Pro und Kontra

Hat die Chemo auch bei CLL ausgedient?

Zielgerichtete Therapien ermöglichen mittlerweile auch bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) chemotherapiefreie Behandlungsregimes. Ist die Chemo also auch bei dieser Erkrankung bald Medizingeschichte ist? Vielleicht ist das gar nicht so wünschenswert.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Bei der CML ist gezielte Hemmung von Signalwegen schon längst etabliert.

Bei der CML ist gezielte Hemmung von Signalwegen schon längst etabliert.

© National Cancer Institute / Scie

BERLIN. Die chronische myeloische Leukämie (CML) hat in der Hämatoonkologie schon vor Jahren ein neues Paradigma gesetzt: Durch gezielte Hemmung von Signalwegen wurden Behandlungsschemata etabliert, die ohne klassische Chemotherapeutika auskommen und die aus der CML eine chronische Erkrankung gemacht haben, die – gegebenenfalls mit Unterbrechungen – einer lebenslangen Behandlung bedarf.

Auch bei der CLL etabliert sich die gezielte Hemmung von Signalmolekülen immer mehr, und auch hier stehen die B-Zellen im Fokus. Aktuell geht es vor allem um die Hemmung der Bruton-Tyrosinkinase im B-Zell-Rezeptor-Signalling durch Tyrosinkinasehemmer wie Ibrutinib und um die gezielte Blockade von BCL2 durch Substanzen wie Venetoclax. Werden bisherige kombinierte Chemoimmuntherapien wie Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab (FCR) oder Bendamustin und Rituximab (BR) dadurch obsolet?

Pro und Kontra Chemo

Bei einem Oxford-Symposium anlässlich des 33. Deutsche Krebskongresses in Berlin wurden die anwesenden Krebsexperten zu Beginn der Veranstaltung gefragt, ob sie eine chemotherapiefreie Zukunft bei der CLL erwarteten. Die Meinungen waren geteilt: Rund die Hälfte glaubte daran, die andere Hälfte nicht.

Professor Stephan Stilgenbauer vom Universitätsklinikum Ulm fasste die Argumente zusammen, die für einen Abschied von der Chemo sprechen. So könnten im frühen Stadium (Binet-A) der CLL Chemoimmuntherapien schon heute nicht mehr gerechtfertigt werden, so der Hämatologe. Er erinnerte an die schon 2013 vorgestellte CLL7-Studie, die gezeigt habe, dass eine FCR-Chemotherapie den natürlichen Verlauf der Erkrankung nicht verändere. Aktuell läuft in diesem Setting die CLL12-Studie, die bei Patienten mit Binet-A CLL und niedrigem Risiko eine abwartende Strategie hat und bei Binet-A CLL-Patienten mit mittlerem Risiko randomisiert zwischen abwartender Strategie und Ibrutinib. "Hieraus könnte sich der neue Standard ergeben", so Stilgenbauer.

Im fortgeschrittenen Stadium der CLL ist die Datenlage dünner. Was es gibt, ist die 2015 publizierte RESONATE-2-Studie, die bei "unfitten" Patienten über 65 Jahren Ibrutinib mit einer Chlorambucil-Monotherapie verglichen hat. (New Engl J Med 2015; 373: 2425-2437) Hier war das progressionsfreie Überleben unter Ibrutinib-Therapie massiv länger. "Das waren allerdings Patienten, die für eine FCR-Therapie nicht in Frage kamen", so Stilgenbauer. Neue Daten liefern wird bei unfitten Patienten in der Primärtherapie die ILLUMINATE-Studie, die Ibrutinib in Kombination mit dem CD20-Antikörper Obinutuzumab vergleicht mit Chlorambucil plus Obinutuzumab.

Bei fitten Patienten mit fortgeschrittener CLL sprächen indirekte Vergleiche ebenfalls überwiegend für die neueren Therapien, betonte Stilgenbauer. Auch hier stehen entscheidende Studien freilich noch aus. Insbesondere die Ergebnisse der CLL13-Studie werden mit Spannung erwartet. In dieser Studie zur Erstlinientherapie bei fitten Patienten mit fortgeschrittener CLL treten in vier Armen klassische Chemotherapien (FCR/BR) sowie der BCL2-Hemmer Venetoclax in Kombination mit entweder Rituximab oder Obinutuzumab oder Obinutuzumab plus Ibrutinib gegeneinander an.

Erfolg auch bei Rezidiven

Was die rezidivierte CLL bei fitten Patienten angehe, habe die beim ASH 2017 vorgestellte MURANO-Studie eindrucksvolle Daten geliefert, so der Ulmer Hämatologe. Hier war eine Kombination aus Rituximab und Venetoclax einer Chemotherapie mit BR stark überlegen: Das Progressionsrisiko (Hazard Ratio) war über 80 Prozent geringer. "Keine Zukunft für die Chemotherapie auch bei diesen Patienten", so Stilgenbauers Fazit.

Privatdozentin Barbara Eichhorst von der Onkologie des Universitätsklinikums Köln hatte bei der Berliner Oxford-Debatte den Kontra-Part inne und erinnerte an bestimmte Subgruppen der Patienten, bei denen die Datenlage zugunsten der neuen Therapien nicht ganz so beeindruckend sei. Insbesondere Patienten mit günstigem genetischem Profil, vor allem solche mit mutiertem IGHV-Gen, erreichten nach einer FCR-Chemoimmuntherapie teilweise sehr lange progressionsfreie Überlebenszeiten: In einer kürzlich vorgelegten retrospektiven Auswertung von 404 CLL-Patienten und Kontrollprobanden aus der normalen Bevölkerung hatten CLL-Patienten mit IGHV-Mutation nach FCR-Therapie eine normale Lebenserwartung (Blood 2015; 126: 1921-24).

Mit anderen Worten: Zumindest für einige Patienten könnte eine Chemotherapie, die alles in allem rund ein halbes Lebensjahr in Anspruch nimmt, möglicherweise eine Art definitive Therapie sein, eine Behandlung, die dazu führt, dass die Erkrankung sie – anders als bei (nicht nebenwirkungsfreien) gezielten Therapien – für den Rest des Lebens in Ruhe lässt. In finanzieller Hinsicht wäre ein solches Szenario zudem um Größenordnungen kostengünstiger. Das hat in Berlin dann auch im Publikum einige überzeugt: Am Ende waren rund 80 Prozent der Zuhörer der Auffassung, dass die Chemotherapie bei der CLL einen gewissen Stellenwert für einen Teil der Patienten behalten werde.

Bei bestimmten Subgruppen der Patienten ist die Datenlage zugunsten der neuen Therapien nicht ganz so beeindruckend.

Privatdozent in Barbara Eichhorst vom Universitätsklinikum Köln

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