Antrag aus, die Themen Stressbewältigung und Resilienz als Teil der ärztlichen Ausbildung in das Curriculum aufzunehmen. Andere Gruppen von Delegierten nahmen indes die Arbeitsbedingungen von Ärzten insbesondere in Kliniken in den Blick.

Ärzte seien hier zu defensiv, lautete die Kritik. Dass sie sich nicht gegen unbezahlte Überstunden und fehlende Pausenzeiten wehren, werde von Krankenhausträgern „längst betriebswirtschaftlich einkalkuliert“.

Das Gesundheitssystem müsse sich auf eine neue Generation von Ärzten einstellen, die „sich nicht mehr auf jede kalkulierte Missachtung von Arbeitsrechten auf Kosten der eigenen Gesundheit gefallen lässt“.

Wir haben den Beitrag aktualisiert am 29.05.2019 um 16:00 Uhr.

Lesen Sie dazu auch: Prävention: Gesundheit der Ärzte muss mehr ins Bewusstsein aller rücken

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