Telematik-Infrastruktur

„Gefahr droht nicht von der Regierung, sondern von Google“

Die Ärzteschaft sieht sich zu Unrecht als Digitalisierungsverweigerer dargestellt. BÄK-Vorstand Bodendieck mahnt, sich bei der Kritik nicht zu verzetteln.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Ärzte fürchten, dass fremde Player zunehmend das Geschehen im Gesundheitswesen mitbestimmen könnten.

Ärzte fürchten, dass fremde Player zunehmend das Geschehen im Gesundheitswesen mitbestimmen könnten.

© Africa Studio / stock.adobe.com

MÜNSTER. Die Ärzte sind bei der Digitalisierung nicht die großen Verweigerer, als die sie in der Öffentlichkeit oft dargestellt werden. Das hat der Deutsche Ärztetag klar gestellt – ebenso wie die Tatsache, dass bei der Einbindung digitaler Anwendungen in die Patientenversorgung die Freiwilligkeit der Nutzung und die Vertraulichkeit der Patientenbehandlung garantiert sein müssen.

„Wir sind als Ärztinnen und Ärzte viel weiter, als es nach außen manchmal den Anschein hat“, sagte Erik Bodendieck, Präsident der Ärztekammer Sachsen und im Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) zuständig für den Bereich Telematik. „Wir sind nicht telematik- und digitalisierungsfeindlich.“ Schließlich habe die BÄK bei der Telematik-Infrastruktur (TI) die Projektverantwortung für die Notfalldaten und den Elektronischen Medikationsplan.

Auch gebe es bereits zahlreiche telemedizinische Projekte aus Reihen der Ärzteschaft. Bei all dem seien die Ärzte aber immer auch von der Sorge um das Wohl der Patienten getrieben.

Digitalisierung: Ärzte müssen sich einbringen

Trotz aller Kritik an einzelnen Entscheidungen des Gesetzgebers ist bei der Digitalisierung die Politik nicht die eigentliche Gefahr, findet Bodendieck. „Die größte Gefahr ist Amazon, ist Google.“ Amazon etwa mische über die Gründung einer Krankenkasse und dem Kauf einer Internetapotheke bereits aktiv in der Gesundheitsversorgung mit.

Statt solche Entwicklungen nur abzulehnen, müssten die Ärzte ihnen etwas entgegensetzen können. Bei aller Angst vor dem disruptiven Geschehen dürften die Ärzte das Ziel nicht aus den Augen verlieren, eine gute Patientenversorgung mit guter Telemedizin und Digitalisierung zu schaffen. „Wir müssen den Fuß in die Tür bringen.“

Auch die Politik sei an einer gestaltenden Rolle der Ärzteschaft bei der Digitalisierung interessiert. Der Eindruck, sie wolle die Ärzte außen vor lassen, ist nach Angaben von Bodendieck falsch. „Die Politik möchte von uns wissen, was wir möchten, was wir brauchen.“

Die Delegierten folgten mit großer Mehrheit einem Antrag des BÄK-Vorstands, in dem er die Schaffung eines Ordnungsrahmens für die Digitalisierung im Gesundheitswesen fordert. Zu den Eckpunkten eines solchen Rahmens sollten gehören: die Freiwilligkeit der Nutzung digitaler Anwendungen für die Patienten; die Unterziehung der Anwendungen einer validen Nutzenbewertung; eine klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten und der Haftung, wenn Kassen den Patienten Apps oder andere Anwendungen direkt zur Verfügung stellen.

Zudem sollen Ärzte nicht verpflichtet werden dürfen, neben den ärztlichen Dokumenten alle in einer Patientenakte elektronisch zur Verfügung stehenden Informationen zu sichten.

Sanktionen helfen nicht weiter

Sanktionen für Ärzte, die sich nicht oder verspätet an die TI anschließen, lehnt der Ärztetag ebenso ab wie den Zwang zur Anbindung. „Sanktionen sind kein geeignetes Mittel, Akzeptanz zu schaffen“, heißt es in einem mit großer Mehrheit verabschiedeten Antrag. Trotz vieler Gegenstimmen fand ein weiterer Antrag eine Mehrheit, der den Patienten das Recht einräumen will, schon bei der Einführung der elektronischen Patientenakte Daten selektiv zu speichern, freizugeben oder zu sperren.

Die Angst der Antragsteller: Andernfalls könnte die informationelle Selbstbestimmung der Patienten untergraben werden.

Die Delegierten warnten vor möglichen negativen Folgen der im vergangenen Jahr vom Deutschen Ärztetag beschlossenen Lockerung des Fernbehandlungsverbots. Dazu zählen sie fragwürdige telemedizinische Anwendungen durch kommerzielle Anbieter.

Der BÄK-Vorstand soll deshalb prüfen, wie solche Angebote unterbunden und die jeweiligen Unternehmen gegebenenfalls sanktioniert werden können. Außerdem setzt sich der Ärztetag dafür ein, dass die Möglichkeiten der Fernbehandlung bundesweit einheitlich umgesetzt werden.

Kontroverse Diskussionen rund um das Thema Digitalisierung blieben beim diesjährigen Ärztetag aus, da die Delegierten entschieden hatten, bei allen Anträgen maximal eine Rede und eine Gegenrede zuzulassen.

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