Kommentar
Politik auf Schmusekurs
Es geht um nichts Geringeres als um die Zukunft der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Priorisierung, Rationierung, Mangelverwaltung - Schlagworte, die die Diskussionen in den vergangenen Wochen immer wieder geprägt haben. Angestoßen wurden sie durch den Präsidenten der Bundesärztekammer, der auch gestern wieder bei der Eröffnung des Ärztetages in Mainz vor Staats- und Zuteilungsmedizin warnte. Jörg-D. Hoppe will provozieren, das sagt er offen: Die Politik soll Farbe bekennen. Und: Bei der Rationierungsdebatte ist dies gelungen.
Gesundheitsrat schlägt Therapieoptionen vor
Die Mittel sind knapp und weil das so ist, müsse über die Priorisierung von Leistungen diskutiert werden. Ein Gesundheitsrat, besetzt mit Ärzten, Juristen, Ethikern, Gesundheitsökonomen, Theologen, Sozialwissenschaftlern und Patientenvertretern solle der Politik Vorschläge unterbreiten, welche Therapieoptionen es für welche Patienten gibt.
Für die Ministerin, die erstmals bei einem Ärztetag nicht anwesend war, kommt ein Gesundheitsrat nicht in Frage. So wurde sie zumindest gestern in den Medien zitiert. Und ihr Staatssekretär, der sie bei der Eröffnung vertrat, verlor kein Wort darüber, womit er das Thema aus seiner Sicht gewichtete. Vielmehr erinnerte er die ärztlichen Gremien an ihren Handlungsspielraum, eine künftige Gesundheitspolitik maßgeblich selbst beeinflussen zu können. Wobei er seine "Grußbotschaft" ausdrücklich auch an die Adresse von KBV-Chef Andreas Köhler richtete. In seinem Haus gebe es kein Interesse daran, die KVen abzuschaffen. Und beim Thema Kollektivvertrag folgte die Beruhigung: Selektivverträge ergänzen Kollektivverträge. Die aktuelle Wahrnehmung ist eine andere und die Existenz-Sorgen der KVen kommen nicht von ungefähr.
Hoffnung auf mehr Geld im System
Zumindest bei der Rede des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck keimte Hoffnung auf. Er versprach den Ärzten, sich dafür einzusetzen, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt erhöht werde - angesichts der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung natürlich nicht jetzt, sondern später. Fakt ist: Sowohl das Bundesgesundheitsministerium als auch der Ex-SPD-Chef haben gestern alles vermieden, was einen offenen Konflikt mit den Ärzten hätte heraufbeschwören können. Das Superwahljahr lässt grüßen.
Der diesjährige Ärztetag hat damit seine erste kleine Überraschung: Von einer sonst eher emotional aufgeladenen Eröffnungsveranstaltung war gestern kaum etwas zu spüren. Nimmt man die Äußerungen der Politik ernst, müsste nun der Startschuss zu einem konstruktiven Dialog über die Gesundheitsversorgung der Zukunft gefallen sein, oder?
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