Interview

"Bei gleichem Gendefekt bleiben einige Verwandte gesund - warum?"

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Rauchen schadet - aber nicht jeder Kettenraucher wird krank. "Das ist genau der Punkt, der mich so fasziniert", sagt Professor Joachim Mössner, Präsident des Internistenkongresses, der im April stattfindet. Entsprechend hat Mössner das Leitthema des Kongresses definiert: "Krankheit, Gene, Umwelt".

Professor Joachim Mössner

"Bei gleichem Gendefekt bleiben einige Verwandte gesund - warum?"

© DGIM

Aktuelle Position: Direktor der Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie und Rheumatologie; Department für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie der Uniklinik Leipzig, AöR

Ausbildung/Werdegang:

1970 - 1976 Medizinstudium, danach wissenschaftlicher Assistent, Uniklinik Würzburg;

Bis 1985 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Pankreasrezeptorforschung an der University of California, San Francisco

1986 Erhalt der Gebietsbezeichnung Internist

1987 Habilitation

1988 Erhalt der Teilgebietsbezeichnung Gastroenterologe

1986 - 1993 Oberarzt und Leiter des Fachbereiches Gastroenterologie; Uniklinik Würzburg

1989 C3-Professur

1993 C4-Professur für Innere Medizin, Schwerpunkt Gastroenterologie; Direktorat der Med. Klinik und Poliklinik II an der Uni Leipzig

Forschungsschwerpunkte: Chronische Pankreatitis; Pankreas- und Gallenwegskarzinom; interventionelle Endoskopie; Regulation zellulärer Funktionen des Pankreas sowie Pathogenese der Pankreatitis unter Berücksichtigung genetischer- und Umweltfaktoren.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Mössner, für den kommenden Internistenkongress haben Sie das Leitthema ,Krankheit, Gene, Umwelt‘ gewählt. Welche Intention steckt dahinter?

Professor Joachim Mössner: Dieses Leitthema soll die immer komplexer werdende Medizin widerspiegeln. Und es soll bewusst machen, dass diese Komplexität tagtäglich die Arbeit jedes einzelnen Kollegen, jeder einzelnen Kollegin beeinflusst.

Viele Erkrankungen der Inneren Medizin sind ja durch unseren Lebensstil hervorgerufen. Die klassischen Umwelterkrankungen, die man früher kannte, entstanden ja mehr oder weniger durch Einwirkungen der Industrie oder des Arbeitsumfeldes - etwas das durch Kontakt mit Asbest hervorgerufene Pleuramesotheliom. Das ist landläufig das, was man als umweltbedingte oder berufsbedingte Erkrankungen ansieht.

Aber der Begriff ,Umwelt‘ ist natürlich wesentlich weiter zu fassen: Nicht nur der Beruf ist in diesem Sinne Umwelt, sondern auch unser Lebensstil. Die drei wichtigsten Gepflogenheiten aus dem Bereich Lebensstil, die wahrhaftige Killer sind, sind ja Rauchen, zu viel Alkohol und Bewegungsmangel. Dann kommt noch Übergewicht dazu. Alles das sind kritische Umweltfaktoren, die wir theoretisch natürlich in Griff kriegen könnten, aber praktisch häufig nicht in den Griff bekommen.

Ärzte Zeitung: Um beim Thema Rauchen zu bleiben: Dass Rauchen das Risiko von Lungenkrebs erhöht, ist mittlerweile hinreichend bekannt. Dann gibt es noch einen Zusammenhang mit COPD, atherosklerotischen Prozessen und Blasenkarzinomen ...

Mössner: ... und auch ein erhöhtes Risiko für ein Pankreas-Karzinom. Bei einem Drittel aller Pankreas-Karzinome ist das Rauchen ein wichtiger Co-Faktor.

Ärzte Zeitung: Und warum gibt es dann einen namhaften Politiker, dem das Kettenrauchen bis ins hohe Alter offenbar nicht schadet?

Mössner: Das ist genau der Punkt, der mich so fasziniert. Offensichtlich gibt es bei vielen Krankheiten schützende genetische oder epigenetische Veränderungen, die trotz dieser Risikofaktoren-Konstellation Krankheiten nicht zum Ausbrechen bringen.

Da gibt es zum Beispiel ältere Damen, die landläufig gesehen alle Risikofaktoren haben, die man sich so vorstellen kann: einen hohen Blutdruck, der in den 50er- und 60er-Jahren ja nicht adäquat behandelt werden konnte, auch Übergewicht. Aber sie haben als positiven Lebensstilfaktor jeden Tag im Garten gearbeitet, regelmäßig gelebt und sind dann über 90 Jahre alt geworden.

Wie aber genau das Zusammenspiel zwischen Umwelt- und Lebensstilfaktoren und unserer genetischen Konstellation aussieht und inwieweit man schädliche Umwelt- und Lebensstilfaktoren wie Hypertonie und Übergewicht durch schützende Faktoren wie körperliche Bewegung und Regelmäßigkeit im Leben kompensieren kann - das kann bis heute niemand exakt sagen.

Ärzte Zeitung: Geforscht wird daran aber schon lange?

Mössner: Ja, durchaus. Auch wir haben in meiner Zeit in Würzburg viele über 100-Jährige untersucht. Das war damals ja noch eine Rarität. Wir haben drei Faktoren identifiziert, die im Zusammenhang mit hohem Alter standen: Die betreffenden Personen hatten selbst alte Eltern oder Großeltern, also positive "Genetik", sie haben etwa in Bezug auf Mahlzeiten und Schlafenszeiten sehr regelmäßig gelebt, und sie sind den großen Risiken des Lebens aus dem Weg gegangen.

Gemeint sind damit Kriegseinsatz an der Front, riskante Sportarten, aber auch Life stylefaktoren wie Rauchen.

Ärzte Zeitung: Ein Beispiel zum komplexen Zusammenhang von Krankheit, Genen und Umwelt?

Mössner: Wir kennen in der Inneren Medizin, außer den klassischen autosomal-dominant oder rezessiv vererbten Krankheitsbildern, schon viele Erkrankungen, die mit genetischen Risikofaktoren assoziiert sind. Hier in Leipzig interessieren wir uns besonders für die chronische Pankreatitis. Hier gibt es ein sehr seltenes Krankheitsbild, die hereditäre chronische Pankreatitis, eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung.

Wenn Sie den vererbbaren Defekt im kationischen Trypsinogen, ein Eiweiß verdauendes Enzym, nur auf einem Chromosom haben, reicht das schon, um krank zu werden. Das Auffällige: Circa 20 bis 30 Prozent derjenigen Verwandten, die den gleichen Gendefekt haben, bleiben gesund, die sogenannte Genotyp/Phänotyp-Korrelation beträgt also nicht 100 Prozent.

Wir haben bei einigen wenigen Geschwistern, die diesen Gendefekt, aber keine Pankreatitis haben, festgestellt: Rauchen erhöht das Risiko dann auch, eine Pankreatitis zu bekommen. Unabhängig davon ist Rauchen ja, nicht nur zusammen mit Alkohol, ein eigenständiger Risikofaktor für eine chronische Pankreatitis - ganz egal, ob jetzt der bekannte genetische Defekt vorliegt oder nicht.

Also: die ganze Geschichte ist extrem kompliziert - von bekannten genetischen Defekten bis hin zu unbekannten genetischen Defekten, bis hin zu den schützenden Genfaktoren.

Ärzte Zeitung: Was bringt uns hier die Zukunft?

Mössner: Wir werden in den nächsten Jahren zum Beispiel relativ kostengünstig unser gesamtes Genom sequenzieren können. Daraus dann aber irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, wird extrem schwierig werden.

Ärzte Zeitung: Das heißt aber auch, dass Patienten ihr Genom im Ausland sequenzieren lassen können. Was kommt da auf die Ärzte zu?

Mössner: Sie werden in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht verhindern können, dass bei breiterer Anwendung der Gendiagnostik jemand Blut ins Ausland schickt und sich informieren lässt, mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Risiken für welche Erkrankung vorliegen. Selbst wenn wir ein strenges Gendiagnostikgesetz haben und eine prädiktive genetische Diagnostik nur nach genetischer Beratung und unter bestimmten Konstellationen möglich ist, wird es nicht zu verhindern sein, dass wir mit Daten konfrontiert werden, die wir werten müssen.

Eine von dem Schreiben des ausländischen Labors beunruhigte, zu diesem Zeitpunkt eigentlich gesunde Person wird dann natürlich ihren Hausarzt aufsuchen und fragen: Was mach‘ ich denn jetzt? Der Hausarzt oder der Internist in Praxis oder Klinik sollte dann so viel von Genetik verstehen, um zu entscheiden, ob er selbst in der bestimmten Situation beraten kann oder ob der Patient zu einem Humangenetiker geschickt werden sollte oder vielleicht sogar schon in ein Zentrum, welches auf dem Gebiet einer bestimmten Erkrankung Erfahrung hat.

Ärzte Zeitung: Wie könnte eine solche Beratung dann aussehen?

Mössner: Ein Beispiel - bleiben wir bei der chronischen Pankreatitis: Bei einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent, ab 30 eine Pankreatitis zu bekommen, würde ein Patient doch seine Familienpolitik nicht ändern, oder? Er würde bestimmt nicht sagen: Ich will jetzt keine Kinder haben. Würden Sie ihm sagen: Sie dürfen zu Weihnachen keinen guten Rotwein trinken? Wohl eher nicht! Sie könnten so einer Person aber raten: Dann bitte nicht rauchen!

Das Gespräch führte Marlinde Lehmann

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